Hormonell bedingtes Risiko: Männer mit niedrigem Testosteronspiegel landen bei einer Covid-19-Infektion im Schnitt 2,4-mal häufiger im Krankenhaus als Erkrankte mit normalem Hormonspiegel, geht aus einer Studie hervor. Eine erfolgreiche Einstellung der Werte durch eine Hormonersatztherapie kann das Risiko dabei offenbar normalisieren. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein niedriger Testosteronspiegel einen unabhängigen Risikofaktor für schwere Covid-19-Verläufe darstellt, sagen die Forscher.
Die Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 trifft bekanntlich nicht jeden gleich schwer: Neben Veranlagungen und Vorerkrankungen spielt dabei auch das Geschlecht eine Rolle, geht aus Statistiken hervor: Demnach neigen Männer eher zu schweren Verläufen von Covid-19 als Frauen und landen häufiger im Krankenhaus. Dies führte anfangs sogar zu der Vermutung, dass sich die Wirkung des männlichen Geschlechtshormon Testosteron ungünstig auf den Verlauf der Erkrankung auswirken könnte. Doch dann ließ eine Studie der Forscher um Sandeep Dhindsa von der Washington University in St Louis bereits 2021 vermuten, dass das Gegenteil der Fall sein könnte: Es zeigte sich, dass Männer, die mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, häufig besonders niedrige Testosteronwerte aufweisen.
Ursache oder Wirkung?
Doch bei dieser Untersuchung blieb unklar, ob ein niedriger Testosteronspiegel ein Risikofaktor für eine schwere Covid-19-Erkrankung ist, oder aber eine Folge davon. Um Ursache und Wirkung zu trennen, brauchten die Forscher Informationen über die grundlegenden Hormonniveaus der Patienten. Im Rahmen der neuen Studie haben Dhindsa und seine Kollegen nun für diese Informationen gesorgt. Sie analysierten dazu die Krankenakten von 723 Männern, die im Jahr 2020 oder 2021 positiv auf Covid-19- getestet worden waren. Von allen waren aus vorhergehenden Untersuchungen die Testosteronwerte bekannt. 427 Männer besaßen dabei ein normales Niveau, 116 wiesen niedrige Werte auf und 180 bekamen eine Hormonersatztherapie, um für einen normalen Testosteronspiegel zu sorgen.
Wie das Team berichtet, wurden von den 723 Männern im Zuge ihrer Covid-19-Erkrankung 134 ins Krankenhaus eingeliefert. Beim Vergleich mit den Krankenakten zeichneten sich dabei erneut bestimmte Vorerkrankungen als Risikofaktoren ab – und auch der Faktor Testosteron: Bei Männern mit niedrigem Testosteronspiegel war die Wahrscheinlichkeit, wegen Covid-19 ins Krankenhaus zu müssen, mehr als doppelt so hoch wie bei Männern mit normalem Testosteronspiegel. „Es zeigte sich, dass ein niedriger Testosteronspiegel ein Risikofaktor ist, und die Behandlung des niedrigen Testosteronspiegels trug dazu bei, dieses Risiko zu verringern”, sagt Dhindsa. Konkret nahm das Risiko unterhalb eines Wertes von 200 Nanogramm Testosteron pro Deziliter deutlich zu, wobei der normale Bereich bei 300 bis 1000 Nanogramm pro Deziliter liegt. „Dies war unabhängig von allen anderen Risikofaktoren, die wir untersucht haben: Alter, Übergewicht oder andere Gesundheitszustände“, sagt Dhindsa.
Ein normaler Hormonspiegel ist günstig
Was genau der Faktor ist, der zu der positiven Wirkung des Hormons führt, bleibt allerdings unklar. Es sind jedoch bereits einige Beeinträchtigungen durch einen niedrigen Testosteronspiegel bekannt, der recht weit verbreitet ist: Bis zu einem Drittel der Männer über 30 weisen niedrige Werte auf und mit zunehmendem Alter steigt die Neigung. Unter anderem kann es dabei zu Antriebslosigkeit, Verlust der Muskelkraft und zu einem insgesamt verminderten Wohlbefinden kommen. Wenn dies die Lebensqualität deutlich beeinträchtigt, wird der Mangel oft mit einer Testosteronersatztherapie behandelt. Bei leichten Symptomen zögern Ärzte und Patienten jedoch, denn es gibt Risiken. Vor allem kann die Therapie die Entstehung oder Entwicklung von Prostatakrebs begünstigen und auch ein Zusammenhang mit Herzerkrankungen wird derzeit untersucht.
Ein Abwägen von Für und Wider scheint deshalb wichtig. “Ein Arzt kann mit dem Patienten die Vor- und Nachteile einer Hormonersatztherapie besprechen, und vielleicht könnte die Senkung des Risikos einer Covid-Krankenhauseinweisung auf der Liste der möglichen Vorteile stehen”, sagt Seniorautor Abhinav Diwan von der Washington University. Wie das Team abschließend betont, sind nun allerdings weitere Studien nötig, um das Potenzial der Testosterontherapie im Hinblick auf das Risiko von schweren Covid-19-Verläufen genauer zu untersuchen. Doch zumindest ist nun die anfängliche Vermutung einiger Forscher vom Tisch: “Im Jahr 2020, zu Beginn der Pandemie, dachte man, Testosteron sei ein Risikofaktor für Covid”, so Dhindsa. “Einige meinten sogar, dass Medikamente zur Senkung des Testosteronspiegels hilfreich sein könnten, um Menschen vor Krankenhausaufenthalten zu schützen. Diese Studie verdeutlicht jedoch das Gegenteil”, resümiert der Wissenschaftler.
Quelle: Washington University School of Medicine, Saint Louis University, Fachartikel: JAMA Network Open, doi:10.1001/jamanetworkopen.2022.29747