Arme, Beine, Finger, Ohren… Am Ende der Wachstumsphase erreichen die Teile unseres Körpers eine bestimmte Größe. Doch woher „weiß“ der Organismus eigentlich, wann er das Wachstum einstellen soll, damit etwa die Arme oder Beine gleich lang werden? Dabei handelt es sich erstaunlicherweise um eine Frage, die den Entwicklungsbiologen einiges Kopfzerbrechen bereitet. Nun präsentieren deutsche Forscher ein Modell, das den Regulationsmechanismus des Längenwachstums plausibel beschreibt. Demnach könnten biologische Systeme die Größe anhand der Ausbreitungsfrequenz von Molekülen erfassen.
Es ist ein fundamentales Prinzip des Lebens – dennoch weiß die Wissenschaft noch überraschend wenig über die Abläufe beim Wachsen. Vor allem zum Aspekt der Regulation gibt es bisher nur Vermutungen und Erklärungsansätze. Klar ist: Es ist für viele Lebewesen wichtig, dass sich bestimmte Körperformen gleichmäßig ausbilden. Würden Beine etwa eine deutlich unterschiedliche Länge erreichen, wäre die Statik des Körpers beeinträchtigt. Es muss also ein System geben, das sicherstellt, dass beim Wachstum nichts „schief“ läuft.
Über das „Längenproblem“ hat sich unter anderem schon der Physik-Nobelpreisträger Robert E. Laughlin Gedanken gemacht. Er formulierte die Annahme, dass sich Organismen offenbar selbst vermessen können. Anhand der Information reagieren sie dann entsprechend – sie stellen also beispielsweise das Längenwachstum von Armen und Beinen ein, wenn diese die vorgegebenen Ausmaße erreicht haben. Diesen bisher unkonkreten Erklärungsansatz haben nun Forscher der Universität des Saarlandes aufgegriffen.
„Molekülwellen“ könnten als Maßband fungieren
Im Rahmen ihrer Studie haben sie die Fortsätze der Nervenzellen – die sogenannten Axone als Modellsystem betrachtet. Diese Gebilde verbinden Nervenzellen untereinander und können Längen von über einem Meter erreichen. Klar ist dabei: Der Organismus muss selbst die Länge der Axone regulieren können. „Unser Modell ist nun nicht nur in der Lage zu erklären, wie Nervenzellen ihre eigene Länge bestimmen, sondern es kann auch auf biologische Systeme verallgemeinert werden“, sagt Folz.
Ihrem Ansatz zufolge könnte das Verhalten von Botenstoffen, die das Wachstum steuern, bei dem Konzept der Schlüssel sein: „Die Moleküle breiten sich in Wellen aus und werden dabei von der Hülle begrenzt – in unserem Beispiel vom Ende des Axons“, sagt Folz. Dem Modell der Forscher zufolge entsteht in einer kleinen biologischen Struktur eine hohe Frequenz bei den „Molekülwellen“ – bei einer größeren ist sie hingegen niedriger.
Auf den Punkt gebracht, vermuten die Forscher auf der Grundlage ihrer Daten nun: Biologische Systeme wie der menschliche Körper können das Schwingungsverhalten von Botenstoffen „messen“. Dadurch können sie auch die Länge bestimmter Körperteile erfassen und somit letztlich das Wachstum auf das gewünschte Maß einstellen. Somit haben sie den Erklärungsansatz von Laughlin nun gleichsam mit einem konkreten Fundament untermauert.
Quelle: Universität des Saarlandes, Physical Review E, doi: 10.1103/PhysRevE.99.050401
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