Der breite Babykopf muss sich durch eine erstaunliche Enge zwängen – warum ist der menschliche Geburtskanal im Laufe der Evolution nicht einfach etwas weiter geworden? Eine Studie verdeutlicht nun, dass zu den menschlichen Geburtsproblemen ein anatomischer Kompromiss beitrug, der mit unserer aufrechten Körperhaltung zu tun hat. Ein Problem war dabei offenbar die Funktion des Beckenbodens: Um gleichzeitig ausreichend zu stützen und dennoch eine Geburt zu ermöglichen, hat sich bei den Merkmalen dieses Gewebes ein „Besser geht’s nicht“ entwickelt, geht aus Modellsimulationen hervor.
Bei Hund, Katze und Co sowie bei den Menschenaffen verlaufen Geburten meist unproblematisch. Beim Menschen ist es im Vergleich dazu ein Drama: Geburten sind nicht nur schmerzhaft, sondern auch mit recht hohen Risiken für Mutter und Kind verbunden. Die Ursache dafür ist ein im Vergleich zu Tieren enger Geburtskanal im Verhältnis zu den großen Köpfen der Babys. Dass der menschliche Geburtskanal im Laufe der Evolution nicht einfach breiter geworden ist, wird bereits auf Kompromisse zurückgeführt, die mit unserem aufrechten Gang verknüpft sind. Der relativ schmale Geburtskanal ist demnach das Ergebnis eines evolutionären „Tauziehens” zwischen verschiedenen gegensätzlichen Selektionskräften. Die sogenannte Beckenbodenhypothese besagt dabei, dass ein noch breiterer Geburtskanal die Stützfunktion der Beckenbodenmuskulatur der Frau kritisch schwächen würde, wodurch es zu einem verstärkten „Durchhängen“ kommen würde.
Der Beckenboden im Visier
Der Beckenboden ist eine elastische Struktur, die sich vom Steißbein bis zum Schambein erstreckt. Das Muskelgewebe schützt dort die Organe, einschließlich Gebärmutter, Blase und Darm, vor dem Absacken. Diese Stützfunktion ist auch besonders wichtig, um dem Kind während der Schwangerschaft Halt zu geben. Als ein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen einem breiten Becken und einer Schwächung des Beckenbodens galt bereits die verstärkte Häufung von Beckenbodenstörungen wie verschiedenen Formen von Inkontinenz bei Frauen. Doch bisher wurde die Beckenbodenhypothese in Verbindung mit der Evolution der weiblichen Anatomie nicht konkret überprüft.
Um diese Lücke zu schließen, haben die Wissenschaftler um Nicole Grunstra von der Universitäten Wien menschliche Beckenböden verschiedener Größen am Computer simuliert. „Dieser Ansatz hat es uns ermöglicht, den Effekt der Beckengröße auf das Durchhängen isoliert zu betrachten, ohne dabei Daten lebender Menschen berücksichtigen zu müssen“, sagt Grunstra. Das Team wendete bei der Studie ein Simulationsverfahren an, das normalerweise im Bauwesen eingesetzt wird, um zu testen, inwieweit Strukturen hohem Druck und Stress standhalten können. In diesem Fall erlaubte diese sogenannte Finite-Elemente-Analyse dem Team, den Beckenboden zu modellieren, seine Parameter zu verändern und dabei zu sehen, wie sich dies auswirkt. „Man kann Prozesse im Zusammenhang mit dem Beckenboden dabei mit Belastungen wie bei einem Erdrutsch vergleichen“, sagt Co-Autor Krishna Kumar von der University of Texas in Austin.
Weiter – und auch dicker ist nicht möglich
So konnte das Team zunächst bestätigen: Die Auslenkung – das Durchhängen – des Beckenbodens stieg überproportional stark an, wenn die Beckenbodenfläche infolge eines breiteren Beckens zunimmt. Die Forscher konnten damit nun erstmals durch Simulationsdaten untermauern, dass die weibliche Anatomie einen Ausgleich zwischen Geburt und Beckenbodenstützfunktion herstellen muss. Zudem konnten sie die Beckenbodenhypothese weiter ausbauen. Denn sie gingen auch der Frage nach, warum sich zur Kompensation der Neigung zum Durchhängen nicht ein dickerer Beckenboden entwickelt hat.
Die entsprechenden Simulationen ergaben: Ein zunehmend kräftigerer Beckenboden führt aufgrund seiner höheren Steifigkeit zwar tatsächlich zu einer reduzierten Auslenkung. Allerdings nicht in einer günstigen Weise: Ein größerer und dickerer Beckenboden zeigte immer noch im Vergleich zu einem kleinen und dünnen eine relativ starke Neigung zum Durchhängen. „Das bedeutet, dass eine vollständige Kompensation der Auslenkung des Beckenbodens nur erreicht werden kann, wenn der Beckenboden unverhältnismäßig viel dicker wird”, sagt Grunstra. Wie die Wissenschaftler erklären, würde eine entsprechende Zunahme der Beckenboden-Stärke aber wiederum den Geburtsprozess deutlich erschweren.
Denn dabei muss der Unterleib der Mutter sehr hohen Druck produzieren, um die Beckenbodenmuskeln genug zu dehnen, damit das Kind geboren werden kann. Wird der Beckenboden zu dick und damit zu steif, könnte es sein, dass Frauen den notwendigen Druck durch Gebärmutterkontraktionen und Pressen nicht mehr generieren können, sagen die Forscher. „Ein dicker Beckenboden mag als Stütze für die inneren Organe und den Fötus hervorragend geeignet sein, aber letztlich muss das Kind geboren werden, und ein Beckenboden, der nicht mehr ausreichend gedehnt werden kann, würde die Geburt dramatisch erschweren, selbst wenn der Geburtskanal ausreichend groß wäre”, resümiert Grunstra. Die Forscher glauben, dass sie damit nun einen weiteren, bisher unbekannten funktionalen Faktor aufgedeckt haben, der die Evolution des menschlichen Beckens beeinflusst hat.
Quelle: Universität Wien, University of Texas, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.2022159118