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Urzeitliche Bakterien-DNA aus Zahnstein rekonstruiert

Gesundheit|Medizin

Urzeitliche Bakterien-DNA aus Zahnstein rekonstruiert
Fossiler Menschenzahn
Aus dem Zahnstein frühgeschichtlicher Menschen haben Forscher alte Bakterien-Gene rekonstruiert. © Werner Siemens Stiftung / Felix Wey

Welche Bakterien besiedelten vor Tausenden von Jahren den Mundraum unserer Vorfahren? Und welche chemischen Naturstoffe haben sie hergestellt? Antworten auf diese Fragen gibt eine neue Studie, die alte DNA aus dem Zahnstein von frühzeitlichen Menschen und Neandertalern rekonstruiert hat. Dabei entdeckten die Forscher unter anderem eine bisher unbekannte, ausgestorbene Bakterienart. Indem sie einige Gene der Urzeitbakterien in heutige Bakterien einbauten, brachten sie diese dazu, die urzeitlichen Genprodukte herzustellen: eine neue Stoffgruppe namens Paläofurane. Zukünftig könnte die Methode dazu beitragen, neue Arzneimittel wie Antibiotika zu entwickeln.

Bakterien stellen zahlreiche Stoffwechselprodukte her, von denen viele nützlich für uns Menschen sind. Viele Antibiotika beruhen beispielsweise auf Substanzen, die Bakterien zur Abwehr von Konkurrenten produzieren. Für die Wissenschaft sind die Mikroorganismen daher eine wichtige Quelle bei der Suche nach neuen Arzneimitteln. Bisher stehen dafür nur heute lebende Bakterien zur Verfügung. Auch in bereits ausgestorbenen Bakterien vermuten Forschende aber eine große Vielfalt an potentiell therapeutisch nutzbaren Naturstoffen. Eine Herausforderung liegt allerdings darin, die alten, nur noch in Bruchstücken erhaltenen DNA-Fragmente von Mikroorganismen aufzuspüren, zu isolieren und zu rekonstruieren.

Puzzlespiel mit alter DNA

Ein Team um Martin Klapper vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena hat diese Herausforderung nun gemeistert. Im Zahnstein von zwölf Neandertalern, die vor rund 100.000 bis 40.000 Jahren lebten, und von 52 anatomisch modernen Menschen, die vor 30.000 bis 150 Jahren lebten, stieß das Team auf winzige Bruchstücke der DNA urzeitlicher Mikroorganismen. Um solche DNA-Fragmente zuzuordnen und zu möglichst vollständigen Genomen zusammenzusetzen, nutzen Forschende üblicherweise Referenzdatenbanken, die die genetischen Informationen heute lebender Organismen enthalten. Dieser Ansatz half allerdings nur begrenzt weiter: Zum einen waren die DNA-Fragmente sehr klein und sehr stark abgebaut. Zum anderen stammten sie zumindest teilweise von ausgestorbenen Mikroorganismen, deren Genom bisher in keiner Datenbank erfasst ist.

„Die große bioinformatische Herausforderung lag darin, Fehler in der abgebauten DNA zu beheben und Verunreinigungen zum Beispiel durch jüngere DNA auszuschließen“, sagt Klappers Kollegin Anan Ibrahim. Mit Hilfe neuer bioinformatischer Methoden gelang es den Forschenden schließlich, DNA-Abschnitte mit einer Länge von mehr als 100.000 Basenpaaren zu rekonstruieren und eine Vielzahl alter Gene und Genome wiederherzustellen. „Wir können jetzt beginnen, Milliarden unbekannter alter DNA-Fragmente systematisch in lange verschollene bakterielle Genome aus der Steinzeit einzuordnen“, so Co-Autor Alexander Hübner vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Neue Stoffgruppe aus Urzeitbakterien

In den rekonstruierten Genomen stieß das Team zum einen auf die genetischen Spuren von zahlreichen Mikroorganismen, die noch heute Bestandteil unserer Mundflora sind. Zum anderen entdeckten sie im Zahnstein von sieben Menschen und Neandertalern eine bisher unbekannte Art von Bakterien der Gattung Chlorobium. Alle sieben Chlorobium-Genome enthielten ein Biosynthese-Gencluster – den Bauplan für Enzyme – mit unbekannter Funktion. Ein besonders gut erhaltenes Chlorobium-Genom wurde aus dem Zahnstein der etwa 19.000 Jahre alten „Roten Dame von El Mirón“, Spanien, rekonstruiert. Das 2010 in einer spanischen Höhle gefundene Skelett ist der älteste Beleg für eine Beisetzung in der Epoche des Magdalénien auf der Iberischen Halbinsel.

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„Nachdem wir diese rätselhaften alten Gene entdeckt hatten, wollten wir herauszufinden, was sie bewirken“, sagt Ibrahim. Dazu baute das Forschungsteam die urzeitlichen Gene in das Genom lebender Bakterien ein. Diese begannen daraufhin, die entsprechenden Genprodukte herzustellen. Das Ergebnis waren Substanzen aus einer bisher unbekannten Stoffgruppe, der die Forschenden den Namen Paläofurane gaben. „Das ist der erste Schritt, um die verborgene chemische Vielfalt der Mikroben der Erdgeschichte zu erschließen“, sagt Klapper. Mit der gleichen Technik könnten sie in Zukunft zahlreiche weitere Genprodukte aus Urzeitbakterien herstellen lassen. „Mit dieser Studie haben wir einen wichtigen Meilenstein erreicht, um die enorme genetische und chemische Vielfalt unserer mikrobiellen Vergangenheit aufzudecken“, sagt Hübners Kollegin Christina Warinner.

Quelle: Martin Klapper (Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie, Jena) et al., Science, doi: 10.1126/science.adf5300

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