Rund sieben von zehn Schwangeren leiden während der Schwangerschaft unter Übelkeit und Erbrechen. Eine Studie hat nun die Mechanismen dahinter aufgedeckt: Hauptverantwortlich für die Übelkeit ist demnach ein Hormon namens GDF15, das vom Fötus produziert wird. Je weniger die Mutter vor der Schwangerschaft von diesem Hormon hatte und je mehr der Fötus produziert, desto schlimmer ist die Übelkeit – teils bis hin zu Krankenhauseinweisungen. Die Erkenntnisse könnten Behandlungsmöglichkeiten eröffnen, die entweder darauf zielen, gefährdete Frauen schon vor der Schwangerschaft an GDF15 zu gewöhnen, oder während der Schwangerschaft die Auswirkungen des Hormons zu verringern.
Vor allem zu Beginn einer Schwangerschaft leiden viele Frauen unter Übelkeit und Erbrechen. Bei manchen sind die Symptome so stark ausgeprägt, dass eine lebensgefährliche Dehydrierung droht. Die sogenannte Hyperemesis gravidarum, eine besonders schwere Form der Schwangerschaftsübelkeit, ist daher einer der häufigsten Gründe für Krankenhauseinweisungen im ersten Trimester der Schwangerschaft. Die Ursachen waren lange unklar und die Behandlungsmöglichkeiten beschränkten sich darauf, Betroffenen intravenös Flüssigkeit zu verabreichen und Medikamente gegen allgemeine Übelkeit zu verschreiben.
Fetales Hormon als Ursache
Ein Team um Marlena Fejzo von der University of Southern California ist nun den Ursachen der Schwangerschaftsübelkeit auf den Grund gegangen. Bereits frühere Studien hatten Hinweise darauf geliefert, dass das Hormon GDF15 eine Rolle spielen könnte. Dabei handelt es sich um ein Wachstumsdifferenzierungshormon, das in den meisten Organen des Körpers in niedriger Konzentration produziert wird und während der Schwangerschaft verstärkt vom Fötus in den mütterlichen Organismus freigesetzt wird. Ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang zwischen GDF15 und Schwangerschaftsübelkeit besteht, war allerdings noch unklar.
Mit einer Kombination verschiedener Methoden – von Bluttests und genetischen Untersuchungen bis hin zu Tierversuchen – haben Fejzo und ihr Team nun nachgewiesen, dass die Schwangerschaftsübelkeit, einschließlich der schweren Form, wirklich durch GDF15 ausgelöst wird. Besonders schwer ausgeprägt ist die Übelkeit demnach bei Frauen, die vor der Schwangerschaft eine geringe GDF15-Konzentration hatten. Offenbar ist ihr Körper kaum an das Hormon gewöhnt und reagiert deshalb besonders stark, wenn er während der Schwangerschaft mit hohen Konzentrationen des Hormons konfrontiert wird. „Wir wissen jetzt, dass Frauen während der Schwangerschaft unter Übelkeit leiden, wenn sie höheren Konzentrationen des Hormons GDF15 ausgesetzt sind, als sie es gewohnt sind“, erklärt Fejzo.
Unterschiedliche Empfindlichkeit für GDF15
Genanalysen zeigten, dass eine seltene Mutation im GDF15-Gen der Mutter das Risiko für Hyperemesis gravidarum erhöhen kann. Diese Mutation sorgt dafür, dass der GDF15-Spiegel außerhalb der Schwangerschaft abnormal niedrig ist. Trägt der Fötus die gleiche Mutation, ist das Übelkeitsrisiko der Mutter nicht erhöht. Produziert der Fötus dagegen in normalem Maße GDF15, hat die Mutter ein mindestens zehnfach erhöhtes Risiko für schwere Schwangerschaftsübelkeit. Frauen dagegen, die an der Erbkrankheit beta-Thalassämie leiden, die neben zahlreichen anderen Symptomen dafür sorgt, dass der GDF15-Spiegel auch außerhalb der Schwangerschaft besonders hoch ist, haben in der Schwangerschaft kaum Probleme mit Übelkeit – wahrscheinlich, weil ihr Körper an das Hormon gewöhnt ist.
Um diese Zusammenhänge weiter zu überprüfen, verabreichten die Forschenden Mäusen hohe Dosen von GDF15, um die Konzentrationen während einer Schwangerschaft zu simulieren. Als Reaktion zeigten die Mäuse Appetitlosigkeit, was darauf hindeutet, dass ihnen übel war. Starteten die Forschenden jedoch mit niedrigen Dosen, die sie langsam steigerten, fraßen die Mäuse, die auf diese Weise an das Hormon gewöhnt worden waren, auch bei hohen Konzentrationen normal. Aus Sicht der Forschenden deutet dieses Ergebnis darauf hin, dass es für besonders übelkeitsgefährdete Frauen mit Kinderwunsch sinnvoll sein könnte, bereits vor einer geplanten Schwangerschaft GDF15 einzunehmen, um ihren Körper auf das Hormon vorzubereiten.
Möglichkeiten für neue Behandlungen
Ein weiterer Behandlungsansatz könnte sein, während der Schwangerschaft den GDF15-Spiegel zu senken. Obwohl bislang noch nicht vollständig geklärt ist, für welche Prozesse während der Embryonalentwicklung das Hormon wichtig ist, liefert die Studie erste Hinweise, dass auch ein niedriger GDF15-Spiegel für Mutter und Kind sicher sein kann. So wurden bei Schwangerschaften, bei denen sowohl die Mutter als auch der Fötus die Mutation im GDF15-Gen aufwiesen, die Babys normal entwickelt und gesund geboren.
In zukünftigen Studien will das Forschungsteam verschiedene Optionen testen, die Frauen mit Schwangerschaftsübelkeit helfen könnten – darunter eine Gewöhnung an GDF15 vor der Schwangerschaft, eine Absenkung des Spiegels während der Schwangerschaft sowie eine neue Gruppe von Medikamenten, die die Andockstellen für GDF15 im Gehirn der Mutter blockieren. „Jetzt, da wir die Hauptursache von Hyperemesis gravidarum verstehen, sind wir der Entwicklung wirksamer Behandlungen hoffentlich einen Schritt näher gekommen“, sagt Fejzo.
Quelle: Marlena Fejzo (University of Southern California) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-023-06921-9