„Die erste Zigarette hab ich eigentlich als unangenehm empfunden, doch dann…“ Nikotin hat einen abstoßenden Teileffekt, der später allerdings von der suchtfördernden Wirkung übertrumpft wird. Dieser Nikotin-Aversion sind Hirnforscher nun auf die Spur gekommen: Sie haben bei Mäusen aufgeklärt, welche Nervenzellen bei den unangenehmen Gefühlen eine Rolle spielen. Die Erkenntnisse könnten möglicherweise zu neuen Therapien zur Behandlung von Nikotinabhängigkeit führen, sagen die Wissenschaftler.
Dass Nikotin eine doppelte Wirkung auf das Gehirn hat, ist bereits lange bekannt. Der Effekt spiegelt sich darin wider, dass viele Menschen von eher zwiespältigen Ersterfahrungen mit dem Rauchen berichten: Häufig entfaltet die Substanz anfangs ein überwiegend unangenehmes Gefühl – es löst Widerwillen aus und einigen Menschen wird sogar übel. Manche hält dies sogar davon ab, zu Rauchern zu werden. Doch andere zünden sich aus verschiedenen Gründen immer wieder eine Zigarette an, bis schließlich die angenehme Wirkung des Nikotins dominiert. Klar ist: Raucher-Verhalten ist komplex und wird von vielen persönlichen und sozialen Faktoren beeinflusst.
Was es mit dem unangenehmen Aspekt der Substanz auf sich hat und wo die Aversion im Gehirn entsteht, ist bisher weitgehend unklar geblieben. Diesem Forschungsthema haben sich nun die Wissenschaftler um Taryn Grieder von der University of Toronto gewidmet. Bisher nahm man an, dass die Ursache für die gegensätzlichen Wirkungen von Nikotin auf Nervenreaktionen in verschiedenen Teilen des Gehirns beruht. Die Forscher hatten nun allerdings einen anderen Verdacht: Ihr Fokus richtete sich auf unterschiedliche Nerven in einem speziellen Hirnareal, das bekanntermaßen eine Bedeutung im Belohnungssystem des Gehirns besitzt: das Tegmentalis Ventralis Areal (VTA). Dort befinden sich zwei unterschiedliche Gruppen von Nervenzellen, die bei Aktivierung verschiedene Neurotransmitter ausschütten: Dopamin- oder GABA-Neuronen.
Mäuse für die Nikotin-Forschung
Um der Funktion dieser beiden Nerventypen des VTA bei der Wirkung von Nikotin auf die Spur zu kommen, führten die Wissenschaftler Versuche mit Mäusen als Modell für den Menschen durch. Obwohl sich die beiden Zelltypen im VTA mischen, konnten die Forscher sie durch clevere Tricks separat voneinander untersuchen. Sie nutzten dazu eine genetisch veränderte Mauszuchtlinie, die keinerlei Nikotinrezeptoren auf Nerven ausbildet. Diese Tiere machen deshalb auch weder angenehme noch unangenehme Erfahrungen, wenn sie Nikotin ausgesetzt sind. Diesen Mäusen verpassten die Forscher dann allerdings erneut selektiv künstliche Nikotinrezeptoren: Sie infizierten sie mit Viren, die so konstruiert waren, dass sie Nikotinrezeptoren nur in einer der beiden Neuronen-Versionen etablierten. Es wurden also entweder nur die Dopamin-Neuronen oder die GABA-Neuronen erneut sensibel gegenüber der Substanz. Die Versuchstiere wurden dann einem Standard-Verhaltenstest unterzogen, der die belohnende oder abschreckende Wirkung von Nikotin erfassen kann.
Es zeigte sich: Die Dopamin-Neuronen im VTA waren für die Abneigung verantwortlich, während die GABA-Neuronen bei den Mäusen Belohnungsgefühle im Zusammenhang mit Nikotingaben vermittelten. Interessanterweise steht der Befund damit im Widerspruch zu der bisher angenommen Regel, dass Dopamin das wichtigste Belohnungssignal im Hirnsystem darstellt. “Es zeichnet sich ab, dass Nikotin verschiedene Populationen von Neuronen im gleichen Hirnareal trifft, die dann mit anderen Regionen über ihre Signale in Verbindung treten”, sagt Grieder.
Lässt sich Nikotin wieder abstoßend machen?
Wie die Forscher erklären, zeichnet sich nun folgender Ablauf beim Beginn des Rauchens ab: Wenn jemand zum ersten Mal raucht, zielt das Nikotin auf alle seine Rezeptoren im VTA ab und erzeugt sowohl Gefühle des Vergnügens als auch der Abneigung. Wenn die Person dann allerdings weiter raucht, verschiebt sich das System zugunsten des Vergnügens: “Je mehr jemand raucht, desto mehr verändern sich die Mengen an Rezeptoren und die Signalprozesse im Belohnungssystem des Gehirns”, sagt Grieder.
Wenn sich dann schließlich eine Nikotinabhängigkeit einstellt, ändert sich offenbar auch die Rolle der Dopamin-Neuronen, berichten die Wissenschaftler: Während sie bei nicht abhängigen Tieren für die Abneigung verantwortlich sind, vermitteln sie bei abhängigen Mäusen wiederum die Abneigung gegen den Entzug der Substanz. Die angenehme Wirkung wird nun um den Drang erweitert, das Gehirn weiter mit Nikotin zu versorgen. “Wenn man zur Sucht übergeht, ändert sich das Motivationssystem des Gehirns”, so Grieder. “Es geht nicht mehr nur darum, das gute Gefühl zu bekommen – es geht darum, die schlechten Gefühle zu lindern, wenn nicht genug Nikotin im System vorhanden ist.”
Die Wissenschaftler hoffen nun, dass ihre Entdeckungen zu Medikamenten zur Raucherentwöhnung führen können, die den Hebel an dem Effekt der Nikotinaversion ansetzen. Es gibt zwar bereits Nikotinersatztherapien, die Raucher schrittweise vom Nikotin entwöhnen sollen – doch sie haben mäßigen Erfolg. Die aktuellen Ergebnisse könnten nun zu einer Behandlungsform bei Rauchen führen, die einem bekannten Therapieansatz bei Alkoholsucht ähnelt: Dabei kommt ein Medikament zum Einsatz, das bei Alkoholkonsum Übelkeit verursacht, wodurch bei den Betroffenen eine Aversion gegen die Substanz induziert wird. „Möglicherweise könnte man auch Rauchern das Aufhören erleichtern, indem man ihnen etwas gibt, das bei Nikotinkonsum ein unangenehmes Gefühl auslöst“, so Grieder.
Quelle: University of Toronto, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.1908724116