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Theo Kelz: Der Mann mit den neuen Händen

Gesundheit|Medizin

Theo Kelz: Der Mann mit den neuen Händen
Im August 1994 zerfetzte eine Bombe beide Hände von Theo Kelz. Sechs Jahre später wurden ihm die Hände eines hirntoten Spenders transplantiert. Wie kommt er, wie kommen andere Patienten mit den fremden Organen zurecht?

Seine neuen Hände sah Theo Kelz erstmals im Traum. Es war im Oktober 1994, zwei Monate, nachdem eine Bombe Teile seiner Unterarme zerfetzt hatte. „Ich war in einem Dämmerschlaf, als ich plötzlich zwei eingegipste Hände vor mir zu sehen glaubte. Nur die Fingerkuppen lugten heraus. Da wusste ich: Das sind meine neuen Hände”, erzählt der Österreicher aus Kärnten. Das Traumbild und ein unerschütterlicher Wille trieben den damals 41-Jährigen an. Er wollte sein Leben wieder begreifen, seinen Körper spüren, seine Frau fühlen – so wie vor der Schreckensnacht am 24. August 1994.

Damals hatten Polizisten vor dem Eingang einer deutsch-slowenischen Grundschule in Klagenfurt ein verdächtiges verschlossenes Plastikrohr entdeckt. Die Beamten informierten die zuständigen Sprengstoffexperten, darunter Theo Kelz. „Die Bombe war so raffiniert gebaut, dass man weder Drähte noch einen Zünder sah”, erinnert er sich. „Wir wussten anfangs gar nicht, was in dem Ding überhaupt drin war: Plutonium, Drogen oder Sprengstoff?” Es gelang Kelz, das Rohr zu öffnen und eine fünf Kilogramm schwere schwarze Masse, die sich später als Sprengstoff herausstellte, zu entfernen. Der Rest der Konstruktion wurde in der Gepäckkontrolle des Klagenfurter Flughafens durchleuchtet. Just in dem Moment, in dem das Förderband anrollte, wurde der Zeitzünder scharf – die Bombe ging hoch. „Es brannte fürchterlich, von der Brust herauf bis ins Gesicht. Ich wurde zurückgeschleudert, blieb jedoch bei Bewusstsein. Ich konnte nichts mehr sehen, auch meine Augen waren bei der Explosion verletzt worden. Aber ich spürte, wie das Blut aus meinen Armen schoss”, erinnert sich Kelz. Fast zwölf Jahre sind seit dem Anschlag vergangen und noch immer schleicht der Schrecken in sein Gesicht, wenn er davon erzählt. „Ich habe nur noch geschrien: Bindet mir die Hände ab!” Österreichs Top-Terrorist der Neunzigerjahre, Franz Fuchs, wollte mit der Bombe das Land von „ ausländischem Ungeziefer” befreien – tatsächlich hatte er einen Landsmann verstümmelt.

Heute trägt Theo Kelz eine Brille und hat zwei neue Hände. Die Verletzungen an den Augen lassen sich nur noch erahnen. Und auch die Nähte an den Unterarmen werden erst sichtbar, wenn Kelz seine Hemdsärmel aufkrempelt. Auf der Außenseite der Arme trennt ein feiner weißer Strich das Alte vom Neuen – das Zartrosa seiner Haut vom leicht gelblichen Ton der Spenderhände. Auf der Innenseite sind die Spuren der Operation deutlicher zu sehen. „ Teile des Unterarmmuskels mussten mittransplantiert werden”, erklärt Kelz die Ursache der Wülste.

Bis seine Vision von den neuen Händen Wirklichkeit wurde, vergingen sechs Jahre. In der Zwischenzeit musste er sich mit Prothesen begnügen. Quälende Phantomschmerzen in den Armstümpfen und peinliche Missgeschicke waren die Folge. „Wenn mir jemand die Hand gegeben hat, kam es manchmal vor, dass sich die Prothese festklammerte und die Hand des anderen einfach nicht mehr losließ” , schmunzelt der 52-Jährige heute.

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Im September 1998 schickte sich die Medizin an, Kelz’ Traum zu verwirklichen: Der französische Transplantationsspezialist Jean-Michel Dubernard verpflanzte dem Neuseeländer Clint Hallam in Lyon erstmals die Hand eines Toten – erfolgreich. Die Ärzte der Universitätsklinik für Chirurgie in Innsbruck beschlossen, den Schritt auch bei Theo Kelz zu wagen. Am 7. März 2000 wurde er operiert – 17 Stunden lang. „Es mussten zuerst Elle und Speiche zusammengefügt, dann zwei Schlagadern und drei Venen verbunden werden. Anschließend wurden die wichtigsten Nerven sowie etwa 20 Sehnen, Muskeln und Haut zusammengeflickt”, erklärt der Innsbrucker Professor Raimund Margreiter das Prozedere. „Als ich aus der Narkose erwachte, sah ich die Fingerkuppen meiner neuen Hände aus dem Gips hervorlugen – wie in meinem Traum”, erinnert sich Kelz, noch heute sichtlich gerührt.

Der Eingriff war erfolgreich – doch die Gliedmaßen blieben vorerst taub. Monatelang spürte Kelz nichts. „Das ist ganz normal” , erklärt Experte Margreiter. „Die Nerven aus den Armstümpfen von Theo Kelz mussten erst in die neuen Hände hineinwachsen, um diese wieder zum Leben zu erwecken. Das ist ein langwieriger Prozess – durchschnittlich wird täglich nur ein Millimeter der Nerven neu verlegt. Die große Gefahr besteht darin, dass die Muskulatur der Hände in der Zwischenzeit zu stark verkümmert.”

Nicht nur die Spenderhände, auch Teile von Kelz’ Hirnrinde mussten erst nach und nach wieder lernen, auf Reize zu reagieren. Denn jenes Areal, das normalerweise die Signale aus der Hand verarbeitet, hatte sich längst an die Funkstille gewöhnt. „Drei Monate nach der Operation ging ich ein Bier trinken und wollte das Glas zwischen meine damals noch tauben Hände klemmen. Da spürte ich etwas Kaltes. Ich bin richtig erschrocken”, erinnert sich Kelz an das erste Gefühl. Sechs bis sieben Stunden trainierte er täglich – nicht mit Hauruck und Hanteln, das hätte Hände und Halterung verletzt. Vielmehr musste er Bewegungen immer wieder vor seinem geistigen Auge ablaufen lassen. Nach einem halben Jahr schaffte er es, ein Blatt Papier zwischen Daumen und Zeigefinger zu klemmen. Die Kraft, es hochzuheben, hatte er allerdings noch nicht.

Mittlerweile – fast sechs Jahre später – schließen sich seine Hände kräftig und sicher. Problemlos tragen sie ein Glas Wasser herbei, schenken Kaffee und Milch ein, rücken die Keksschale zurecht. „Nur das Schließen des obersten Hemdknopfs, den ich nicht sehen kann, bereitet mir Probleme – aber das werde ich auch noch lernen”, sagt Kelz und lehnt sich zuversichtlich zurück.

Die Hände des Spenders hat er von Anfang an akzeptiert. „Das sind meine neuen Hände!”, wird er nicht müde zu betonen. Von fremden Händen oder denen eines Toten will er nichts hören. „ Jahrelang habe ich mich mental darauf eingestellt, habe mir ausgemalt, wie es ist, neue Hände zu haben. Eine solche Vorbereitung wäre sicherlich auch für andere Transplantations-Patienten wichtig.”

Es ist nicht einfach, ein fremdes Organ zu akzeptieren – physisch wie psychisch. Der Körper reagiert aggressiv, versucht, das unbekannte Gewebe abzustoßen. Das Immunsystem von Theo Kelz wollte die neuen Hände am 57. Tag nach der Operation sichtbar wieder loswerden. Die anfangs vereinzelt auftretenden roten Pusteln zogen sich bald wie ein bedrohliches Geflecht über die Hand. „Da wir über Haut, Darm und Lunge ständig mit unserer Umwelt in Kontakt sind, bauen gerade diese Organe extrem starke Immunbarrieren auf, um den Körper vor Infektionserregern zu schützen. Das ist der Grund dafür, dass sie immunologisch so schwer zu transplantieren sind”, erklärt Professor Margreiter.

Theo Kelz erhielt eine extra starke Dosis Cortisol. Wie alle anderen Transplantations-Patienten auch, muss er für den Rest seines Lebens Immunsuppressiva nehmen – Medikamente, die die Abwehrkräfte des Körpers und die Attacken auf das fremde Organ reduzieren. Allerdings sinkt durch sie auch der Schutz vor Bakterien, Pilzen und Viren – das Risiko von Infektionen und Krebs steigt.

Nicht nur die Medikamente, die zur täglichen Pflicht werden, erinnern die Menschen an die Operation. Theo Kelz hat seine Transplantate ständig vor Augen. Aber auch Organe, die im Inneren des Körpers liegen, können sich bemerkbar machen. Beim Herzen beispielsweise ist nach einer Transplantation die neuronale Steuerung gekappt, also die direkte Verbindung zum Gehirn. Informationen können nur über das Blut weitergeleitet werden. Verzögerte Reaktionen sind bei manchen Menschen die Folge. Wenn sie die Treppe hochsteigen, beginnt ihr Herz erst dann zu rasen, wenn sie schon längst oben sind. Und: Aus einer Schrecksekunde werden zwei.

Auch die Niere kann als Fremdkörper zu spüren sein. Denn sie wird nicht an ihren ursprünglichen Platz im unteren Teil des Rückens eingepflanzt, sondern in das kleine Becken der Bauchhöhle – das erleichtert die Operation und spätere Kontrolluntersuchungen. Bei bestimmten Bewegungen lässt sich das nicht mehr verankerte Organ durch die Bauchdecke ertasten – für viele ein irritierendes Gefühl. Auch eine transplantierte Leber ist nur lose im Gewebe eingebunden: „Die Leber schwappt dann so hin und her, wenn man sich dreht. Das habe ich so ähnlich wie eine Schwangerschaft empfunden”, berichtet eine Patientin, die von Vera Kalitzkus befragt wurde. Für ihre ungewöhnliche Dissertation untersuchte die Göttinger Ethnologin das Leben und Leiden von 42 Transplantations-Patienten und Spender-Familien nach einer Operation.

Am Anfang steht vor allem das Glück über den gelungenen Eingriff. Leistungsfähigkeit und Lebensfreude kehren zurück, strenge Diäten oder – wie bei Nierenpatienten – das Verbot, Wasser zu trinken, entfallen.

Nach diesem anfänglichen euphorischen Schub macht sich bei vielen Betroffenen die Angst breit, das Transplantat zu verlieren. Sie werden sich schlagartig bewusst, zwar zur Zeit gerettet, aber dennoch nicht vollständig gesund zu sein. Die einen reagieren eher passiv und sind nach der Operation „näher am Wasser gebaut”, wie Vera Kalitzkus es beschreibt. Andere reagieren aktiv und treiben Sport, um ihre Leistungsfähigkeit zu beweisen.

„Viele Patienten beginnen, ihren Körper mit einem medizinischen Blick zu betrachten – also mit einem gewissen Abstand, einer gewissen Objektivität”, sagt Kalitzkus. Ein Patient, der Probleme mit dem neuen Herzen hatte, verglich es mit einem Dreizylindermotor, der auch nicht so flott arbeite wie ein Fünfzylinder – ein eigenes, gesundes Herz.

Dieser objektive Blick auf den eigenen Körper ist typisch für westliche Kulturen. Seit René Descartes im 17. Jahrhundert den Rationalismus begründete, werden Körper und Geist als zwei getrennte Teile gesehen und die Organe zunehmend entpersonalisiert. Menschen, die diese medizintechnische Sicht verinnerlicht haben, kommen mit den Folgen einer Operation in der Regel leichter zurecht, hat Vera Kalitzkus beobachtet.

Dass Objektivität oft mehr Wunsch als Wirklichkeit ist, zeigt allerdings die Tatsache, dass manche Transplantations-Patienten Schuldgefühle gegenüber den Spendern entwickeln. „Unbewusst glauben sie, dass sie durch ihr Hoffen auf ein Organ den Tod eines Menschen ausgelöst haben. Der Begriff ,Spenderwetter‘ – etwa für die ersten Frühlingstage, die viele Motorradfahrer auf die noch vereisten Straßen locken –, ist Ausdruck dieses Phänomens”, erklärt Oliver Decker, Mitarbeiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universität Leipzig. „Diese Vorstellung klingt lächerlich, aber das ,magische Denken‘ – also der Glaube, dass Gedanken das Geschehen beeinflussen können – ist tief in uns verwurzelt.” Vera Kalitzkus sekundiert: „Allein die Tatsache, vom Tod eines Menschen zu profitieren und insgeheim darauf zu hoffen, ist ein gesellschaftliches und kulturelles Tabu.”

Für Theo Kelz sind die neuen Hände „das größte Geschenk meines Lebens”. Das hört die Familie des Spenders gern. Doch auch sie hat schwere Zeiten hinter sich. Der Rummel, den die Operation in den Medien ausgelöst hat, überrollte sie ohne Vorwarnung. Das österreichische Fernsehen zeigte einen Bericht über die Transplantation, das Bild der blutverschmierten, abgelösten Hände in Großaufnahme. „Wir waren sehr erschrocken, hatten nicht damit gerechnet, so etwas zu sehen”, erinnert sich ein Familienmitglied. „Da hat jegliche Aufklärung, Vorbereitung und Beratung gefehlt.”

Auch für viele andere Spender-Familien, berichtet Vera Kalitzkus, ist die Situation belastend. Sie sind zwar froh, einem Menschen geholfen zu haben, doch die Hektik auf der Intensivstation hat sie überfordert und der Schmerz über den ruhelosen Abschied bleibt bestehen. Mehr Zeit wünschen sich die einen im Nachhinein. Doch die kann bei einer Transplantation wohl keiner geben. Mehr Information fordern die anderen. Dieser Wunsch lässt sich erfüllen, indem Öffentlichkeit und Ärzte mehr über das Thema sprechen.

Theo Kelz weiß nicht, wer ihm die Hände gespendet hat. „Das ist auch besser so”, sagt er. „In Amerika können die Empfänger alles über das Leben des Spenders erfahren und glauben dann manchmal, sich zu verändern und zu werden wie er.” Tatsächlich gibt es immer wieder Berichte, wonach die Empfänger Vorlieben und Abneigungen des Spenders übernehmen: Fast-Food-Verächter bekommen plötzlich Heißhunger auf Hamburger und Chips, Klassikfreunde werden zu Rockfans, Couch-Potatoes zu Sofamuffeln. Die Lebensgewohnheiten eines Menschen, so die Erklärung des amerikanischen Kardiologen und Neurologen Paul Pearsall, seien in jeder einzelnen Zelle gespeichert – und würden durch eine Transplantation auf den anderen Menschen übertragen. „Es ist schon skurril”, meint Theo Kelz, „wenn die Leute sich zuerst über die Vorlieben des Spenders informieren und sie dann – nicht zuletzt durch Suggestivfragen – auf den Empfänger übertragen.” Auch Oliver Decker rückt das Szenario zurecht. „Es stimmt, dass biografische Erfahrungen bis in die Zellstruktur reichen, wie auch eine Narbe körperlich gewordene Lebensgeschichte ist. Auch können das Immunsystem und das zentrale Nervensystem als persönliches Gedächtnis verstanden werden. Aber es ist absurd zu glauben, dass in einer Zelle gespeichert ist, welche Musik wir gerne hören.”

Allerdings, das räumt der Leipziger Psychologe ein, können nach einer Transplantation Identitätsprobleme auftreten. Da ein fremdes Organ in den eigenen Körper eingedrungen ist, wird die Trennung von Innen und Außen, Eigen und Fremd aufgehoben. „ Manchmal hatte ich das Gefühl, dass noch jemand anders bei mir war und dass auf irgendeine nicht näher bestimmbare Weise mein Ichgefühl zu einer Art Wir geworden war … Es fühlte sich so an, als ob ich meinen Körper mit einer zweiten Seele teilen würde”, berichtet die herztransplantierte Amerikanerin Claire Sylvia in ihrer Autobiografie „Herzensfremd”. „Wie einst als Kinder müssen manche Patienten erst wieder lernen, den Körper als Einheit zu sehen”, sagt Decker.

Die Fantasien und Vorstellungen eines geteilten Körpers kommen in neueren Studien häufig zur Sprache. Dagegen scheinen schwere psychische Krisen nach einer Transplantation – von denen ältere Publikationen berichten – durch eine bessere psychologische Betreuung aufgefangen zu werden.

Wie wichtig es ist, dass nicht nur der Patient selbst, sondern auch sein Umfeld die neue Situation akzeptiert, betont Theo Kelz immer wieder. „Meine Frau und meine Tochter haben mich von Anfang an unterstützt”, sagt er. „Vor allem zu Beginn, wenn man selbst noch unsicher ist, ist dieser Halt unerlässlich.”

Anders als bei Theo Kelz konnte die Familie von Clint Hallam – dem 1998 die linke Hand transplantiert worden war – keine Stütze sein. Seine Frau verließ ihn, seine Kinder wandten sich von ihm ab, wollten ihm nicht mehr die Hand geben. Hallam selbst begann, das Transplantat zu verfluchen. Er versteckte es hinter seinem Rücken, nahm die lebenswichtigen Immunsuppressiva nicht mehr regelmäßig ein, unterbrach die Physiotherapie. Drei Jahre nach der Transplantation ließ er sich seine neue Hand abnehmen.

Schmerzhafte Erfahrungen musste auch Theo Kelz machen. Allerdings waren es nicht Freunde oder Verwandte, die ihn vor den Kopf stießen, sondern Menschen, die er gar nicht kannte. Anonyme Anrufer warfen ihm vor, den Status der Frührentner zu gefährden, weil er neun Monate nach der Explosion mit seinen Prothesen und neun Monate nach der Transplantation mit seinen neuen Händen den Dienst als Polizist – diesmal im Innendienst – wieder aufgenommen hatte.

Abgesehen von solch irrwitzigen Vorwürfen kochen vor allem ethische und moralische Fragen in der Gesellschaft hoch. Wie weit kann, wie weit darf die moderne Medizin gehen, die neben Organen und Körperteilen mittlerweile auch versucht, fremde Hirnzellen zu transplantieren, um Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson zu heilen? Was steuert letzlich das Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen: das eigene oder das fremde Gewebe? Und wie steht es um die Pläne des amerikanischen Neurochirurgen Robert White, der einen Freiwilligen sucht, um dessen Kopf auf einen anderen Körper zu verpflanzen? „Rein technisch gesehen ist so eine Operation sogar leichter als eine Handtransplantation”, sagt der Innsbrucker Chirurg Margreiter. „Allerdings werden das zentrale und das periphere Nervensystem wohl nicht mehr zusammenfinden. Es wachsen ja nur die Nerven aus dem Kopf in den Körper nach und nicht umgekehrt.”

Fast ebenso befremdend mutet eine neue Erfolgsmeldung aus der Transplantationsmedizin an. Ende November 2005 verpflanzte der Chirurg Jean-Michel Dubernand, der bereits mit seiner Hand-Transplantation einen Meilenstein gesetzt hatte, im nordfranzösischen Amiens erstmals das Gesicht einer Toten – zumindest ein großes Stück davon. Die 38-jährige Isabelle Dinoire war wenige Monate zuvor von ihrem Hund gebissen worden und hatte ihren Mund sowie Teile der Nase und des Kinns verloren. Sie konnte nicht mehr richtig sprechen, musste mit Schläuchen gefüttert werden. „Es war, als schaue man dem Leben und dem Tod gleichzeitig ins Gesicht”, sagte die betreuende Psychiaterin Sophie Cremades der New York Times. Herkömmliche Operationen, bei denen Hautstücke des Rückens, des Gesäßes und des Oberschenkels verpflanzt werden, hätten die klaffenden Wunden nicht heilen können. Dank der Transplantation aber hatte Isabelle Dinoire nach acht Stunden wieder ein Gesicht.

Sofort ergriffen die Kritiker das Wort. Die einen forderten, es müsse garantiert werden, dass das gespendete Gesicht nicht wiederzuerkennen sei. „Diese Befürchtungen sind völlig unbegründet”, sagt Transplantationsspezialist Margreiter. „Jeder Mensch hat einen eigenen Knochenbau, sodass jedes Gesicht darauf verschieden aussieht.”

Andere gaben zu bedenken, dass die medizinischen, ethischen und vor allem psychischen Probleme einer Gesichtstransplantation nicht abschätzbar seien. Lässt sich ein fremdes Antlitz überhaupt akzeptieren? Für Theo Kelz ist die Antwort klar: „Man muss sich nur die umgekehrte Frage stellen: Ist es möglich, ohne Gesicht zu leben?” ■

Bettina Gartner

Ohne Titel

• Was Theo Kelz nach seiner Transplantation half, war sein unerschütterlicher Wille. • Schuldgefühle blieben ihm erspart. Andere Patienten fühlen sich für den Tod des Spenders verantwortlich.

• Viele Spenderfamilien sind überfordert.

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In: Simone Ehm und Silke Schicktanz (Hrsg.)

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