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Supermans Traum

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Supermans Traum
Was bei Ratten längst Erfolg hat, kann bald auch Menschen helfen: Therapien gegen Querschnittslähmung stehen kurz vor dem Einsatz.

Sie hatten zunächst wenig gemeinsam: der US-Schauspieler, blendend aussehend und beliebt, in Hollywood ebenso zu Hause wie auf der politischen Bühne. Seine Paraderolle war der Held in einem modernen Märchen – Superman. Und der Schweizer Biologe, ein nüchterner Laborwissenschaftler, Experte für Nervenwachstum, in der Fachwelt ein Großer, außerhalb nahezu unbekannt.

Doch das Schicksal verband sie, so dass sie Vertraute wurden und Verbündete: Christopher Reeve, der Filmstar, und Martin E. Schwab, der Wissenschaftler.

Denn im Mai 1995 fiel der Schauspieler, ein begeisterter Reiter, bei einem Turnier so unglücklich vom Pferd, dass er fortan vom zweiten Halswirbel an abwärts gelähmt war. Für nahezu jede Verrichtung – Essen, Waschen, Anziehen – brauchte er nun Hilfe. Nicht einmal atmen konnte er ohne Apparate und seine Blase musste künstlich entleert werden.

Was dem zuvor so aktiven Mann nach Wochen der Verzweiflung wieder Hoffnung gab, war sein Vertrauen in die Wissenschaft. „ Eines Tages werde ich aus diesem Rollstuhl aufstehen”, davon war Christopher Reeve überzeugt. Der medizinische Fortschritt werde es möglich machen.

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„Er wusste, wovon er sprach”, sagt Martin Schwab über den im Oktober 2004 verstorbenen Freund. „Wie er mir einmal erzählte, hatte er im College Biologie belegt, weil seine Mutter die Schauspielerei zunächst für eine brotlose Kunst hielt.”

Innerhalb kürzester Zeit verschaffte sich der Mime nach seinem Unfall einen Überblick über den Forschungsstand. Und beschloss einzugreifen, damit es schneller voranging. So wurde aus dem Superman-Darsteller ein Lobbyist der medizinischen Forschung, der Gelder eintrieb, Projekte anstieß und auf Konferenzen sprach. Wissenschaftler wie Martin E. Schwab wurden zu seinen Helden, zu seinen Supermen. Er traute ihnen viel zu, trieb sie aber auch gnadenlos an.

Auf den Schweizer Professor richtete Christopher Reeve ganz persönliche Heilungserwartungen. „Wenn du für mich nur so viel tun könntest wie für deine Versuchsratten”, sagte er einmal zu Martin Schwab. „Dann könnte ich wenigstens wieder atmen.” Dazu war der Biologe damals freilich nicht in der Lage, denn erfolgreiche Tierversuche lassen sich nicht einfach auf den Menschen übertragen.

Dennoch: Bereits im September 1996, anderthalb Jahre nach Reeves Unfall, bekam Schwab als erster Wissenschaftler der Welt den neu ausgelobten, mit 50 000 Dollar dotierten Christopher-Reeve-Forschungspreis.

Immerhin hatte der 1949 in Basel geborene Zoologe in den Achtzigerjahren das zentrale Dogma der Neurobiologie in Frage gestellt, das lautete: Gegen Querschnittslähmung kann man nichts tun.

Nerven des Rückenmarks, das zeigte alle medizinische Erfahrung, wachsen nicht nach, sie regenerieren nicht. Stattdessen bildet sich an der Verletzungsstelle eine undurchdringliche Narbe, die der schwedische Neurowissenschaftler Lars Olson einmal mit einer „gesperrten, teilweise zerstörten und von Gestrüpp überwucherten Straße” verglichen hat. Rückenmarksnerven unterscheiden sich darin grundlegend von peripheren Nerven, also etwa Arm- oder Beinnerven, die nach einer Verletzung problemlos wieder heilen.

„Die vorherrschende Theorie besagte, dass es im Zentralen Nervensystem, also im Gehirn und Rückenmark, an Wachstumsfaktoren mangelt”, sagt Schwab. „Aber das habe ich nicht geglaubt.”

Der Zoologe, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, hatte einen Labor-Nachbarn, der wie er selbst an solchen Nervenwachstumsfaktoren forschte. „Und wie kam er an die Substanzen? Er isolierte sie aus Schweinehirnen.” Wenn sie dort in nennenswerter Menge vorkamen, so folgerte Schwab messerscharf, dann konnte es nicht an den Wachstumsfaktoren liegen, wenn zerstörte Neurone im Rückenmark nicht heilten. Vielleicht wurden sie durch irgendetwas aufgehalten, gehemmt?

Schwab entwarf ein Experiment, das die Entscheidung bringen sollte: Isolierte Nervenzellen von neugeborenen Ratten wurden in Zellkultur mit Wachstumsfaktoren gepäppelt und zum Aussprossen gebracht. In einem Fall wurden ihnen Präparate vom Sehnerv erwachsener Ratten, im anderen vom Ischiasnerv in den Weg gelegt. Das Ergebnis: Durch den Ischiasnerv, Teil des peripheren Nervensystems, wuchsen die jungen Nervenfasern rasch hindurch. Der Sehnerv, Teil des Zentralen Nervensystems (ZNS) bildete jedoch eine undurchdringliche Barriere.

Mit weiteren cleveren Experimenten konnte der Schweizer nachweisen, dass die Blockade von bestimmten Begleitzellen der ZNS-Nerven auszugehen schien, den so genannten Oligodendrozyten, und dem von ihnen produzierten weißlichen Stoff, der lange Nervenfasern wie eine isolierende Kabelhülle umgibt, dem Myelin.

Diese Entdeckung wies einen ganz anderen Weg zur Heilung von Rückenmarksschäden als bisher gedacht: Nicht in der Zugabe von Wachstumsförderern, sondern in der Aufhebung der Hemmung könnte die Lösung liegen. Das Potenzial zur Heilung brachten die Nerven jedenfalls mit.

Schwab verhandelte seinerzeit, im Jahr 1985, mit der Universität Zürich, die ihn an ihr Institut für Hirnforschung berufen wollte. „Der Schweizer Nationalfonds hat mir angeboten, alle Mittel auf den neuen Befund zu setzen: Meine ganze Arbeitsgruppe sollte sich mit den Hemmstoffen der Regeneration befassen.” Ein gewagter Schritt.

Die Gruppe wurde zweigeteilt: Eine Hälfte versuchte, Struktur und Zusammensetzung des wichtigsten Stoppsignal-Stoffes aufzuklären – eines Proteins, das mittlerweile den Namen „Nogo-A” bekommen hat. „Die Arbeit war biochemisch der reinste Horror”, schüttelt sich Schwab. Die Gruppe kam nur sehr langsam voran.

Viel besser erging es der zweiten Hälfte des Laborteams. Sie sollte Antikörper gegen das Stoppsignal entwickeln und diese dann im Reagenzglas und im Tierversuch testen. Schwab: „Wir haben einen Versuchsansatz vom Huhn einfach auf die Ratte übertragen – und gleich im ersten Experiment Resultate bekommen.”

Verletzte Fasern im Rückenmark der Versuchsratten wuchsen nach der Antikörper-Gabe wieder nach. Statt nach einem Millimeter bereits ihr Wachstum einzustellen, wie es bei einer unbehandelten Kontrollgruppe geschah, bildeten die Neuronen der Antikörper-Ratten innerhalb von zwei bis drei Wochen neue Auswüchse, immerhin 7 bis 11 Millimeter lang. Das Resultat wurde im Januar 1990 im Fachblatt Nature veröffentlicht. Eine Therapie für Paraplegiker, querschnittsgelähmte Menschen, schien zum Greifen nah.

Flehentliche Briefe gingen bei Martin Schwab ein, der in Zürich eng mit den Medizinern vom Paraplegiker-Zentrum der Uniklinik Balgrist zusammenarbeitet. „Geben Sie mir die Antikörper!”, schrieben ihm gelähmte Menschen. „Ich nehme jedes Risiko auf mich.” Schwab und sein Kollege Volker Dietz, Neurologie-Professor und Direktor des Paraplegiker-Zentrums, lehnten jedes Mal bedauernd ab. „Wir brauchen viel robustere Resultate.”

Vorschnelle, lebensgefährliche Operationen an jungen Menschen vorzunehmen, „die im Rollstuhl noch Jahrzehnte gut leben könnten” , das sei nicht zu verantworten, meint der Biologe. „Leider denken nicht alle Mediziner so. In diesem Feld wird viel zu früh und zu risikoreich operiert.”

Jetzt aber – 15 Jahre nach dem Nature-Beitrag – herrscht im Labor von Martin Schwab in Zürich leichte Nervosität. Klinische Versuche an Patienten stehen unmittelbar bevor.

Wo sie stattfinden werden, ist noch ein Geheimnis, ein europäisches Netz spezialisierter Kliniken steht bereit. Wann es losgeht, ob es nur noch Wochen oder doch noch Monate dauert, ist ebenfalls noch nicht spruchreif. „Es kann auf den letzten Metern immer noch etwas schief gehen”, warnt Martin Schwab.

So viel kann er sagen: „Erstens: Wir haben einen Antikörper, der für Menschen geeignet ist.” Die Pharma-Firma Novartis hat ihn in Zusammenarbeit mit dem Institut für Hirnforschung hergestellt. Verabreicht werden soll er mit einer unter der Bauchhaut eingepflanzten Pumpe, die das Medikament über einen dünnen Schlauch direkt in die Rückenmarksflüssigkeit abgibt. Das Verfahren ist heute schon für Schmerzmittelgaben in Gebrauch.

„Zweitens: Wir haben genug Tierversuche gemacht, die die Wirksamkeit des Mittels beweisen.” Versuche an Ratten genügten dafür nicht, auch Affen mussten erst mit den Antikörpern geheilt werden, um zu beweisen, dass die Methode an Primaten funktioniert. Die Versuche an Makaken hat Eric Rouillier von der Universität Fribourg vorgenommen.

„Drittens muss das Mittel auf seine Toxizität, also auf eventuelle giftige Nebenwirkungen getestet werden.” Das geschieht ebenfalls an Affen. Vorerst bleibt Schwab vorsichtig: „Diese Versuche laufen noch. Wir sind fast fertig, aber eben nicht ganz.”

Für Anita Buchli, die wissenschaftliche Koordinatorin der komplizierten Versuchsreihen, ist es ohnehin ein Wunder, dass bisher alles gut lief. „Die Ratten, die die Antikörpertherapie bekommen haben, zeigen keinerlei Verhaltensauffälligkeiten”, sagt sie. „Das ist ein Zeichen, dass die Rückenmarksnerven nicht nur gut zusammengewachsen, sondern auch richtig verschaltet worden sind.” Es hätte auch anders kommen können: Eine Fehlverkabelung im Rückenmark mit schlimmen Folgen – torkelnder Gang, Missempfindungen, chronische Schmerzen. Soweit die Wissenschaftler es beurteilen können, leiden die Tiere an nichts dergleichen.

Und noch etwas ist einer Arbeitsgruppe aus dem Züricher Hirnforschungslabor gelungen: Genveränderte Mäuse zu züchten, die das Nogo-Stoppsignal erst gar nicht bilden, weil ihnen das entsprechende Gen fehlt. Diese so genannten Knock-out-Mäuse sind tatsächlich lebensfähig und beweisen damit, dass zumindest die Maus das Protein nicht braucht.

Aber sind sie ganz und gar normal? Prof. Schwab befürchtet, die veränderten Mäuse könnten vielleicht doch ein wenig ängstlicher und stressanfälliger als gewöhnliche Mäuse sein. Laut Buchli gibt es dafür Hinweise, doch die Experimente sind noch nicht abgeschlossen.

Für Laien ist es ohnehin schwer zu verstehen, warum das Nervensystem Stoffe bildet, die einen an sich gesunden Prozess, nämlich die Heilung, behindern. Zumal es nicht nur ein Stoff ist, sondern laut Marie Filbin, einer amerikanischen Kollegin von Martin Schwab, „mindestens ein Dutzend Moleküle, die auf verschiedenen Ebenen an der Hemmung beteiligt sind”. Allein in der Myelin-Hüllschicht gibt es nach ihren Forschungen neben Nogo-A zwei andere Stoppsignale, die nach ihrer chemischen Zusammensetzung und Herkunft die Abkürzungen MAG und OMgp erhalten haben. Allerdings greifen sie alle am selben Rezeptor an und setzen in der Nervenzelle die gleiche Abfolge von Reaktionen in Gang.

Auch hier, innerhalb der verletzten Nervenzelle, bieten sich also Möglichkeiten therapeutisch einzugreifen. Marie Filbin berichtete in diesem Zusammenhang im November 2004 von Experimenten mit Rolipram, einem Medikament, das in den Achtzigerjahren gegen Depressionen entwickelt wurde, aber nie zur Marktreife gelangt war. Bei einigen Versuchsratten regenerierten unter Rolipram die verletzten Rückenmarksnerven wieder, so dass die Tiere eine bestimmte Bewegung mit der Vorderpfote wieder ausführen konnten.

Warum es nur bei einem von zehn Tieren zu einem so durchschlagenden Erfolg kam, kann die Biologin nicht begründen. Trotzdem will sie den Ansatz weiterverfolgen: „Selbst wenn wir nur jedem zehnten Patienten helfen könnten, wäre das phänomenal.”

Andere Forschungsansätze zielen auf die Verhinderung der Narbenbildung nach einer Rückenmarksverletzung ab. Schuld an den Narben sind Stützzellen zwischen den Nerven, die Gliazellen. Sie bilden bindegewebsartige Fasern, die sich untereinander verhaken und den nachwachsenden Nerven den Weg versperren – in Lars Olsons Bild das „Gestrüpp”, das die zerstörte Straße überwuchert.

Jerry Silver vom NeuroScience Center der University of Cleveland, Ohio, behandelt seine Versuchsratten deshalb mit Chondroitinase, einem Enzym, das die Fasern durchlässiger macht, sowie einem Hefepräparat, das diese Wirkung unterstützt. Obwohl der Wirkmechanismus noch unklar ist, kündigte Silver im November klinische Studien „innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre” an. „Die Therapie von Rückenmarksverletzungen wird auf jeden Fall eine Kombinationstherapie sein”, sagte er.

Martin Schwab kann ihm da nur zustimmen. Der Schweizer beobachtet sehr genau, was alles in seinem seit den Achtzigerjahren aufgeblühten Spezialgebiet ausprobiert wird und sieht die Ergebnisse kritisch. Auch die noch ganz in den Anfängen steckenden Versuche mit Stammzellen, aus denen sich im Reagenzglas so wunderbar neue Nervenzellen, aber auch neue Hüll- und Gliazellen züchten lassen. Im Versuch am lebenden Tier sehe das leider ganz anders aus, wie Schwab berichtet: „Wir beobachten, dass sich die Stammzellen wie wild teilen und dann plötzlich damit aufhören.” Wieder scheint die Rückenmarksumgebung den Reparaturprozess zu blockieren.

Eine andere Sorte Zellen haben sich dagegen „als Brücken für die Regeneration” bestens bewährt, wie auch Martin Schwab findet, obwohl sie aus einem vom Rückenmark doch relativ weit entfernten Organ stammen, der Nase. Olfaktorische Hüllzellen werden sie genannt; sie gehören zu den Gliazellen und ummanteln normalerweise den Riechnerv. Obwohl sie keine Stammzellen sind, vermehren sie sich problemlos und bilden sich in der Nase von Erwachsenen ständig neu.

Nach ermutigenden Tierversuchen haben portugiesische und australische Ärzte vor Kurzem begonnen, die „Wunderzellen aus der Nase” an einigen wenigen gelähmten Patienten auszuprobieren – bisher ohne eindeutig positives Resultat.

Einem anderen Mediziner ging das nicht schnell genug. Der Neurochirurg Huang Hongyun behandelt in Peking seit rund zwei Jahren in großem Stil gelähmte Patienten aus aller Welt mit einem Präparat aus olfaktorischen Hüllzellen, nachdem er das Verfahren – im Tierversuch – an einer renommierten Klinik in New York gelernt hatte. Tausende von Amerikanern, aber auch Europäer stehen auf seiner Warteliste.

Huang Hongyun gewinnt die Zellen von Föten aus Schwangerschaftsabbrüchen, kultiviert sie in einer Nährlösung und spritzt sie dann den Patienten oberhalb des geschädigten Wirbels direkt ins Rückenmark. Viele Patienten berichteten nach der Behandlung von merklichen Verbesserungen. „Manche können einzelne Glieder wieder bewegen, andere spüren Berührungen, Kälte oder Wärme”, sagt der Arzt.

International renommierte Neurowissenschaftler wissen nicht recht, was sie von den Umtrieben ihres chinesischen Kollegen halten sollen. Auf der einen Seite entsprechen weder seine Veröffentlichungen noch seine Sicherheitsvorkehrungen westlichen Standards, sodass fast alle Mediziner ihre gelähmten Patienten davor warnen, sich für 20 000 Dollar in Peking behandeln zu lassen. Nachweislich sind dabei auch schon Menschen gestorben.

Dennoch sind gewisse Effekte unbestreitbar, wie Wise Young, der New Yorker Doktorvater von Huang Hongyun, bei einem Besuch in Peking beobachtete: „Ich habe die Erfolge mit eigenen Augen gesehen. Es besteht kein Zweifel, dass da etwas passiert.” Nur treten die Veränderungen viel zu schnell ein, schon nach ein oder zwei Tagen. Um eine echte Nervenregeneration kann es sich also keinesfalls handeln, weil die bedeutend länger brauchen würde. Was ist es also dann? Noch stehen die Wissenschaftler vor einem Rätsel.

„Es geht eben doch nichts über gute Grundlagenforschung”, sagt Martin Schwab. „Auch über Nogo wissen wir längst nicht alles, was wir wissen wollen.” Nach wie vor arbeitet die Hälfte seines Teams zellbiologisch und biochemisch, auch wenn das nicht so viel Aufmerksamkeit einbringt wie die Heilung gelähmter Ratten. Was tut Nogo in der Zelle? Hat es noch andere Funktionen neben seiner Rolle als Stoppsignal? Das sind die Fragen, die man in Zürich mit viel Geduld zu lösen versucht.

Vielleicht lässt sich sogar eine Antwort finden auf die Frage: „Warum um Himmels willen haben denn die Säugetiere die diversen Hemmstoffe der Neuroregeneration erfunden?” Fische zum Beispiel haben so etwas nicht. „Möglicherweise dienen sie bei der Nerven-Entwicklung als Stabilisatoren”, spekuliert Schwab. „Das Säugetiergehirn ist ein so kompliziertes Gebilde, da braucht man vielleicht etwas, was Chaos verhindert.”

Die Plastizität des Nervensystems „nur ein wenig zu erweitern” , ist deshalb sein bescheidenes Ziel, wenn es um den Einsatz am Menschen geht.

„Eine komplette Heilung wird es nicht geben”, sagt Martin Schwab. Trotzdem glaubt der Hirnforscher, dass die Behandlung mit den Nogo-Antikörpern viel erreichen kann. Vor allem bei Patienten mit einer schweren Verletzung, die Beine und Arme lähmt und möglicherweise auch die Atmung behindert. „Die Hoffnung ist, dass solche Patienten wieder selbstständig atmen, Schultern und Hände bewegen und auch wieder alleine stehen können”, sagt Schwab.

An den ersten klinischen Tests sollen daher vorerst nur Patienten mit einer schweren, aber nicht kompletten Durchtrennung des Rückenmarks teilnehmen. „Christopher Reeve wäre ein idealer Kandidat gewesen”, meint Schwab. Allerdings werden die Chirurgen Patienten mit einer frischen Verletzung den Vorzug geben, weil deren Chancen auf Heilung besser sind.

„Ich will, dass die Dinge schnell gehen”, hat Christopher Reeve im November 2003 gesagt. „Ich will auf jeden Fall noch selbst davon profitieren. Ich kann mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass ich ein Advokat für eine Forschung bin, die Menschen erst nach meinem Tod zugute kommt. So edel bin ich nicht.”

Ein Jahr später war der Superman-Darsteller tot. Er war einer der vielen Infektionen erlegen, die zu den Komplikationen seiner Krankheit gehören. Anders als viele Filme hat das Leben eben oft kein Happy End. ■

Die Tübinger Wissenschaftsjournalistin JUDITH RAUCH schrieb für dieses bdw auch das Porträt über Klaus Tschira (S. 72).

Judith Rauch

Ohne Titel

• Ein körpereigenes Protein namens Nogo verhindert bei Rückenmarks- verletzungen die Heilung.

• Forschern ist es gelungen, dieses Protein „abzuschalten”. Dadurch konnten sie gelähmte Ratten und sogar Affen heilen.

COMMUNITY INTERNET

Die Christopher Reeve Paralysis Foundation mit aktuellen Forschungsergebnissen zum Thema Rückenmark:

www.christopherreeve.org

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