Millionen Menschen leiden unter Stottern, doch über die Ursachen dieser Sprachstörung ist bislang wenig bekannt. Forscher haben nun ein Modell entwickelt, bei dem sie Zebrafinken durch ein Medikament zum Stottern bringen. Die Intervention sorgt dafür, dass bestimmte Neuronen im Vogelgehirn übermäßig feuern. Dadurch verändern die Finken ihre Gesangsmuster und zeigen Symptome, die menschlichem Stottern ähneln. Die Studie offenbart Einblicke in die neuronale Plastizität und gibt Hoffnung, Behandlungsansätze für menschliche Stotterer entwickeln zu können.
Zebrafinken lernen ihre Gesangsmotive als Jungtiere durch Nachsingen, ähnlich wie kleine Kinder das Sprechen lernen. Haben die Vögel einmal die entsprechenden Tonfolgen gelernt, bleiben diese üblicherweise im Erwachsenenalter unverändert. Eine wichtige Rolle für das Erlernen der Melodien spielt bei den Vögeln eine Hirnregion im Bereich der kortikalen Basalganglien. Ist diese Region geschädigt, bleibt das Liederrepertoire der Tiere begrenzt. Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass Vögel, bei denen diese Hirnregion stimuliert wird, ihre Melodien verändern und Motive einbauen, die menschlichem Stottern ähneln. Die bisherigen Studien drehten sich allerdings nur um kurzzeitige Interventionen.
Stotter-Gesang ausgelöst
Ein Team um Sanne Moorman von der Universität Utrecht in den Niederlanden hat nun getestet, welche Auswirkungen es hat, diese Region im Vogelgehirn über längere Zeit hinweg künstlich verstärkt zu aktivieren. Dazu verabreichten sie erwachsenen Zebrafinken über mehrere Tage hinweg ein Medikament, das bestimmte für den Gesang wichtige Neuronen dazu bringt, verstärkt zu feuern. „Am ersten Tag der Intervention sangen die Vögel vorwiegend weiterhin ihre stereotypen Motive, aber brachen sie manchmal vorzeitig ab, ließen Silben aus oder produzierten unnormale Silben“, berichten die Forscher. „Nach mehreren Tagen traten neue Merkmale im Gesangsspektrum auf und der Anteil unnormaler Gesänge nahm zu.“
Unter anderem wiederholten die Vögel manche Silben mehrfach und machten übermäßig lange Pausen, bevor sie zum nächsten Abschnitt ihres Liedes kamen – ganz ähnlich, wie es bei stotternden Menschen zu beobachten ist. Diese Veränderungen blieben auch bestehen, nachdem die Forscher das Medikament wieder abgesetzt hatten. Offenbar hatte das verstärkte Feuern der Gesangsneuronen dazu geführt, dass die neuen Muster ins motorische Gedächtnis übernommen wurden. „Diese Arbeit deutet darauf hin, dass das Feuern dieser Neuronen wichtig ist, um lang anhaltende Veränderungen in den Gesangssequenzen zu bewirken“, sagt Co-Autorin Mimi Kao von der Tufts University in Massachusetts. „Der Mechanismus könnte potenziell auch gezielt eingesetzt werden, um normale Gesangssequenzen wiederherzustellen.“
Umkehrbare Störung
Nach Absetzen der medikamentösen Behandlung dauerte es Tage bis Wochen, bevor die Vögel wieder ihre ursprünglichen Gesangsmuster zeigten. Einen ähnlichen Effekt hatten frühere Studien erzielt, indem sie die Vögel durch andere Geräusche verwirrten. Fehlte den Tieren das auditorische Feedback, da sie ihren eigenen Gesang nicht mehr ausreichend hören konnten, führte dies zu ähnlichen Fehlanpassungen wie die medikamentöse Intervention. Aus Sicht der Forscher könnte es sein, dass auch das Medikament einen Einfluss auf das auditorische Feedback hatte. Womöglich wurden die sensorischen Informationen über den eigenen Gesang im Vogelgehirn nicht mehr richtig verarbeitet.
Sowohl nach der akustischen als auch nach der medikamentösen Störung kehrte aber der normale Gesang nach einiger Zeit zurück. Das gibt Hoffnung für zukünftige Behandlungen für Stotterer. Wenn anhaltende abweichende Feuermuster im Gehirn Sprachstörungen verursachen können, könnte die Korrektur dieser Feuermuster ein normales Sprechen ermöglichen. „Obwohl bekannt ist, dass die in dieser Studie untersuchten Hirnregionen an Sprachstörungen beteiligt sind, ist nur sehr wenig über die spezifischen neuronalen Feuermuster bekannt, die dabei eine Rolle spielen“, sagt Moorman. „Diese Forschung bietet eine Möglichkeit, die Feuermuster zu manipulieren, sodass wir lernen können, wie sie zu dysfunktionaler Sprache beitragen. Zudem können wir pharmazeutische oder andere Behandlungen erforschen, um die normale Funktion wiederherzustellen.“ Das könnte auch Menschen zugutekommen, deren Sprachstörungen auf neurologischen Krankheiten wie Parkinson beruhen.