Damit eine Befruchtung stattfinden kann, müssen die Spermien zur Eizelle gelangen. Zur Fortbewegung dient ihnen dabei die Geißel, ein fadenförmiger Zellfortsatz, in dem verschiedene Proteine so zusammenwirken, dass die Spermien zielgerichtet zur Eizelle schwimmen können. Ist dieses Zusammenspiel jedoch gestört, schwimmen die Spermien nicht geradeaus, sondern im Kreis. Forscher haben nun den genauen Mechanismus dieser Störung aufgeklärt. Demnach müssen bestimmte Proteine in der Geißel, sogenannte Mikrotubuli, auf die richtige Weise modifiziert werden, damit der Antrieb optimal funktioniert.
Mikrotubuli sind ein wichtiger Bestandteil des Zellskeletts. Obwohl die winzigen Röhrchen aus Tubulin-Proteinen eine Vielzahl unterschiedlicher Funktionen erfüllen, sind sie in den meisten Zellen und Organismen sehr ähnlich aufgebaut. In der Geißel von Spermien sorgen sie in Kombination mit Motorproteinen, sogenannten Dyneinen, dafür, dass die Keimzelle vorwärts schwimmen kann. Dabei bewegen die Motorproteine die Mikrotubulifäden so, dass eine schlängelnde Drehbewegung entsteht, die als Antrieb dient.
Anhängsel für korrekte Funktion
Ein Team um Sudarshan Gadadhar vom Institut Curie in Paris hat nun nachgewiesen, dass dieser Antrieb nur dann voll funktionsfähig ist, wenn die Mikrotubuli auf die richtige Weise für diese Aufgabe modifiziert wurden. Schon länger hatten Wissenschaftler vermutet, dass Modifikationen der fertigen Mikrotubuli notwendig sind, damit sie in verschiedenen Geweben eine jeweils spezifische Funktion ausüben können. Frühere Arbeiten hatten darauf hingedeutet, dass in den Geißeln von Spermien die sogenannte Glycylierung bedeutsam ist. Dabei bauen andere, darauf spezialisierte Proteine Ketten aus der Aminosäure Glycin an die Mikrotubuli an. Erst diese Anhängsel ermöglichen die korrekte Funktion, so die Hypothese.
Um das zu überprüfen, haben Gadadhar und Kollegen spezielle Mäuse gezüchtet, denen die Proteine zum Anhängen der Glycinketten fehlen. Die Mikrotubuli in den Spermiengeißeln dieser Mäuse wurden also nicht glycyliert. Tatsächlich waren diese Mäuse weniger fruchtbar als genetisch nicht veränderte Artgenossen. Die Spermien schienen zwar auf den ersten Blick korrekt gebaut zu sein und waren auch in der Lage zu schwimmen. Nähere Analysen enthüllten aber, dass die Bewegung nicht mehr zielgerichtet geradeaus erfolgte. Stattdessen schwammen die Spermien im Kreis.
Motoren aus dem Takt
Laut Gadadhar lässt sich diese Beobachtung damit erklären, dass die Aktivität der Motorproteine, die die Mikrotubuli bewegen, exakt abgestimmt sein muss, um genau den richtigen Rhythmus zu erzeugen. Das sei aber nur möglich, wenn die Mikrotubuli glycyliert sind. „Wenn die Glycylierung nicht stattfand, koordinierten sich die Motorproteine untereinander nicht und wir beobachteten, wie die Spermien plötzlich im Kreis schwammen.“ Obwohl weiterhin Bewegungen stattfanden, waren diese nicht koordiniert genug für eine Vorwärtsbewegung – wie bei einem Ruderboot, bei dem die Ruderer aus dem Takt geraten.
„Diese Studie zeigt, wie wichtig die Glycylierung für die Steuerung der Dynein-Motoren des Flagellums ist“, fassen die Autoren zusammen. „Sie ist ein Paradebeispiel dafür, wie Mikrotubuli-Modifikationen die Funktion anderer Proteine in Zellen direkt beeinflussen. Unsere Ergebnisse liefern den direkten Beweis, dass Mikrotubuli eine aktive Rolle bei der Regulierung grundlegender biologischer Prozesse spielen, ermöglicht durch einen Code von Tubulin-Modifikationen“
Bedeutung für Unfruchtbarkeit und andere Krankheiten
Bei Mäusen führte der Defekt lediglich zu einer verminderten Fruchtbarkeit, nicht aber zu völliger Zeugungsunfähigkeit. „Da Mäuse für ihre hohe Fruchtbarkeit bekannt sind, könnte ein ähnlicher Defekt beim Menschen zu männlicher Sterilität führen“, vermutet Gadadhars Kollege Carsten Janke. Doch nicht nur mit Blick auf die Fruchtbarkeit können die Ergebnisse relevant sein. „Da die Spermiengeißeln nur eine von vielen Zilien-Arten in unserem Körper sind, denken wir, dass eine ähnliche Tubulin-kodierte Regulation bei verschiedenen Zilien-bezogenen Funktionen wichtig ist“, so die Forscher.
Einen ähnlichen Aufbau mit Mikrotubuli in Zellfortsätzen findet man beispielsweise in den Flimmerhärchen der Lunge. Diese sind unter anderem dafür verantwortlich, Schleim zu bewegen und so die Bronchien zu reinigen. Bei den Mäusen im Experiment war diese Funktion augenscheinlich nicht beeinträchtigt, was darauf hindeutet, dass hier andere Modifikationen als die Glycylierung von Bedeutung sind. Gleiches galt für Zellfortsätze in anderen Geweben und Organen wie dem Gehirn. Das Grundprinzip der Mikrotubuli-Modifikation könnte aber auch hier neue Einblicke eröffnen. „Daher ermöglicht unsere Arbeit ein tieferes Verständnis verschiedener Krankheiten, wie Entwicklungsstörungen, Krebs, Nierenerkrankungen oder Atem- und Sehstörungen“, so die Forscher.
Quelle: Sudarshan Gadadhar (Institut Curie, Frankreich) et al., Science, doi: 10.1126/science.abd4914