Grippe und grippaler Infekt sind nicht das Gleiche
Die Grippe (Influenza) ist eine Viruserkrankung, von der viele Menschen nicht verschont bleiben. Sie ist nicht zu verwechseln mit einem grippalen Infekt (Erkältung). Er geht meist schnell vorüber, während die Influenza wesentlich länger, teilweise sogar mehrere Wochen, andauert. Auslöser für einen grippalen Infekt sind Erkältungsviren, wovon es mehr als 200 verschiedene gibt. In den meisten Fällen ist das Rhinovirus verantwortlich. Beide Varianten stellen eine Krankheit dar, d.h., sowohl eine Behandlung als auch Schonung ist sinnvoll.
Mutierte Viren bleiben oft unerkannt, da sich ihr Erbgut ständig wandelt. Unser Abwehrsystem steht vor dem Problem, dass sie ihre Oberfläche, an der es die Viren erkennt, stets verändern. Dadurch werden die zuvor gebildeten Antikörper überlistet, denn sie können nicht mehr an der neuen Fläche andocken, um die Viren zu bekämpfen. Dies begründet die regelmäßige Neuentwicklung von Impfstoffen gegen die Grippewelle, die uns jährlich erfasst. Bei einer Impfung werden abgeschwächte Viren injiziert. So kann der Körper Abwehrkräfte entwickeln und bei Bedarf sofort reagieren. Damit kommt das Immunsystem einem Ausbruch einer ihm bisher unbekannten Krankheit zuvor.
Riesige Virenwelt
Der Ursprung von über zwei Dritteln aller menschlichen Virenerkrankungen findet sich bei Tieren. Es gibt insgesamt circa 320.000 Virenarten, die Säugetiere weltweit beherbergen. Die Zahl stammt aus einer Studie von Daszak in Zusammenarbeit mit einem internationalen Forscherteam. Der Umweltmediziner von der gemeinnützigen Organisation Ecohealth Alliance sagt: „Angesichts der verfügbaren Technologien könnten wir innerhalb weniger Jahrzehnte jeden Virus davon kennen.“ Zur Bekämpfung von Pandemien in der Zukunft sei die Erforschung von Viren von großer Wichtigkeit. Tatsache ist: Noch ist die Wissenschaft weit von einem guten Einblick in deren Welt entfernt.
Aufbau von Viren
Viren bestehen aus einer Eiweißhülle, deren Inhalt Erbinformationen sind. Letztere können aus
- Desoxyribonukleinsäure (DNA) oder
- Ribonukleinsäure (RNA)
bestehen und sind entweder ein- oder doppelstrangig. Während größere Viren mehrere hundert Gene besitzen, sind es bei kleineren nur vier. Sie haben keinen eigenen Stoffwechsel. Mediziner sind sich uneinig, ob Viren zu den Lebewesen gehören. Die fachliche Definition lautet: „Lebewesen können ohne fremde Hilfe überleben und fruchtbare Nachkommen zeugen.“ Ohne den Befall von Zellen können sich Viren jedoch nicht vermehren. Der Virologe Stephan Pleschka vom Institut für Medizinische Virologie der Uni Gießen begründet ihre hohe Angriffslust darauf, dass sie auf die Lebensenergie anderer angewiesen sind.
Vermehrung und Verbreitung im Körper
Um den Befall einer Zelle durch Viren zu verstehen, muss man zunächst auf den Nanokosmos schauen. Nehmen wir das gut erforschte Virus namens Phage T4, treffen wir auf eine Größe von rund 50 Nanometer. Das bedeutet, dass 20.000 dieser winzigen Viren nur einen Millimeter messen. Phagen, auch unter dem Namen Bakteriophagen bekannt, befallen Bakterien.T4 greift beispielsweise unser Darmbakterium Escherichia Coli an.
Ebenso wie alle anderen Viren auch, möchte sich Phage T4 vermehren. Deshalb visiert es die Schaltzentrale an und dockt sich dort an sein Opfer an. Mithilfe von fadenförmigen Ausläufern (Schwanzfibern) kann Phage das Bakterium erkennen. Ähnlich eines Karabiners hakt bzw. heftet es sich an die Rezeptoren der Zelloberfläche. Unter Zuhilfenahme eines Eiweißstiftes wird vom Virus ein Loch in die Zellwand gebohrt. Über dieses schiebt Phage T4 seine DNA in das Bakterium hinein.
Danach zerlegt der Eindringling in der Zellen-Schaltzentrale deren eigene DNA. Gleichzeitig übernimmt das Virus den Stoffwechsel und sorgt für eine Umprogrammierung. Infolgedessen produziert dieser nur noch Phagenproteine. Neue Phagen reichern sich im Zellinneren an und es werden spezielle Proteine erzeugt, die die Zellwand vom Darmbakterium Escherichia Coli auflöst. Dieses schwillt an und platzt letztendlich. Dadurch werden die neuen Phagen freigesetzt und können nunmehr andere Zellen angreifen.
Bakteriophagen verfügen außerdem über eine weitere, heimtückische Übernahmestrategie. Sie zerlegen nach Eindringen in die Erbinformation der Wirtszelle diese nicht vollständig in ihre Einzelteile. Vielmehr baut das Virus seine Erbmasse dort ein. Dadurch findet es Tarnung, um sich mit jeder Teilung der Wirtszelle zu vermehren. Im Prinzip vermehren und verbreiten sich alle Viren auf dem gleichen Weg wie Phage T4.
Höhere Risiken durch Viren-Mutation
Stephan Pleschka beschäftigt sich an der Universität Gießen mit dem Veränderungspotenzial von Viren. Er weiß, dass die Viren aufgrund ihrer Mutation unsere Abwehrkräfte geschickt austricksen können. Der Virologe sagt: „So könnten sie auch von der einen auf eine andere Art überspringen, also zum Beispiel von Tieren auf den Menschen, um sich dort zu vermehren. Gegen neuartige, mutierte Viren sind unsere vorhandenen Abwehrkräfte weitgehend wirkungslos. Deshalb stellen sie ein größeres Risiko für unseren Körper dar.“
Handelt es sich um eine hochinfektiöse Variante, ist die Verbreitung von Mensch zu Mensch in unglaublicher Geschwindigkeit garantiert. Böse Erfahrungen in diesem Bereich haben wir bereits mit der Vogel-, der Schweine- und der Spanischen Grippe gemacht. Allerdings ist eine einfache Mutation eines Gens nicht ausreichend, damit ein Virus von einem Tier sich auch im Mensch vermehren kann. In der Regel benötigt es zwei verschiedene, miteinander vermischte Viren. In der Fachsprache lautet dies Genmutation bzw. Antigenshift.
10.07.2020