Eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 kann eine Vielzahl scheinbar völlig unterschiedlicher Symptome verursachen. Doch wie sich jetzt zeigt, steckt eine gewisse Ordnung dahinter: Forscher haben herausgefunden, dass beim milden Verlauf von Covid-19 bestimmte Symptomgruppen meist zusammen auftreten. Anhand dieser Gruppierungen identifizieren sie sieben verschiedene Erkrankungsformen. Blutanalysen von Rekonvaleszenten enthüllten zudem, dass auch zehn Wochen nach einer Coronavirus-Infektion noch deutliche Veränderungen im Immunsystem bleiben.
Husten, Fieber und grippeähnliche Symptome – diese Krankheitszeichen gelten vielfach als Leitsymptome für eine Coronavirus-Infektion. Doch im Verlauf der Pandemie hat sich gezeigt, dass Sars-CoV-2 eine Vielzahl von Organen und Geweben in unserem Körper angreifen kann und entsprechend vielfältige Symptome verursacht. So leiden einige Patienten an Kopfschmerzen und neurologischen Ausfällen, andere entwickeln einen schleichenden Sauerstoffmangel oder bekommen Bauchschmerzen und Durchfälle. Auch unspezifische Muskelschmerzen und Erschöpfung sind häufige Symptome von Covid-19. In schwereren Fällen kommen dann Lungenentzündungen und systemweite Entzündungsreaktionen dazu. Noch kaum erforscht sind zudem die Spätfolgen der Infektion. Denn es zeichnet sich ab, dass ein nicht geringer Teil der Patienten noch Wochen bis Monate nach der akuten Erkrankungsphase Beschwerden hat oder sie sogar erst dann entwickelt.
Sieben verschiedene Symptomkomplexe
Was immunologisch hinter diesen Verläufen steckt und ob es möglicherweise ein System bei den so unterschiedlichen Symptomatiken von Covid-19 gibt, haben nun Bernhard Kratzer von der Medizinischen Universität Wien und seine Kollegen untersucht. “Zwar haben mehrere Studien schon die zellulären Immunantworten von Covid-19-Patienten während ihrer akuten Erkrankung untersucht, aber bisher wissen wir nur wenig darüber, welche langfristigen Auswirkungen Covid-19 auf das adaptive und angeborenen Immunsystem von Rekonvaleszenten hat”, erklären sie. Für ihre Studie analysierten sie deshalb das Blut von 109 Covid-19-Rekonsvaleszenten, deren Infektion mit Sars-CoV-2 rund zehn Wochen zurücklag. Sie ermittelten, welche Immunzellen und Antikörper in den Blutproben präsent waren und befragten alle Teilnehmer eingehend dazu, welche Symptome während ihrer akuten Covid-19-Erkrankung aufgetreten waren. Alle Rekonvaleszenten hatten damals einen eher milden Verlauf von Covid-19.
Die Auswertung der Symptomberichte ergab, dass es beim milden Verlauf von Covid-19 offenbar bestimmte, häufig miteinander kombinierte Symptomgruppen gibt. “Wir konnten ganz klar systemische von organspezifischen Verlaufsformen der primären Covid-19 Erkrankung abgrenzen“, berichtet Seniorautor Winfried Pickl von der Medizinischen Universität Wien. Aus diesen Kombinationen schließen er und sein Team, dass es bei mildem Covid-19-Verlauf sieben verschiedene Erkrankungsformen gibt. Die Kenntnis dieser Erkrankungsvarianten könnte künftig dazu beitragen, mögliche Infektionen schneller zu erkennen und möglicherweise auch gezielter zu behandeln. Die erste Form ist durch die klassischen grippeähnlichen Symptome gekennzeichnet – Fieber, Erschöpfung und Husten. In ihrer zweiten Variante ähnelt die Infektion eher einer typischen Erkältung mit Schnupfen, Niesen, trockenem Hals und Verstopfung der Nase.
Die dritte Covid-19-Form äußert sich dagegen nur oder vorwiegend durch Gelenk- und Muskelschmerzen, eine vierte durch ausgeprägte Augen- und Schleimhautentzündungen, wie die Wissenschaftler berichten. Einen fünften Symptomkomplex bilden Lungenprobleme mit Lungenentzündung und Kurzatmigkeit. Bei der sechsten Form leiden die Betroffenen primär an Magen-Darm-Problemen mit Durchfall, Übelkeit und Kopfweh. Die siebte Erkrankungsform schließlich bildet der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns. “Bei letzterer Gruppe konnten wir feststellen, dass vom Geruchs- und Geschmacksverlust vermehrt Personen mit einem ‘jungen Immunsystem’, gemessen an der Anzahl der erst kürzlich aus dem Thymus ausgewanderten T-Lymphozyten betroffen sind”, erklärt Pickl.
Langfristige immunologische Veränderungen
Unabhängig von der Variante der akuten Covid-19-Erkrankung gibt es aber bei den langfristigen immunologischen Folgen viele Gemeinsamkeiten. Demnach hinterlässt Sars-CoV-2 im Immunsystem und Blut der Rekonvaleszenten eine Art immunologischen Fingerabdruck. So ist die Anzahl der weißen Blutkörperchen, die im Immunsystem ansonsten für das Bekämpfen von bakteriellen Krankheitserregern zuständig sind, bei Covid-Rekonvaleszenten signifikant niedriger als üblich. Dafür gibt es vermehrt Gedächtniszellen und die zytotoxischen CD8+-T-Zellen bleiben stark aktiviert. Deren Aufgabe ist es unter anderem, von Viren befallene Zellen abzutöten. “Gleichzeitig sind die regulatorischen Zellen stark vermindert – das ist ein gefährlicher Mix, der auch zu einer Autoimmunität führen könnte”, erklärt Pickl. Auch Antikörper-produzierende Immunzellen waren im Blut der Rekonvaleszenten vermehrt vorhanden – je stärker das Fieber des Betroffenen war, desto höher waren auch die Antikörperspiegel gegen das Virus ausgeprägt.
“Das zeigt, dass sich das Immunsystem auch viele Wochen nach der ersten Infektion immer noch mit der Krankheit intensiv auseinandersetzt”, sagt Pickl. Die neuen Erkenntnisse tragen dazu bei, die Covid-Erkrankung und ihre Folgen besser zu verstehen. “Sie helfen uns auch bei der Entwicklung von möglichen Impfstoffen, da wir nun auf vielversprechende Biomarker zurückgreifen und ein noch besseres Monitoring durchführen können”, erklären die Wissenschaftler. Nun gehe es darum, diese Erkenntnisse umzusetzen und für die Entwicklung von Impfstoffen auszunutzen.
Quelle: Bernhard Kratzer (Medizinische Universität Wien) et al., Allergy, doi.org/10.1111/all.14647