Wie sich das Coronavirus auf unsere Gewebe und Organe auswirkt, wurde im Zuge der Corona-Pandemie immer deutlicher. Unklar war jedoch bislang, was im Inneren der Zellen geschieht, wenn sie von Sars-CoV-2 befallen sind. Das hat nun ein Forscherteam mithilfe moderner Bildgebungsverfahren aufgedeckt. Demnach führt die Infektion schon nach wenigen Stunden zu einem radikalen Umbau der Zellstrukturen. Das Virus kapert Zellorganellen wie das endoplasmatische Retikulum, den Golgi-Apparat und selbst das Zytoskelett, um seine “Vermehrungsfabriken” aufzubauen.
Inzwischen ist bekannt, dass Sars-CoV-2 viele verschiedene Zelltypen in unserem Körper angreifen kann. Die Spanne reicht von den Zellen der Atemwegsschleimhäute und Lunge über Herz- und Darmzellen bis hin zu den Zellen des Nervensystems und Gehirns. Das Coronavirus nutzt dabei mehrere Proteine auf der Zelloberfläche, darunter den ACE2-Rezeptor, aber auch “Hilfs-Türöffner” wie Neuropilin-1 und Cathepsin. Mit der Bindungsstelle an seinem krönchenartigen Spike-Protein dockt Sars-CoV-2 an diese Zellrezeptoren an und löst dadurch Prozesse aus, die ihm den Eintritt in das Zellinnere ermöglichen. Was allerdings danach geschieht, ist bisher nur in groben Zügen bekannt. Klar ist, dass das Coronavirus wie alle Viren die Zellmaschinerie dazu bringt, statt zelleigener Moleküle nun seine RNA und Proteine zu vervielfältigen und zu produzieren. Als Folge dieser “feindlichen Übernahme” sterben die befallenen Zellen meist nach 24 bis 48 Stunden ab.
Membranklau bei Zellorganellen
Um herauszufinden, was zwischen Zelleintritt von Sars-CoV-2 und Tod der Zelle in ihrem Inneren geschieht, haben Mirko Cortese von der Universität Heidelberg und seine Kollegen modernste bildgebende Verfahren eingesetzt, darunter Ionenstrahl-Elektronenmikroskopie und Elektronen-Tomografie. Diese erlaubten es ihnen, die morphologischen Veränderungen in infizierten Zellen mitzuverfolgen und in 3D-Rekonstruktionen abzubilden. “Wir liefern entscheidende Einblicke in virusinduzierte Strukturveränderungen in den untersuchten menschlichen Zellen”, erklärt Seniorautor Ralph Bartenschlager von der Universität Heidelberg. “Um Medikamente zu entwickeln, welche die virale Replikation unterdrücken und damit auch die Folgen der Infektion und des virusinduzierten Zelltods, ist es entscheidend, die biologischen Mechanismen, die den Replikationszyklus des Virus antreiben, besser zu verstehen.”
Die Analysen enthüllten, dass das Coronavirus das Zellinnere radikal umbaut. Schon rund sechs Stunden nach der Infektion sind im Zellplasma membranumhüllte Bläschen zu erkennen, die im Verlauf der Zeit größer und zahlreicher werden. “Der Innenraum dieser Vesikel enthält Zwischenstadien der Virusreplikation in Form doppelsträngiger RNA und auch fertig synthetisierte RNA-Stränge – das belegt, dass diese Blasen die Orte der viralen Erbgutsynthese sind”, berichten Cortese und seine Kollegen. Die Membranen für diese blasenartigen Virenfabriken nimmt sich das Virus vom endoplasmatischen Retikulum (ER), einem System von membranumhüllten Kanälchen und Zisternen, das den Zellkern umhüllt und das Zellinnere durchzieht. Wie die 3D-Rekonstruktionen zeigten, nutzt das Virus einen Teil dieser Membrankanälchen, um seine Vesikel zu bestücken und miteinander zu verbinden.
Von einem Filamentkäfig geschützt
Um die Hüllen seiner Tochterviren zu produzieren, zweckentfremdet das Coronavirus ebenfalls eine zelleigenen Struktur, den Golgi-Apparat. Dieses Zellorganell produziert normalerweise unter anderem Sekrete für den Zellstoffwechsel und setzt sie in membranumhüllten Bläschen frei. In den virusbefallenen Zellen jedoch bildet der Golgi-Apparat stattdessen Bläschen mit viralem Inhalt. Zusammen bilden die viralen Vesikel und die neu gebildeten Virenbestandteile eine Zone im Zellinneren, die von einer weiteren ursprünglich zelleigenen Struktur umgeben ist, wie die Forscher berichten. Demnach lagert sich eine Art Gerüst aus Proteinfilamenten des Zellskeletts rund um diese Virenfabriks-Zone. “Solche intermediären Filamente spielen eine wichtige Rolle in der angeborenen Immunabwehr und bei der antiviralen Antwort der Zellen”, erklären die Wissenschaftler. Das lege die Vermutung nahe, dass dieser von Sars-CoV-2 induzierte Proteinkäfig die viralen Replikationsvesikel vor dem zellulären Verteidigungssystem schützen soll.
Zusammengenommen enthüllen diese Beobachtungen, wie stark das Coronavirus unsere Zellen verändert. “Wir sehen, wie und wo sich das Virus innerhalb der Zelle vermehrt und wie es seine Wirtszellen manipuliert, um nach der Vermehrung freigesetzt zu werden”, sagt Co-Autor Yannick Schwab vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg. Sars-CoV-2 nutzt demnach nicht einfach nur die Zellmaschinerie für das Kopieren seines Erbguts, sondern baut das gesamte Zellinnere zu einer Virenfabrik um. Um diese wichtigen Erkenntnisse auch anderen Forscherteams zugänglich zu machen, stellen die Wissenschaftler ihre Daten und insbesondere die Sammlung von 3D-Strukturinformationen allen zur Verfügung. “Ich glaube, dass wir damit einen Präzedenzfall dafür schaffen, dass wir alle Daten, die wir produziert haben, mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft teilen. Sie stellen eine beeindruckende Ressource für Wissenschaftler dar”, sagt Schwab. “Auf diese Weise können wir die weltweiten Bemühungen unterstützen, zu untersuchen, wie Sars-CoV-2 mit seinem Wirt interagiert.”
Quelle: Mirko Cortese (Universität Heidelberg) et al., Cell Host & Microbe, doi: 10.1016/j.chom.2020.11.003