Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Riecher für erdige Duftnoten identifiziert

Gesundheit|Medizin

Riecher für erdige Duftnoten identifiziert
Geosmin
Vom Duftstoff zum Rezeptor. © J. Agric. Food Chem. 2024, 72, 28, 15865-15874/ CC.by-nc 4.0

Der typische Geruch von Geosmin steigt auf, wenn Regen auf trockene Erde fällt oder wenn wir feuchten Boden umgraben. Doch mit welchem unserer mehr als 400 verschiedenen Geruchsrezeptoren wir diesen typisch erdigen Geruch wahrnehmen, hat ein Forschungsteam erst jetzt geklärt. Wie sie herausfanden, ist ein Rezeptor namens OR11A1 für Geosmin zuständig. Dieser kann den erdigen Geruch dieser Substanz und einen zweiten, ebenfalls von Mikroben im Boden erzeugten Duft detektieren. Damit gehören auch wir Menschen zu den Säugetieren, die über diesen “Erdsensor” verfügen. Dies unterstreicht die Bedeutung, den dieser Geruch hat und hatte – sowohl im Guten wie im Schlechten.

Geosmin ist eine flüchtige Verbindung mit einem ausgeprägt “erdigen” bis “muffigen” Geruch. Er entsteht vor allem dann, wenn Erde feucht wird und die in ihr enthaltenen Mikroben aktiv werden. Aber auch einige Pflanzen wie die Rote Beete produzieren den Duftstoff Geosmin. “Während der Geruch von Geosmin zu Rote Bete passt, ist sein Auftreten in Lebensmitteln wie Fisch, Bohnen, Kakao, Wasser, Wein oder Traubensaft problematisch. In diesen beeinträchtigt er die sensorische Qualität und Akzeptanz sehr stark”, erklärt Co-Autorin Stephanie Frank vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München. Schon im Jahr 1965 wurde der für diese muffigen Geruchs- und Geschmacksnoten verantwortliche Duftstoff Geosmin, eine Terpenoidverbindung, erstmals isoliert und chemisch bestimmt. Heute weiß man, dass schon die winzige Menge von vier bis zehn Nanogramm Geosmin pro Liter ausreicht, damit wir den typisch muffigen Geruch wahrnehmen. Das entspricht etwa einem Teelöffel Geosmin in der Wassermenge von 200 olympischen Schwimmbecken.

Einer von 616 Rezeptoren

Doch mit welchem Geruchsrezeptor wir Menschen den Duftstoff wahrnehmen, war bisher unbekannt. Kein Wunder: Der Mensch besitzt insgesamt etwa 400 verschiedene Gene für Geruchsrezeptoren, die wiederum für etwa 600 verschiedene Rezeptorvarianten in der Nasenschleimhaut verantwortlich sind. Von dieser Fülle an Duftstoff-Sensoren ist jedoch erst für etwa 20 Prozent bekannt, auf welche chemischen Verbindungen sie reagieren. Das Team um Frank und Erstautorin Lena Ball vom Leibniz-Institut hat nun gezielt nach dem Rezeptor für Geosmin gesucht. Dafür erzeugten sie in Zellkulturen 616 verschiedene Varianten der menschlichen Geruchsrezeptoren und testeten für jeden einzelnen, ob er auf Geosmin ansprach. Sie veränderten die Testzellen genetisch so, dass sie wie kleine Biosensoren für den Geruchsstoff fungieren und mithilfe eines speziellen Fluoreszenzmarkers bei einer Bindung aufleuchteten. Die Analysen ergaben: Nur ein einziger Rezeptor der menschlichen Nasenschleimhaut namens OR11A1 spricht auf physiologisch relevante Konzentrationen von Geosmin an.

In einem Gegentest untersuchte das Team daraufhin, ob der OR11A1 noch auf weitere, chemisch mit dem Geosmin verwandte Duftstoffe anspricht. Von 177 getesteten Substanzen konnte aber nur das ebenfalls erdig riechende 2-Ethylfenchol den Rezeptor signifikant aktivieren. “2-Ethylfenchol und Geosmin werden beide von bodenlebenden Mikroorganismen produziert und können Lebensmittel kontaminieren”, erklären Ball und ihre Kollegen. Von vielen Tieren ist bekannt, dass sie ebenfalls auf den erdigen Duft von Geosmin und Co reagieren. Kamele und Elefanten nutzen diesen Duft beispielsweise, um Wasserstellen zu finden, die Stechmückenart Aedes aegypti spürt damit geeignete nasse Brutstätten für ihre Eiablage auf. Umgekehrt kann Geosmin aber auch als Warnsignal dienen, beispielsweise um verdorbene Nahrung zu erkennen. So meiden beispielsweise Fruchtfliegen Obst mit diesem Geruch. „Das zeigt, dass Geosmin im Tierreich und sicher auch beim Menschen als chemischer Signalstoff fungiert“, sagt Ball.

Von Kängururatte bis Eisbär

Um mehr über die Vorgeschichte des menschlichen Geosmin-Rezeptors herauszufinden, haben Ball und ihre Kollegen auch ähnliche Rezeptoren bei anderen Säugetieren näher untersucht. „Da Geosmin ein wichtiger Signalstoff im Tierreich ist, haben wir darüber hinaus untersucht, wie diejenigen Geruchsrezeptoren von Kängururatte, Maus, Rhesusaffe, Sumatra-Orang-Utan, Eisbär und Kamel auf Geosmin reagieren, die mit dem menschlichen Rezeptor genetisch am nächsten verwandt sind”, erklärt Ball. “Wir wollten so erfahren, ob die hochselektive Erkennung von Geosmin durch den gleichen Rezeptor in 100 Millionen Jahren Säugetierevolution erhalten geblieben ist.” Ein besonders feines Näschen für den Erdgeruch des Geosmins haben demnach die in vielen Wüstenregionen vorkommenden Kängururatten (Dipodomys). Ihr Rezeptor reagiert rund hundertmal empfindlicher auf den Duftstoff als der unsrige. Die Forschenden führen dies darauf zurück, dass diese kleinen Wüstenbewohner den Geruch sowohl als Anzeiger für Wasser als auch für ihre Nahrung, zu denen die Geosmin-haltigen Kaktusfrüchte gehören, nutzen.

Anzeige

Verblüffend ist hingegen das feine Gespür für Geosmin bei den Eisbären. “Überraschenderweise zeigte der OR11A1-Rezeptor des Eisbären eine ähnlich hohe Sensitivität für Geosmin wie der der Kamele und Mäuse”, berichten Ball und ihre Kollegen. Auf den ersten Blick erscheint dies seltsam, da die an den Küsten der Arktis lebenden Bären genügend Wasser um sich herum haben. Das Team vermutet aber, dass die Eisbären den Erdgeruch von ins Meer geschwemmten Sediment als als Orientierungshilfe nutzen: Der Geosmin-Gradient im Wasser könnte ihnen als Heimfinde-Signal zur Küste dienen. „Die neuen Erkenntnisse über die hochempfindlichen Geruchsrezeptoren einiger Tiere betonen einmal mehr die biologische Relevanz von Geosmin als Signalstoff”, sagt Seniorautor Dietmar Krautwurst vom Leibniz-Institut. Das Wissen um die Geosmin-Rezeptoren könnte aber auch dabei helfen, neuartige Detektionssysteme zu entwickeln, mit denen sich die Qualität von Lebensmitteln oder Trinkwasser besser als bisher überwachen lässt.

Quelle: Lena Ball (Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie, München) et al., Journal of Agricultural and Food Chemistry, doi: 10.1021/acs.jafc.4c01515

Anzeige
Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Youtube Music
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

schul|frei  〈Adj.〉 frei von Unterricht ● ein ~er Tag

Über|gang  〈m. 1u〉 1 das Hinübergehen, Überschreiten (Grenz~) 2 das Übergehen (in etwas anderes), Wechsel, Wandlung … mehr

Erd|strah|len  〈Pl.〉 Strahlen, die aus der Erde austreten

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige