Es sind schockierende Minuten in dem Gerichtssaal im niedersächsischen Verden. Monatelang hatten Stephan K. und sein Komplize zwei Frauen in einem Haus eingesperrt. Sie hielten ihre Opfer zeitweise in einem Hundekäfig gefangen, vergewaltigten sie mehrfach und zwangen sie zur Prostitution. Der Alptraum endete erst, als sie eine dritte Frau gefangen nahmen, der die Flucht gelang. Die Verbrecher filmten ihre Taten. Das bei der Gerichtsverhandlung anwesende Publikum bekommt Ausschnitte der Videos zu sehen.
Doch noch etwas anderes ist schockierend: Stephan K. zeigt keinerlei Anzeichen von Reue. Das Schicksal seiner Opfer scheint ihm gleichgültig zu sein. Ein Gutachter bescheinigt ihm eine schwere Persönlichkeitsstörung mit Hang zum Sadismus und Narzissmus. Er erhält eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren mit anschließender Sicherheitsverwahrung.
Menschen wie Stephan K., die eine Psychopathie – eine schwere Persönlichkeitsstörung – zeigen, zeichnen sich durch extreme Gefühlskälte aus. Sie sind impulsiv, verspüren oftmals keine soziale Verantwortung, und sie drückt kein schlechtes Gewissen. Oft neigen sie zu kriminellen Taten.
Für immer wegsperren?
Die meisten Menschen sind sich einig: Schwerkriminelle Psychopathen gehören lebenslang weggesperrt. Untermauert wird das durch die Standardlehrmeinung vieler Forscher, dass sich Menschen mit einer Psychopathie nicht ändern können. Und dass man sie daher auch nicht erfolgreich therapieren kann.
Doch der Psychiater und Hirnforscher Niels Birbaumer von der Universität Tübingen widerspricht. „Ich habe mich mein ganzes Forscherleben lang mit dem Lernen und den Veränderungen von Hirnvorgängen auseinandergesetzt”, sagt er. „Ich habe Zweifel an der Stabilität solcher vermeintlichen Charaktereigenschaften.” So half Niels Birbaumer Kindern mit ADHS, sich besser konzentrieren zu können, und Menschen mit Angststörungen, ihre Furcht zu besiegen. Er selbst ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich Menschen ändern können. In seiner Jugend war er impulsiv und in einer Gang, die randalierte und Autos knackte. Als ihm ein Mitglied einer anderen Jugendbande einmal das Frühstück klaute, rammte er ihm eine Schere in den Fuß.
Heute ist Birbaumer ein anerkannter Wissenschaftler, der sich in den vergangenen Jahren verstärkt Menschen mit Psychopathie gewidmet hat. „Psychopathen haben Schwierigkeiten vorherzusehen, welche negativen Folgen eine bestimmte Handlung für sie selbst und für andere hat”, erklärt er. Kognitiv können sie die Folgen durchaus abschätzen. Aber ihnen fehlt der körperlich-emotionale Aspekt, der nötig ist, um Angst zu empfinden. Gefängnisstrafen fürchten sie nicht. All das macht sie anfällig dafür, auf die schiefe Bahn zu geraten.
Gleichzeitig sind Psychopathen wahre Meister der Täuschung, die ihre Emotionslosigkeit hervorragend verbergen können (bild der wissenschaft 2/2013, „Charmante Bestien”). „Selbst die straffälligen Psychopathen, die ich kennengelernt habe, sind oft sehr charmant”, erklärt der Psychiater. „Eine Abneigung ihnen gegenüber entsteht erst, wenn man erfährt, was sie getan haben.”
Die Gründe für die Gefühlskälte sieht Birbaumer in Anomalien im Gehirn. Wie sich herausgestellt hat, scheinen einige davon eine wichtige Rolle bei natürlichen Angstreaktionen und Empathie zu spielen. Konfrontiert man Psychopathen mit Angst auslösenden Situationen, so bleibt etwa ihr Mandelkern im Hirn völlig ruhig. Er sorgt normalerweise für die emotionale Einfärbung von Erlebtem und lässt Angst entstehen. Bei Psychopathen ist er nicht nur schlechter durchblutet, sondern auch anatomisch kleiner.
„Weil die Schaltkreise im Gehirn anatomisch verändert sind, vermuten viele Forscher, dass man nichts machen kann”, sagt Birbaumer. Psychopathen hätten demnach einen strukturellen Hirnschaden. „Das ist meiner Meinung nach aber nicht der Fall. Die betroffenen Areale lassen sich durch Training wieder aktivieren und normalisieren.”
Der Tübinger Psychiater und seine Kollegen setzen auf das sogenannte Neurofeedback, um die betroffenen Schaltkreise auf Trab zu bringen. Die Versuchspersonen liegen dabei in Magnetresonanztomografen und bekommen die Aktivität ihres Gehirns in Echtzeit rückgemeldet. Das Feuern ihrer Neurone sehen sie auf einem Monitor bildlich dargestellt als Fieberthermometer, dessen „ Quecksilbersäule” sie nach oben lenken müssen. Wie sie das tun, bleibt ihnen überlassen. Manche erinnern sich dabei an emotionale Situationen in ihrem Leben wie den Tod der Eltern. Letztlich sollen sie durch Ausprobieren lernen, ihre Hirntätigkeit zu kontrollieren.
Birbaumer und seine Kollegen trainierten ihre Probanden, die Aktivität der Insula zu kontrollieren. Sie ist als Teil des Schläfenlappens nicht nur an der Verarbeitung von Emotionen wie Angst beteiligt, sondern auch für Empathie wichtig. Normalerweise steigert die Insula ihre Aktivität, wenn wir an den Schmerzen anderer Anteil nehmen. Ein Psychopath ist dazu nicht in der Lage.
Training für den Schläfenlappen
Durch das Neurofeedback der Tübinger Forscher lernen gesunde Versuchspersonen in der Regel schon nach einigen Sitzungen, ihre Insula zu aktivieren. Bei Psychopathen dauert es etwas länger. Danach zeigt sich auch bei ihnen die erhoffte emotionale Wirkung: „Nach dem Training reagieren Psychopathen auf grausame Bilder etwa von Unfallopfern und ermordeten Menschen”, sagt Birbaumer. Zuvor lösten diese Bilder bei ihnen nur völlig neutrale Gefühle aus.
In einer kleinen, noch unveröffentlichten Studie mit Sexualstraftätern zeigte sich aber auch: Je höher die ermittelten Psychopathiewerte der Versuchspersonen waren, desto schwerer fiel es ihnen, die Aktivität ihrer Insula zu steigern. Trotz finanzieller Anreize gaben die meisten von ihnen schnell auf. „Es war sehr schwierig, die psychopathischen Versuchspersonen bei der Stange zu halten”, sagt Birbaumer. Den meisten sei nach zwei bis drei Sitzungen langweilig geworden.
Die Wissenschaftler verweisen aber auch auf eine zweite, erst vor Kurzem abgeschlossene Untersuchung mit 14 schwerkriminellen Psychopathen. Dabei setzten die Forscher erneut Neurofeedback ein. Allerdings konzentrierten sie sich dieses Mal auf das Frontalhirn. Birbaumers Mitarbeiterin Lilian Konicar erklärt: „ Das Frontalhirn ist die oberste Zentrale für die Steuerung von Verhalten, inklusive aggressivem und impulsivem Verhalten. Bei Psychopathen ist es vermindert aktiv.” Die Forscher mussten ihre Untersuchungen in forensischen Psychiatrien mit Hochsicherheitsauflagen durchführen und durften die Probanden – Mörder und Mehrfachvergewaltiger – verständlicherweise nicht mit in ihr Labor nehmen.
Durch das Neurofeedback lernten die Schwerkriminellen, die Aktivität im Frontalhirn zu kontrollieren. „Nach dem Training waren auch die Aggressionen der Patienten reduziert”, so Konicar. Zudem konnten sie ihr Verhalten besser steuern und Impulsverhalten leichter unterdrücken. Das fanden die Forscher durch Tests heraus, bei denen die Psychopathen beim Anblick bestimmter Buchstaben auf einem Monitor eine Taste drücken sollten, diesen spontanen Impuls bei anderen Buchstaben hingegen unterdrücken mussten.
„Psychopathen können sich und ihre Hirnaktivierungen sehr wohl prinzipiell ändern”, ist Niels Birbaumer überzeugt. Noch ist allerdings unklar, ob das Training dauerhaft das Sozialverhalten beeinflusst. „Ich sage also nicht – zumindest noch nicht –, dass solche Menschen das Gefängnis wieder verlassen können sollten”, betont Bierbaumer. Man werde Psychopathen nicht einfach mit ein bisschen Training ändern. „So leicht ist das Umerziehen dann doch nicht.” Die Ergebnisse aus dem Labor müssen sich im Alltag der Betroffenen bewähren.
Birbaumer ist überzeugt, dass es einige Psychopathen geben wird, die nach einem solchen Training vollkommen der Norm entsprechen. Bei anderen hingegen werde das Training allein nicht reichen. Wenn sie aus dem Gefängnis in ihre alte Umgebung zurückkommen, wirken die alten Reize, winken die alten Belohnungen. „Man muss also beispielsweise bei einem psychopathischen Sexualstraftäter sicherstellen, dass er, wenn er eine Frau sieht, nicht wieder vergewaltigt.” Man muss ihn trainieren, genau solch eine Situation in der Realität zu meistern.
Fit für den Alltag
Ähnliches macht man heute schon erfolgreich mit Angstpatienten. Man konfrontiert sie mit einer von ihnen befürchteten Situation und macht ihnen klar, dass es keine schlimmen Folgen für sie gibt. In ähnlicher Weise muss man auch die Psychopathen für den Alltag trainieren, meint Birbaumer: „Das klappt bei den Angstpatienten schließlich auch. Ich bin ganz sicher, dass das funktioniert.” Bisher habe das nur noch niemand versucht – weder die oft überforderten Bewährungshelfer noch die Psychotherapeuten.
Doch Niels Birbaumer fürchtet, dass der Glaube an die stabile Persönlichkeit eines Menschen aus den Köpfen der Psychologen kaum auszurotten ist. Denn letztlich verlassen wir uns alle auf eine gewisse Konstanz im Verhalten und in der Persönlichkeit von anderen Menschen. „Aber im Grunde ändern wir uns meist nur deshalb nicht, weil wir uns in der gleichen Umgebung aufhalten und nichts Neues lernen.” •
Christian Wolf ist noch nicht davon überzeugt, dass das Empathie-Training funktioniert. Er ist gespannt, ob die Neurofeedbacktherapie auch Praxistests besteht.
von Christian Wolf