Es war die erste große Tournee des Sensenmanns: Die sogenannte Justinianische Pest sorgte von 541 bis 750 n. Chr. für Millionen von Todesopfern im Mittelmeerraum und Europa. Nun haben Wissenschaftler neue Einblicke in die Ausbreitung und die Merkmale der Verursacher dieser ersten Pest-Pandemie gewonnen. Durch Erbgutanalysen des Bakteriums Yersinia pestis aus Überresten von Pestopfern konnten sie eine bisher unbekannte Diversität bei den Erregerstämmen aufdecken. Außerdem präsentiert die Studie den ersten genetischen Nachweis der Justinianischen Pest auf den Britischen Inseln.
Millionenfaches Elend, entvölkerte Landstriche… Keine Seuche der Menschheitsgeschichte wütete so schlimm wie die Pest. Mittlerweile ist klar, dass für die verschiedenen Seuchenzüge in den letzten 1500 Jahren das Bakterium Yersinia pestis verantwortlich war. Als die erste große Pandemie in Europa, die sich diesem Erreger zuordnen lässt, gilt die Justinianische Pest, die nach dem damals regierenden byzantinischen Kaiser Justinian I. benannt ist. Ab dem Jahr 541 begann sich die Seuche vom Südosten des Reiches her im Mittelmeerraum und Europa auszubreiten. Nahezu 200 Jahre lang schlug sie dann immer wieder neue Wellen und forderte Millionen von Opfern. Im Lauf des 8. Jahrhunderts verschwand die Pest dann endlich – doch nicht für immer: Etwa 800 Jahre später machte der Sensenmann erneut die Runde – die Pest kehrte zurück und forderte wieder Millionen von Menschenleben.
Unterschiedliche Erreger-Stämme zeichnen sich ab
Im Rahmen der aktuellen Studie hat sich ein internationales Forscherteam nun mit den Hintergründen der Justinianischen Pest beschäftigt. Genetische Studien haben in den letzten Jahren bereits dokumentiert, dass tatsächlich das Bakterium Yersinia pestis für diese Pandemie verantwortlich gewesen ist. Die Ausbreitung und die Merkmale der Erreger der unterschiedlichen Wellen im Rahmen der ersten Pest-Pandemie waren allerdings bisher unklar. Um neue Einblicke zu gewinnen, haben die Forscher menschliche Überreste von Pestopfern von 21 archäologischen Fundorten in Österreich, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Spanien untersucht. Es gelang ihnen, den Gebeinen Überbleibsel des Erbguts der Krankheitserreger zu entlocken. So konnte das Team schließlich acht Yersina-pestis-Genome rekonstruieren, die einen Vergleich mit bereits publizierten alten und modernen Pestgenomen erlaubten.
So wurde deutlich, dass es vom 6. bis zum 8. Jahrhundert eine bislang unbekannte Vielfalt von Yersinia pestis Stämmen gegeben hat, die aus einem gemeinsamen Vorläufer hervorgegangen sind. In Bayern wurden beispielsweise zwei unterschiedliche Stämme des Pesterregers entdeckt. „Dies deutet darauf hin, dass Bayern von mindestens zwei Pestwellen betroffen war“, sagt Co-Autorin Michaela Harbeck von der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München. Diese Entdeckung ist bedeutend, da es im Gegensatz zu anderen Regionen Europas für die Pest im frühmittelalterlichen Bayern keine schriftlichen Belege gibt.
Auch Großbritannien war von der Justinianischen Pest betroffen
Unklar war bisher auch, ob es die Justinianische Pest auch bis nach Großbritannien geschafft hatte. Diese Frage hat die Studie nun ebenfalls geklärt: In Proben vom Fundort Edix Hill – einem Gräberfeld aus der Zeit der Angelsachsen – gelang dem Team der Nachweis eines Pest-Stamms. Durch die Kombination von archäologischen Datierungen und der Position des entdeckten Pestgenoms im evolutionären Stammbaum konnten die Forscher diesen Erreger nun mit der Überlieferung einer mysteriösen Seuche in der Region aus dem Jahr 544 in Verbindung bringen.
Was die Unterschiede zwischen den neuentdeckten Stämmen von Yersinia pestis betrifft, betont Co-Autor Marcel Keller vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena: “Trotz der Vielfalt haben die Genome der Pest-Stämme nur eine einzige gemeinsame Abstammungslinie. Dies deutet darauf hin, dass die Pest wohl nur einmal in den Mittelmeerraum beziehungsweise nach Europa eingetragen wurde“. Dem Wissenschaftler zufolge lässt dies vermuten, dass sich die Justinianische Pest in Europa oder dem Nahen Osten in Nagetierpopulationen festgesetzt hatte. „Dort hat sie sich wahrscheinlich dann immer wieder auf den Menschen übertragen, wodurch es wiederholt zu Epidemien kam“, sagt Keller.
Über die tiefere Ursprungsgeschichte der Justinianischen Pest können die Forscher bislang allerdings nur spekulieren. „Der Stamm entwickelte sich vermutlich einige hundert Jahre vor der ersten Pandemie in Zentralasien”, sagt Keller, „aber unsere Daten erlauben uns momentan noch keine Rückschlüsse auf den Ursprung der Justinianischen Pest, vor den ersten überlieferten Ausbrüchen 541 in Ägypten“. Im Hinblick auf die spannenden Möglichkeiten der Paläogenetik scheint es allerdings gut vorstellbar, dass die Wissenschaftler eines Tages auch Einblicke in diese Frage gewähren können
Quellen: Max-Planck-Gesellschaft, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns, PNAS, doi: 10.1073/pnas.1820447116