Früherkennung ist wichtig, aber bisher schwierig – doch nun berichten Forscher von einem Fortschritt bei den Diagnosemöglichkeiten der Parkinson-Krankheit: Sie haben ein künstliches Intelligenz-System entwickelt, das eine Erkennung der Anzeichen der neurodegenerativen Erkrankung anhand der nächtlichen Atemmuster eines Menschen ermöglicht. Die Datenerfassung kann dabei kontaktlos über ein kleines Gerät im Schlafzimmer erfolgen. Neben der Diagnose könnte das Konzept auch der Untersuchung des Verlaufs einer Parkinson-Krankheit dienen sowie der Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten, sagen die Wissenschaftler.
Muskelzittern, ein kleinschrittiger Gang und ein regloser Gesichtsausdruck gehören zu den klassischen Symptomen im fortgeschrittenen Stadium: Die auch Schüttellähmung genannte Parkinson-Krankheit ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurologische Störung beim Menschen. Verursacht werden die Beeinträchtigungen der Bewegungskontrolle durch ein fortschreitendes Absterben von bestimmten Nervenzellen im Gehirn, in denen der Botenstoff Dopamin produziert wird. Weltweit gibt es Millionen von Betroffenen und man geht von weiter steigenden Zahlen aus.
Ein Problem bei der Behandlung von Parkinson ist die schwierige Früherkennung. Denn deutlich wird sie oft erst, wenn motorische Symptome wie Zittern, Steifheit und Langsamkeit deutlich werden. Diese Zeichen treten allerdings oft erst mehrere Jahre nach dem eigentlichen Ausbruch der Krankheit auf. Es gibt zwar Möglichkeiten, die Parkinson-Krankheit mit Hilfe von Hirnflüssigkeit und bildgebenden Verfahren zu erkennen. Diese Methoden sind jedoch invasiv, kostspielig und erfordern den Zugang zu spezialisierten medizinischen Zentren. Einfachere Methoden der Parkinson-Diagnose sind deshalb gefragt.
Parkinson ist mit speziellen Atemmustern verbunden
Der Entwicklung solcher Konzepte widmet sich das Team um Dina Katabi vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. Ihr Ansatz beruht auf einem bekannten Aspekt bei der Entwicklung von Parkinson-Erkrankungen: “Bereits 1817 wurde in der Arbeit von Dr. James Parkinson ein Zusammenhang zwischen Parkinson und der Atmung festgestellt. Das hat uns dazu veranlasst, über die Möglichkeit nachzudenken, die Krankheit anhand der Atmung zu erkennen”, sagt Katabi. “Einige medizinische Studien haben gezeigt, dass sich Atemsymptome Jahre vor den motorischen Symptomen manifestieren, was bedeutet, dass Atemmerkmale für die Risikobewertung vor der Parkinson-Diagnose vielversprechend sein könnten”, sagt die Wissenschaftlerin.
Im Rahmen ihrer Studie sind sie und ihre Kollegen nun der Frage nachgegangen, inwieweit künstliche Intelligenz im nächtlichen Atemmuster von Menschen die Anzeichen einer Parkinson-Erkrankung erkennen kann. Sie trainierten dazu ein sogenanntes neuronales Netzwerk. Es handelt sich dabei um Kombinationen von Computer-Algorithmen, die die Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachahmen. Sie sind lernfähig und können durch ein Training bestimmte Muster in Daten erfassen und einem Merkmal zuordnen. Für die Studie wurde nun ein neuronales Netzwerk darauf trainiert, in Atemmustern bestimmte Signaturen zu erkennen, die mit Parkinson verknüpft sind.
Als Grundlage dienten den Wissenschaftlern Daten, die von Probanden mit einer bekannten Parkinson-Erkrankung sowie von gesunden Kontrollpersonen stammten. Erfasst wurden die Atmungsmuster in einer Teilgruppe über ein Brustband, das die Probanden nachts trugen. Bei einer weiteren Gruppe wurden sie hingegen berührungsfrei durch ein Gerät im Schlafzimmer erfasst, das wie ein Wi-Fi-Router aussieht. Es sendet Funksignale aus und kann anhand ihrer Reflexionen die Atemmuster einer schlafenden Person erfassen.
KI erkennt die Parkinson-Signatur
Wie die Forscher berichten, konnte das neuronale Netz erfolgreich darauf trainiert werden, Parkinson-spezifische Muster im Atmungsverhalten zu erkennen. Dies verdeutlichten Testergebnisse an insgesamt 7687 Personen, darunter 757 Parkinson-Patienten. Es zeigte sich, dass das Verfahren bereits mit einer Treffsicherheit von über 80 Prozent die Erkrankung erkennen kann. Es eignet sich damit zumindest schon als ein Hinweissystem, das mit weiteren Tests verbunden werden kann. Es zeichnet sich zudem ab, dass sich das Konzept dazu eignen könnte, den Schweregrad der Parkinson-Krankheit einer Person zu erkennen und das Fortschreiten der Krankheit im Laufe der Zeit zu verfolgen.
Außerdem wurde deutlich, dass das kontaktfreie Überwachungssystem erfolgreich zur Datenerfassung eingesetzt werden kann. Somit entsteht für Patienten oder Pflegepersonal kaum Aufwand. „Unsere Studie zeigt die Durchführbarkeit einer objektiven, nicht-invasiven Bewertung von Parkinson zu Hause und liefert auch erste Hinweise darauf, dass dieses KI-Modell für die Risikobewertung vor der klinischen Diagnose nützlich sein könnte“, schreiben Katabi und ihre Kollegen. „Im Hinblick auf die klinische Versorgung kann der Ansatz bei der Beurteilung von Parkinson-Patienten in traditionell unterversorgten Regionen helfen, und derjenigen, die aufgrund eingeschränkter Mobilität oder kognitiver Beeinträchtigungen nur schwer das Haus verlassen können”, sagt Katabi.
Die Wissenschaftler werden sich nun der Optimierung und Weiterentwicklung ihres Konzepts widmen. Wie Katabi abschließend hervorhebt, sieht sie auch Potenzial für die Parkinson-Forschung: “Was die Entwicklung von Arzneimitteln angeht, so könnte das Verfahren klinische Studien mit deutlich kürzerer Dauer und weniger Teilnehmern ermöglichen, was letztlich die Entwicklung neuer Therapien beschleunigt“.
Quelle: Massachusetts Institute of Technology, Fachartikel: Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-022-01932-x