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Neuronales Modell des Greifens entwickelt

Vom Sehen bis zur Handbewegung

Neuronales Modell des Greifens entwickelt
Ein Datenhandschuh hat Forschern detaillierte Informationen zu den Hand- und Armbewegungen von Rhesusaffen geliefert. (Bild: Ricarda Lbik/Deutsches Primatenzentrum)

Was läuft in uns ab, wenn wir etwas sehen und es anschließend greifen? Forscher haben nun ein Modell entwickelt, das die neuronalen Vorgänge von der visuellen Wahrnehmung bis zur Bewegungssteuerung erstmals komplett abbildet. Es handelt sich um ein künstliches neuronalen Netzwerk, das sie anhand von Informationen zur Hirnaktivität und Daten aus Greif-Experimenten mit Rhesusaffen erstellt haben. Das Modell könnte nun zur Entwicklung von Neuroprothesen beitragen, die durch Schnittstellen zwischen dem Nervensystem und elektronischen Elementen willentlich gesteuerte Bewegungsabläufe ermöglichen.

Wir greifen Kaffeetassen, das Handy, unsere Schlüssel… Diese alltäglichen Bewegungen erscheinen uns einfach und selbstverständlich – doch genau betrachtet basieren sie auf einem erstaunlich komplexen Zusammenspiel: Die Merkmale von Objekten werden dabei im Sehzentrum des Gehirns verarbeitet und dann in motorische Befehle verwandelt, die eine an den jeweiligen Gegenstand angepasste Greifbewegung ermöglichen. Wie wichtig die korrekte Funktion dieses Systems ist, wird besonders deutlich, wenn es bei Nervenverletzungen gestört ist – oder etwa beim Verlust einer ganzen Hand.

Um Menschen mit solchen Behinderungen möglichst natürliche Bewegungsfähigkeiten zurückzugeben, arbeiten Wissenschaftler an der Entwicklung von sogenannten Neuroprothesen. Diese technischen Systeme können Nervenreize weiterleiten oder in komplexe Bewegungen von elektronischen Einheiten umsetzen. Um komplexe Abläufe möglichst gut nachzuahmen, sind allerdings detaillierte Einblicke nötig, was natürlicherweise bei der Bewegungsplanung abläuft.

Dem Greifen auf der Spur

Diesem Forschungsthema widmen sich die Neurowissenschaftler um Hansjörg Scherberger vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Als Modell für den Menschen dienen ihnen dort Rhesusaffen, denn sie verfügen ähnlich wie wir über ein hochentwickeltes Nerven- und Sehsystem sowie eine ausgeprägte Feinmotorik bei Greifbewegungen. Wie die Forscher berichten, haben frühere Forschungsergebnisse bereits detaillierte Einblicke darin geliefert, welche Hirnregionen der Affen beim Greifen von zuvor gesehenen Gegenständen eine Rolle spielen.

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Demnach kommt es dabei zu bestimmten Aktivitätsmustern im sogenannten anterioren intraparietalen Areal, im für die Hände zuständigen Bereich des ventralen prämotorischen Kortex sowie im primär-motorischen Kortex. Doch wie sind diese Aktivitätsmuster mit der Muskelsteuerung von Arm und Hand verknüpft? Bisher gab es kein detailliertes Modell, das den gesamten Prozess von der Verarbeitung der visuellen Informationen bis zum Greifen eines Objektes auf neuronaler Ebene abbilden konnte, betonen die Wissenschaftler.

Wie sie erklären, waren für die Entwicklung eines solchen Modells nun genaue Daten zum Greifverhalten nötig. Geliefert haben sie ihnen zwei Rhesusaffen, die darauf trainiert wurden, 42 Gegenstände von unterschiedlicher Form und Größe zu greifen. Dabei trugen die Affen einen Datenhandschuh, der die Bewegungen des Arms, der Hand und der Finger genau erfasste. Die Aufforderung zum Greifen erhielten die Tiere durch ein kurzes Anleuchten des jeweiligen Objekts. Die Versuchsbedingungen konnten dadurch Aufschluss darüber geben, zu welchem Zeitpunkt die verschiedenen Hirnareale aktiv sind, um ausgehend von den visuellen Signalen die Greifbewegung und die damit verbundenen Muskelaktivierungen zu erzeugen.

Simulation durch künstliche Intelligenz

Anschließend übertrugen die Forscher die gewonnenen Daten sowie die Informationen über die Hirnaktivitäten aus den früheren Untersuchungen auf ein künstliches neuronales Netzwerk im Computer, dessen Funktionsweise den biologischen Vorgängen im Gehirn nachempfunden war. Das Netzwerkmodell bestand dazu aus drei miteinander verbundenen Stufen, die somit den drei involvierten Hirnarealen der Affen entsprachen. Eine weitere Datengrundlage für die Entwicklung des künstlichen neuronalen Netzwerks bildeten die Aufnahmen der 42 Objekte, wie sie aus der Perspektive der Affen sichtbar waren.

Was künstliche neuronale Netzwerke so interessant macht, ist ihre Fähigkeit zum Lernen – auch in diesem Fall führte diese Leistung zum Erfolg: Nach einem Training mit den Verhaltensdaten der Affen war das Netzwerk in der Lage, die Greifbewegungen der Rhesusaffen präzise widerzuspiegeln, berichten die Wissenschaftler. So konnte es Bilder mit darauf erkennbaren Objekten verarbeiten und daraus die zum Greifen der Objekte notwendige Muskeldynamik bei den Affen sehr genau reproduzieren. Die Ergebnisse, die mithilfe des künstlichen Netzwerkmodells erzielt wurden, stimmten mit der neuronalen Dynamik der Hirnareale der Affen hochgradig überein, sagen die Wissenschaftler.

Sie sehen in ihrem Ergebnis deshalb nun erhebliches Potenzial vor allem für die Medizintechnik. „Dieses künstliche Modell beschreibt erstmals in biologisch realistischer Weise den neuronalen Verarbeitungsprozess vom Sehen eines Objektes zur Objekterkennung über die Handlungsplanung bis hin zur Handmuskelsteuerung beim Greifen“, resümiert Scherberger. „Dieses Modell trägt damit nun dazu bei, die im Gehirn ablaufenden Prozesse besser zu verstehen, und könnte langfristig zur Entwicklung leistungsfähigerer Neuroprothesen genutzt werden“, sagt der Neurobiologe.

Quelle: Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.2005087117

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