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Neues Mittel gegen HIV

Gesundheit|Medizin

Neues Mittel gegen HIV
HIV
Modell eines HI-Virus mit beschädigtem Kapsid (magenta) und angelagertem GS-6207 (blau). (Bild: Random42/ Karolina@random42.com)

Eine HIV-Infektion lässt sich heute zwar behandeln, heilbar ist sie aber nicht. Wer das Aids-Virus in sich trägt, muss bisher täglich antivirale Medikamente einnehmen. Doch nun haben Forscher einen neuen Wirkstoff entwickelt, der nur einmal alle sechs Monate unter die Haut gespritzt werden muss. Zudem setzt dieses Mittel nicht wie bisherige Therapien an einem Enzym des HI-Virus an, sondern an dessen Kapsid – der Proteinschale, die das Erbgut des Aids-Virus einschließt. Dadurch verhindert es das Einschleusen der viralen DNA in den Zellkern der Wirtszelle und hemmt so die Virenvermehrung. In einer ersten klinischen Studie hat sich das GS-6207 getaufte Mittel nun als verträglich und langwirkend erwiesen.

In Deutschland leben gut 80.000 Menschen mit einer HIV-Infektion, weltweit sind es mehr als 30 Millionen. Zwar ist die Diagnose HIV im Gegensatz zu den 1980er Jahren heute kein Todesurteil mehr, denn es gibt inzwischen Medikamente, die die Vermehrung des HI-Virus im Körper effektiv hemmen. Einige dieser Therapien wirken sogar so gut, dass die Viren nicht mehr nachweisbar sind und HIV-Infizierte deshalb selbst bei ungeschütztem Sex nicht ansteckend sind. Doch um eine solche Wirkung zu erzielen, müssen Betroffene diese Mittel täglich einnehmen, meist sogar einen ganzen Cocktail verschiedener Wirkstoffe. Dies erfordert viel Disziplin und verursacht auch Nebenwirkungen. Hinzu kommt, dass die Wirksamkeit durch die Entwicklung von Resistenzen mit der Zeit nachlassen kann. Wissenschaftler suchen deshalb schon seit längerem nach Wirkstoffen, die anhaltender wirken und weniger häufig eingenommen werden müssen.

Angriff am viralen Kapsid

Ein solches Mittel könnten nun John Link von Gilead Sciences und seine Kollegen gefunden haben. Sie haben im Rahmen ihrer Arbeit nach molekularen Wirkstoffen gesucht, die nicht wie bisherige Medikamente an einem oder mehreren Enzymen des Aids-Virus ansetzen, sondern an seinem Kapsid. Diese aus Proteinen bestehende Kapsel umhüllt das Virenerbgut und spielt eine wichtige Rolle beim Einschleusen der viralen DNA in den Zellkern der Wirtszelle. “Die korrekte Bildung und die Integrität des Kapsids sind daher essenziell für die Infektiosität des Virus”, erklären die Forscher. Der von ihnen entwickelte Wirkstoff GS-6207 bindet jedoch an die Proteine des HIV-Kapsid und stört so dessen Funktion. Dadurch kann das Virus seine genetischen Bauanleitungen nicht mehr ungehindert in den Zellkern einschleusen. In Zellkulturversuchen reichten schon relativ geringe Konzentrationen des Mittels aus, um die viralen Kapside zu deformieren und so die Neubildung von funktionsfähigen HI-Viren zu verhindern.

In weiteren Laborexperimenten erwies sich GS-6207 als wirksam gegen alle getesteten Stämme von HIV-1 und auch gegen zwei Varianten des Subtyps HIV-12, der vor allem in Westafrika vorkommt. Weil der Wirkstoff an einer anderen Stelle im Vermehrungszyklus des HI-Virus ansetzt als bisherige Medikamente, hemmt er auch die Virenstämme, die schon gegen die gängigen Therapien resistent sind, wie Link und sein Team berichten. “Wenn GS-6207 mit anderen antiretroviralen Mitteln kombiniert wird, zeigt es Synergieeffekte und demonstriert seine Eignung für Kombinationstherapien.” Eine solche Kombination von Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen und Ansatzstellen gilt als effektivste Möglichkeit, die Entwicklung resistenter Virenvarianten so lange wie möglich zu unterdrücken.

Bis zu einem halben Jahr potenziell wirksam

Um die Eignung des neuen Mittels für eine Therapie beim Menschen zu testen, haben Link und seine Kollegen bereits eine erste klinische Studie der Phase 1 durchgeführt. Sie dient dazu, die Verträglichkeit und das Aktivitätsprofil eines Medikaments in den verschiedenen Geweben des Körpers zu prüfen. Dafür erhielten 32 gesunde Probanden eine einmalige Injektion von GS-6207 unter die Haut, acht weitere bekamen ein Placebo. Wie die Forscher berichten, erwies sich das Mittel als gut verträglich, nur bei einigen Probanden kam es an der Injektionsstelle vorübergehend zu Schmerzen und einer Hautrötung. Ebenfalls positiv waren die Ergebnisse zum Wirkprofil: Bei einer Dosierung ab 100 Milligramm blieb das Mittel mindestens zwölf Wochen lang in einer für die Virenhemmung ausreichenden Konzentration im Körper nachweisbar. Bei 300 Milligramm reichte die Wirkspanne sogar über 24 Wochen. Dies bestätigt, dass GS-6207 nur langsam abgebaut wird und daher eine langanhaltende Wirkung entfalten kann.

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Ob und wie gut GS-6207 beim Menschen die Vermehrung der HI-Viren hemmen kann, haben Link und sein Team in einer ergänzenden Pilotstudie schon einmal angetestet. Dabei erhielten 24 Teilnehmer mit einer noch unbehandelten HIV-Infektion unterschiedlich hohe Dosen des Mittels gespritzt. Neun Tage nach Injektion war dadurch die Virenlast dieser Probanden bereits messbar gesunken, wie die Forscher berichten. Ihrer Ansicht nach bestätigen diese Ergebnisse, dass GS-6207 sich für eine langwirkende Therapie gegen das HI-Virus eignet – und als gute Ergänzung zu den schon vorhandenen Medikamenten. “Weil GS-6207 nur in großen Abständen subkutan verabreicht werden muss, wäre dies auch ein attraktiver Kandidat für eine einfache Prävention von HIV in Risikopopulationen”, sagen Link und seine Kollegen. Bis es aber soweit ist, müssen nun weitere klinische Studien die geeignete Dosis und die Wirkung des Mittels untersuchen.

Quelle: John Link (Gilead Sciences, Foster City) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2443-1

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