Eine funktionierende Blutgerinnung ist für uns überlebenswichtig – ohne sie würden wir schon durch kleine Verletzungen verbluten. Jetzt haben Forscher einen zuvor unerkannten Regulationsmechanismus dieses blutungsstillenden Prozesses entdeckt. Demnach spielt das auf der Oberfläche von Blutplättchen sitzende Glykoprotein V (GPV) eine entscheidende Rolle dafür, eine zu starke Verklumpung des Blutes zu verhindern. Das GPV-Protein kontrolliert die Aktivität eines Enzyms, das am Ende der Gerinnungskaskade lange Fibrinfasern erzeugt. Dadurch verhindert GPV, dass es zu einer überschießenden Gerinnselbildung kommt. Das Wissen um diesen Prozess könnte dabei helfen, Gerinnungsstörungen zu behandeln, aber auch vorbeugend gegen Schlaganfälle und Herzinfarkte eingesetzt werden.
Wenn unsere Blutgefäße durch Schnitt- oder Schürfwunden oder bei Quetschungen verletzt werden, ist es lebenswichtig, dass die Blutung gestillt und die Wunde verschlossen wird. In der Fachsprache heißt dieser Prozess Hämostase. Diese besteht aus zwei Vorgängen: Bei der Blutstillung heften sich Blutplättchen (Thrombozyten) an die Wundränder, bilden einen Pfropf und dichten so die Verletzung provisorisch ab. Die Blutgerinnung sorgt dafür, dass lange Fasern aus Fibrin gebildet werden, die mit den Blutplättchen verklumpen und so die Wunde fest abdichten. Beides ist für das Stoppen einer Blutung wichtig. Werden dabei jedoch zu viele Fibrinfasern gebildet, kann es zu Thrombosen, Gefäßverschlüssen und im schlimmsten Fall zu Schlaganfall und Herzinfarkt kommen. Deshalb ist eine strenge Regulierung der Fibrinbildung wichtig. Doch wie dies funktioniert, war bisher erst in Teilen geklärt.
Zentrale Rolle für das Glykoprotein V
Wissenschaftler um Sarah Beck vom Universitätsklinikum Würzburg haben sich deshalb den Ablauf der Fibrinbildung und ihre Akteure genauer angeschaut. Dabei konzentrierten sie sich auf ein Protein auf der Oberfläche der Blutplättchen. Dieses Glykoprotein V (GPV) sitzt als Oberflächenrezeptor auf den Blutplättchen und wird während der Blutgerinnung durch das Enzym Thrombin geschnitten. Dieses ist ein wichtiger Akteur bei der Blutgerinnung, weil es für die Bildung der Fibrinfasern verantwortlich ist. Seine Aktivität ist mitentscheidend dafür, ob die Gerinnung ausreichend, überschießend oder zu schwach ausfällt. Bisher war jedoch unklar, ob auch das GPV an diesem Prozess beteiligt ist und welche physiologische Funktion dieser Rezeptor hat. Um mehr darüber zu erfahren, führten Beck und ihr Team Versuche mit Mäusen durch, bei denen das GPV so mutiert war, dass es nicht mehr durch Thrombin gespalten werden konnte.
“Die Blutplättchen dieser Mäuse zeigten zwar eine unveränderte Oberflächenexpression von GPV, aber ihr GPV war vollständig resistent gegenüber der Spaltung durch Thrombin”, erklären die Wissenschaftler. Dies hatte eine überraschende Folge: “Von uns unerwartet zeigten diese Mäuse eine beschleunigte Thrombusbildung bei arteriellen Verletzungen”, berichten Beck und ihre Kollegen. Nähere Analysen legten nahe, dass die Präsenz des abgespaltenen, löslichen GPV im Blut offenbar dazu beiträgt, die Fibrinbildung zu bremsen. Fehlt das lösliche GPV, kommt es hingegen zu einer übermäßigen Synthese der gerinnungsfördernden Fibrinfasern. „Damit konnten wir erstmals eine neue Schaltstelle aufdecken, die sowohl die Blutstillung als auch die Bildung von Thrombosen reguliert. Diese Schaltstelle ist das Glykoprotein V, kurz GPV, das sich auf der Oberfläche von Blutplättchen befindet”, sagt Seniorautor Bernhard Nieswandt von der Universität Würzburg.
Chance auf neue Therapien für Blutgerinnungsstörungen
In weiteren Versuchen konnte das Forschungsteam auch aufdecken, wie das Glykoprotein V die überschießende Fibrinbildung reguliert: Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass sich das Enzym Thrombin während der Synthese dieser Fasern an das Fibrin anlagert. In diesem gebundenen Zustand ist es vor Antigerinnungsfaktoren im Blut geschützt und kann ungestört seine Arbeit verrichten. Die aktuellen Experimente zeigen nun, dass das vom Thrombin gespaltene GPV am Thrombin gebunden bleibt und dadurch dessen Anlagerung an das Fibrin stört. Dies behindert die weitere Neubildung der Fibrinfasern – und damit auch die Entstehung von gefährlichen Blutgerinnseln. In Versuchen mit Mäusen gelang es dem Forschungsteam, künstlich ausgelöste Schlaganfälle durch gezielte Gabe von gelöstem GPV zu verhindern. Auch andere Formen der Thrombusbildung ließen sich durch dieses Protein verhindern.
Nach Ansicht der Wissenschaftler eröffnen diese Erkenntnisse ganz neue Möglichkeiten, Störungen der Blutgerinnung zu behandeln. “Die Prävention von Thrombosen bei gleichzeitiger Beibehaltung der Blutstillung ist schon lange ein zentrales Ziel der Forschung zu Antithrombosemitteln”, erklärt das Team. Denn die bisher verfügbaren Gerinnungshemmer hemmen zwar die Bildung von Blutgerinnseln, stören aber auch die normale, für die Wundheilung wichtige Blutgewinnung. Patienten, die diese Mittel vorbeugend gegen Herzinfarkt oder Schlaganfall einnehmen müssen, haben daher ein erhöhtes Risiko für innere und äußere Blutungen. Der Einsatz von gelöstem GPV könnte nun dieses Problem umgehen, weil nur die übermäßige Fibrinbildung gehemmt wird, nicht aber der Rest der Gerinnungskaskade. Umgekehrt könnte die neu entdeckte Kontrollfunktion des GPV auch die Behandlung von Gerinnungsstörungen bei Blutern verbessern, beispielsweise indem die GPV-Spaltung durch Antikörper blockiert wird. „In einem experimentellen Modell zur Blutstillung konnte unser neuer Antikörper tatsächlich die Hämostase unter Bedingungen wiederherstellen, unter denen ansonsten keine Blutstillung möglich ist”, berichtet Beck. Auch hier biete das GPV großes Potenzial für neue Therapien.
Quelle: Sarah Beck (Universitätsklinikum Würzburg) et al., Nature Cardiovascular Research, doi: 10.1038/s44161-023-00254-6)