Die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gilt inzwischen als häufigste psychische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Bei uns sind zwischen fünf und acht Prozent der Kinder betroffen – Jungen fast doppelt so häufig wie Mädchen. Typische Symptome von ADHS sind Konzentrationsprobleme, ein unaufmerksames und oft unkontrolliert impulsives Verhalten und eine übersteigerte Aktivität. Auch Störungen des Sozialverhaltens sind bei ADHS häufig. Welche Ursachen diese Erkrankung hat, ist bis heute nur in Teilen geklärt – auch, weil es viele verschiedene Ausprägungen zu geben scheint. In den meisten Fällen aber ist die Balance und Wirkung wichtiger Neurotransmitter im Gehirn gestört. Botenstoffe wie Dopamin, Noradrenalin oder Serotonin werden oft nur unzureichend ausgeschüttet oder zu schnell wieder abgebaut. Studien belegen zudem, dass diese Fehlregulierung des Hirnstoffwechsels bei vielen Patienten mit Veränderungen in den Genbereichen verknüpft sind, die für den Dopaminstoffwechsel zuständig sind.
Suche nach spezifischeren Medikamenten
Bisher wird ADHS mit Hilfe einer Kombination von Psychotherapie, pädagogischen Maßnahmen und pharmazeutischen Wirkstoffen wie Methylphenidat behandelt. Bei diesem unter dem Handelsnamen Ritalin bekannten Medikament handelt es sich um ein mit den Amphetaminen verwandtes Aufputschmittel, das die Wiederaufnahme von Dopamin und anderen Neurotransmittern hemmt und so deren Konzentration im Gehirn der Betroffenen erhöht. Das Problem dabei: Weil Ritalin und andere Mittel eher unspezifisch wirken, verursachen sie erhebliche Nebenwirkungen. Eine Metastudie der Cochrane Foundation ergab kürzlich, dass Kinder, die Ritalin bekommen, 60 Prozent häufiger unter Schlaflosigkeit und 266 Prozent häufiger unter Appetitstörungen leiden. Auch Kopfschmerzen, Zwangshandlungen, Ticks und obsessives Grübeln treten häufiger auf. Welche Langzeitfolgen dieser Eingriff in den Hirnstoffwechsel hat, ist außerdem bisher ebenso umstritten wie unklar.
Auf der Suche nach einer spezifischeren und damit Nebenwirkungsärmeren Behandlung haben nun Josephine Elia von der Thomas Jefferson University in Philadelphia und ihre Kollegen einen neuen Wirkstoff für die ADHS-Therapie getestet. In ihrer Phase-I-Studie verabreichten sie 30 jugendlichen Patienten mit mittlerer bis schwerer ADHS den Wirkstoff NFC-1 – ein kleines synthetisches Molekül, das einen speziellen Glutamatrezeptor aktiviert. Dies hatten zuvor bereits klinische Studien dieses Mittels gegen die vaskuläre Demenz ergeben. Weil zumindest von einigen ADHS-Patienten bekannt ist, dass sie Mutationen in der genetischen Bauanleitung für diesen Glutamatrezeptor tragen, wollten die Forscher nun testen, ob sich NFC-1 bei solchen Patienten auch zur Therapie der ADHS eignet. Alle Studienteilnehmer besaßen daher mehr oder weniger starke Veränderungen in den Glutamatrezeptor-Genen. Im Rahmen ihrer Studie erhielten alle Probanden in der ersten Woche nur ein Placebo, dann aber steigende Dosen von NFC-1. “Unser Hauptziel war es, die Verträglichkeit und die Pharmakokinetik dieses Wirkstoffs bei Kindern mit ADHS zu ermitteln”, betonen Elia und ihre Kollegen. Erst in zweiter Linie bewerteten sie auch die Wirksamkeit dieses Mittels.
Klare Besserung der Symptome
Das Ergebnis: Wie erhofft, vertrugen die Jugendlichen den Wirkstoff gut. “NFC-1 erwies sich als sicher und gut verträglich”, berichten die Forscher. Es traten keine mit dem Wirkstoff verknüpften schweren Nebenwirkungen auf und zwischen Placebogabe und Wirkstoff ließen sich im Hinblick auf die Verträglichkeit keine Unterschiede feststellen. Noch wichtiger aber: NFC-1 scheint gegen die Symptome der ADHS zu wirken. “Bei allen Probanden zeigten sich nach fünf Wochen signifikante Verbesserungen gegenüber dem Ausgangszustand”, so Elia und ihre Kollegen. Im Durchschnitt besserte sich der Zustand der Teilnehmer von mittel bis schwerer ADHS zu nur noch leichter bis mittlerer ADHS, wie standardisierte Tests ergaben.
Nach Ansicht der Forscher bestätigen diese Ergebnisse NFC-1 als vielversprechenden Wirkstoff-Kandidaten für zumindest bestimmte Formen der ADHS. “Das spricht dafür, die Eignung und Wirksamkeit von NFC-1 in weitergehenden klinischen Studien zu untersuchen”, so Elia und ihre Kollegen. Jetzt müssen weitere Tests mit größeren Patientenzahlen folgen, um Dosis und Wirkung genauer einzugrenzen. “Gleichzeitig aber unterstreicht unsere Studie, wie wichtig es ist, die genetischen Hintergründe eines ADHS-Patienten zu kennen und dies in die gezielte Therapie mit einzubeziehen.” Denn spezifische Mittel wie NFC-1 wirken nicht bei jedem ADHS-Betroffenen, sondern nur bei denen, deren genetisches Profil zum Wirkmechanismus passt. Statt der “Gießkanne” Ritalin wirken diese Mittel spezifischer und schonender, sind dafür aber nicht für alle Betroffenen geeignet.