Schon länger ist bekannt, dass auch genetische Faktoren die Anfälligkeit für Alzheimer bestimmen. Jetzt haben Mediziner entdeckt, dass eine schon bekannte Genvariante nicht nur das Demenzrisiko erhöht, sondern Alzheimer direkt auslöst. Dies ist immer dann der Fall, wenn Betroffene zwei Kopien dieses Gens Apolipoprotein-4 (APOE4) in ihrem Erbgut tragen. Die homozygoten Träger dieser Genvariante entwickeln im Alter nahezu alle anomale Amyloid-Ansammlungen in ihrem Gehirn. APOE4 ist demnach nicht nur ein bloßes Risikogen, sondern in seiner doppelten Form auch ein direkter genetischer Auslöser für Alzheimer, wie das Team berichtet.
Das Risiko, an Alzheimer-Demenz zu erkranken, ist zum Teil genetisch bedingt. So sind bereits einige seltene Genmutationen bekannt, die zu einem frühen Krankheitsausbruch führen. Deutlich häufiger führen jedoch bestimmte Genvarianten und deren Kombinationen nicht zwangsläufig zu Alzheimer, können aber das Risiko für die Demenzerkrankung erhöhen. Dazu gehören insbesondere Varianten des Gens Apolipoprotein E (APOE). Dieses Gen spielt eine wichtige Rolle für den Cholesterin-Abbau, Fettstoffwechsel und für Entzündungsreaktionen. Die Genvariante APOE4 kann jedoch auch das Risiko für Alzheimer erhöhen, wie frühere Studien bereits ergaben.
Genauerer Blick auf APOE4
Ein Team um Juan Fortea vom Biomedical Research Institute Sant Pau in Barcelona hat nun die Wirkung der APOE4-Genvariante genauer untersucht. Während manche Personen von dieser Genvariante nur eine Kopie von ihren Eltern geerbt haben und auf dem zweiten Allel die Nichtrisiko-Variante APOE3 tragen, kommt APOE4 im Erbgut von etwa zwei Prozent aller Menschen weltweit zweimal vor. Träger dieser doppelten APOE4-Kopie sind damit für diese Genvariante homozygot. Was das für ihr Alzheimer-Risiko bedeutet, haben die Mediziner nun in einer klinischen Studie ermittelt.
Dafür untersuchten Fortea und seine Kollegen die Gehirne von 3297 verstorbenen Alzheimer-Patienten aus den USA. Darunter waren 273 Personen, die homozygot für das APOE4-Gen waren. Zudem analysierten die Mediziner 10.039 lebende Alzheimer-Patienten aus Europa und den USA, darunter 519 Menschen mit doppelter APOE4-Genvariante.
Das Ergebnis: Fast alle Menschen mit zwei APOE4-Varianten zeigten Alzheimer-Symptome. In ihrem Blut fanden sich bereits im Alter ab 55 Jahren höhere Werte an typischen Alzheimer-Biomarkern als bei Personen, die statt APOE4 die APOE3-Variante in ihrem Erbgut trugen. Im Alter ab 65 Jahren fanden sich bei 95 Prozent der homozygoten Testpersonen abnorm erhöhte Werte von Amyloid-Proteinen im Nervenwasser. Das gilt als klares Indiz für eine Alzheimer-Erkrankung. Diese Betroffenen entwickelten demnach nahezu sicher im Laufe ihres Lebens Alzheimer-Symptome. Im Schnitt traten diese bereits sieben bis zehn Jahre früher auf als bei Menschen mit einer anderen APOE-Variante oder nur einem APOE4-Gen.
Eigene genetische Variante der Alzheimer-Demenz
Fortea und seine Kollegen schließen daraus, dass APOE4 nicht nur ein wichtiges Risikogen für Alzheimer ist, sondern dass diese Genvariante bei doppeltem Auftreten sogar eine eigene genetische bedingte Alzheimer-Form auslöst. Die APOE4-Homozygotie erfüllt demnach drei Hauptmerkmale einer genetisch bedingten Alzheimer-Krankheit: Betroffene erkranken nahezu sicher, der Symptombeginn ist vorhersagbar und auch die Entwicklung von Biomarkern und anderen medizinisch nachweisbaren Veränderungen folgt einem festen Muster. Zwar fanden sich nach Ausbruch der Demenz im Gehirn der Betroffenen keine von anderen Alzheimertypen unterscheidbaren Merkmale. Der Weg dorthin war jedoch klar nachvollziehbar.
„Diese neue Definition stellt APOE4 als ursächlichen Faktor und nicht als Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit dar und unterstreicht die Notwendigkeit zu verstehen, wie APOE4 die Pathogenese der Alzheimer-Krankheit initiieren und vorantreiben kann“, schreibt ein Team um Qin Xu vom Gladstone Institute of Neurological Disease in San Francisco in einem begleitenden Kommentar zur Studie. „Die Ergebnisse dieser Studie sollten Arzneimittelentwickler dazu motivieren, APOE4 als therapeutisches Ziel zu priorisieren.“ Denn daraus könnten sich nun spezielle Vorsorge- und Behandlungsstrategien für diese Patientengruppe ableiten lassen. Zuvor ist es jedoch notwendig, den genauen Wirkmechanismus aufzuklären, durch den die doppelte Kopie der APOE4-Genvariante ihre Träger krankmacht.
Quelle: Juan Fortea (Biomedical Research Institute Sant Pau) et al., Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-024-02931-w