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Neue Einblicke in die Genetik der sexuellen Orientierung

Gesundheit|Medizin

Neue Einblicke in die Genetik der sexuellen Orientierung
Regenbogen-DNA
Wie sieht die gentische Basis der sexuellen Orientierung aus? (Bild: Kagenmi/ iStock)

Warum bevorzugen einige Menschen gleichgeschlechtliche Sexualpartner, andere dagegen Menschen des anderen Geschlechts? Schon länger bekannt ist, dass die sexuelle Orientierung zumindest zum Teil auf einer genetischen Veranlagung beruht. Jetzt haben Wissenschaftler fünf Genvarianten identifiziert, die ein gleichgeschlechtliches Sexualverhalten fördern. Allerdings: Jeder einzelne dieser Faktoren hat nur minimalen Einfluss und nur zwei von ihnen sind bei Männern und Frauen relevant. Dies bestätige, dass die genetische Basis der menschlichen Sexualität extrem komplex sei, betonen die Forscher. Es gebe weder das eine Schwulengen, noch könne man anhand der Gene vorhersagen, ob ein Mensch homosexuell sei oder nicht.

Lange galt die Vorliebe für Sexualpartner gleichen Geschlechts als krankhafte Anomalie, als psychische Störung oder schlicht als kriminell. Heute aber ist klar, dass die Homosexualität eine natürliche Variante unserer sexuellen Orientierung ist – und dass ihre Wurzeln bis ins Tierreich reichen. Was jedoch bestimmt, ob sich ein Mensch eher von Frauen, von Männern oder von beiden angezogen fühlt, ist bis heute rätselhaft. Klar scheint, dass unsere Vorliebe für gleichgeschlechtliche oder gegengeschlechtliche Partner sowohl von psychosozialen Einflüssen geprägt ist wie von biologischen. Aus der Häufung von Homosexualität in Familien und bei eineiigen Zwillingen schließen Wissenschaftler, dass etwa 30 Prozent der sexuellen Orientierung auf genetischen Faktoren beruhen könnte.

Fünf auffällige Genvarianten

Schon seit einigen Jahren suchen Forscher daher gezielt nach Genvarianten, die die Neigung zu gleichgeschlechtlichen Partnern fördern könnte. Im Jahr 2017 wurde eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) fündig: Forscher entdeckten zwei Genvarianten, die bei schwulen Männern etwas häufiger auftraten als bei heterosexuellen. Allerdings: “Solche Studien basierten bisher auf eher kleinen Teilnehmerzahlen und erfüllten auch nicht die aktuellen Standards für eine Signifikanz”, erklären Andrea Ganna vom Center for Genomic Medicine des Massachusetts General Hospital in Boston und sein Team. Sie haben deshalb in der bisher größten Studie dieser Art erneut nach Genvarianten gesucht, die die sexuellen Vorlieben von Menschen beeinflussen. Dafür verglichen die Forscher Millionen von einzelnen Genbuchstaben bei insgesamt mehr als 470.000 Männern und Frauen aus Großbritannien und den USA. In einem umfangreichen Fragebogen waren alle Teilnehmer danach gefragt worden, ob und wo oft sie Sex mit gleichgeschlechtlichen Partnern hatten beziehungsweise haben.

Das Ergebnis: “Wir haben fünf Marker identifiziert, die mit gleichgeschlechtlichem Verhalten verknüpft sind”, berichten die Forscher. Nur zwei dieser Genvarianten erreichten jedoch bei beiden Geschlechtern eine genomweite Signifikanz. Von den anderen drei Genmarkern waren zwei nur bei Männern, einer nur bei Frauen auffällig. “Das ist bemerkenswert, denn die meisten anderen bisher untersuchten genetischen Veranlagungen haben deutlich höhere Überlappung zwischen den Geschlechtern”, sagen Ganna und seineKollegen. “Das deutet daraufhin, dass die genetische Architektur für das Sexualverhalten nur in Teilen von beiden Geschlechtern geteilt wird.”

Wie wirken diese Genmarker?

Zudem ergaben die Analysen, dass jeder einzelne dieser fünf Genmarker für sich genommen nur einen sehr geringen Effekt auf die sexuelle Vorliebe hat: Jeder dieser Genmarker trat bei Teilnehmern mit gleichgeschlechtlichem Verhalten weniger als ein Prozent häufiger auf als bei heterosexuellen. “Wenn man jedoch alle Genvarianten zusammen betrachtet, erklären sie zwischen acht und 25 Prozent der Unterschiede im Sexualverhalten”, berichten die Forscher. “Diese Diskrepanz zwischen dem Einfluss der einzelnen Genvarianten und allen zusammen deutet daraufhin, dass das gleichgeschlechtliche Sexualverhalten – wie die meisten komplexen menschlichen Eigenschaften – durch kleine, sich addierende Effekte vieler genetischer Varianten beeinflusst wird.” Neben den fünf jetzt identifizierten Genmarkern spielen demnach höchstwahrscheinlich noch viele weitere, in der Analyse nicht entdeckte Genvarianten eine Rolle, wie die Wissenschaftler erklären.

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In einem weiteren Auswertungsschritt haben die Forscher untersucht, ob sich die fünf Genvarianten bestimmten biologischen Regelkreisen oder Stoffwechselwegen zuordnen lassen. Bei den beiden nur bei Männern signifikanten Genmarkern wurden sie fündig: “Wir haben zwei interessante Zusammenhänge gefunden”, berichten Ganna und seinTeam. “Einer der Marker ist mit der Glatzenbildung assoziiert, was darauf hindeutet, dass die Regulation der Sexualhormone an der Biologie des gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens beteiligt sein könnte.” Denn aus Studien ist bekannt, dass der vorzeitige Haarverlust bei Männern eng mit der Reaktion der Haarwurzeln auf das männliche Geschlechtshormon Testosteron zusammenhängt. Der zweite Genmarker umfasst einige Gene für Riechrezeptoren, er ist demnach eng mit unserem Geruchssinn verknüpft. “Das ist interessant, weil Gerüchte wichtig für die sexuelle Anziehung sind”, sagen die Forscher. “Allerdings verstehen wir noch nicht, wie dies genau mit dem Sexualverhalten zusammenhängt.”

Die neuen Erkenntnisse geben damit neue Einblicke in die komplexe genetische Basis unseres Sexualverhaltens und unserer sexuellen Vorlieben – werfen aber auch viele neue Fragen auf. “Wir haben damit bewiesen, dass die genetische Architektur hinter diesem Phänomen hochgradig komplex ist”, sagen Ganna und seine Kollegen. “Es gibt definitiv nicht nur einen einzigen dafür bestimmenden genetischen Faktor – in den Medien gerne auch als ‘Schwulengen’ tituliert.” Selbst die fünf jetzt identifizierten Genvarianten erklären nur einen Teil der genetischen Basis der sexuellen Vorliebe – und dies nur auf Populationsebene. “Sie erlauben keinerlei relevante Vorhersage des Sexualverhaltens bei einer einzelnen Person”, betonen die Forscher.

Quelle: Andrea Ganna (Massachusetts General Hospital, Boston) et al., Science, doi: 10.1126/science.aat7693

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