Die CRISPR/Cas-Genschere hat die Genetik und Genmedizin revolutioniert und völlig neue Möglichkeiten der Geneditierung geschaffen. Jetzt haben Forscher in Bakterien eine ganz neue Variante dieser Genschere entdeckt. Anders als bisherige Versionen erkennt CRISPR/Cas12a2 spezifische RNA- statt DNA-Abschnitte – beispielsweise die RNA von Viren. Dies löst eine Reaktion der Genschere aus, durch die sie zum Erbgutzerstörer wird: Sie packt den nächstgelegenen DNA- oder RNA-Strang, biegt ihn, bis das molekulare “Rückgrat” des Strangs frei liegt und zerschneidet ihn. Dies führt zur Zerstörung virenbefallener oder anderweitig defekter Zellen, kann aber auch als hochsensibler Virennachweis genutzt werden.
Wohl kaum ein molekularbiologisches Verfahren hat in den letzten Jahren so viel Furore gemacht wie die Genschere CRISPR/Cas. Der Molekülkomplex, der ursprünglich Bakterien zur Erkennung und Abwehr von Viren diente, ist zu einem vielfältig einsetzbaren und wichtigen Werkzeug der Gentechnik, Medizin und Genetik geworden. Sie ermöglicht das einfache, kostengünstige und punktgenaue Herausschneiden und Ersetzen spezifischer DNA-Basen oder Gene. Möglich ist dies, weil der CRISPR/Cas-Komplex verschiedene Module enthält, die dem Auffinden und gezielten Schneiden von DNA dienen. CRISPR – kurz für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats – umfasst dabei den Molekülteil, der der Identifikation dient. Er enthält unter anderem ein kurzes RNA-Stück, die Guide-RNA, die zur DNA-Sequenz des gesuchten DNA-Abschnitts komplementär ist. Findet das Molekül ein passendes Genstück, lagert es sich dort an und der Scherenteil des Moleküls kommt zum Einsatz. Bei der gängigsten Version CRISPR/Cas9 schneidet das Enzym Cas9 den “markierten” DNA-Teil heraus. Es gibt aber auch Versionen mit anderen Enzymen, die dann beispielsweise das gesuchte Gen nur durch Anhängen einer Methylgruppe stilllegen oder auf die RNA von Viren wie Sars-CoV-2 reagieren.
Cas12a2-Enzym knickt und zerstört DNA und RNA
Eine weitere Variante der CRISPR-Genschere haben nun Oleg Dmytrenko vom Helmholtzzentrum für Infektionsforschung in Würzburg und seine Kollegen entdeckt. Im Rahmen ihrer Studie hatten sie CRISPR/Cas-Enzyme aus der sogenannten Cas12a-Familie untersucht, die die Immunabwehr von Bakterien auf eine andere Art unterstützen als die bisher gängige Genschere. Werden diese Enzyme aktiv, wird die gesamte befallene Zelle stillgelegt oder abgetötet – und die virale Infektion so eingedämmt. “Diese abortive Infektion genannte Strategie wird von Bakterien und Archaeen eingesetzt, um die Verbreitung von Viren und anderen Pathogenen zu begrenzen”, erklärt Co-Autor Thomson Hallmark von der Utah State University. Bei der Erforschung dieser Strategie stieß das Team jedoch auf eine neue Variante der Cas12a-Enzyme, die sie Cas12a2 tauften. “Diese Nuklease tut etwas völlig anderes als Cas12a, aber auch als alle CRISPR-Nukleasen, die wir kennen”, sagt Dmytrenko.
Um dieses Enzym und seine Funktion genauer zu analysieren, schleusten die Forscher die Gene für ein CRISPR/Cas12a2-Konstrukt in das Bakterium Escherichia coli ein und beobachteten es in Aktion. Es zeigte sich: Anders als Cas9 bindet diese Genschere nicht an eine DNA-Sequenz als Ziel, sondern an zu seiner Guide-RNA passende RNA-Abschnitte. Sobald diese Anlagerung passiert ist, verändert das gesamte, zweilappig geformte Molekül seine Konformation. Wie eine Art Zange kann es nun zuklappen und beliebige Stränge von RNA oder DNA packen. Die “gefangenen” Stränge werden um 90 Grad gebogen, bis das Längsgerüst der Doppelhelix frei liegt und in eine Kerbe im Cas12a2-Enzym passt, wie Analysen mittels Kryoelektronenmikroskopie ergaben. “Das ist ein außergewöhnlicher Vorgang, allein schon die Beobachtung löste hörbare Überraschung bei meinen Kollegen aus”, berichtet Ryan Jackson von der Utah State University.
Gezielte Beseitigung defekter oder infizierter Zellen
Anders als Cas9 schneidet die neue Genschere nicht nur gezielt bestimmte DNA-Abschnitte, sondern zerstückelt wahllos alle Arten von einzel- und doppelsträngiger DNA und RNA in der Zielzelle, sobald das Cas12a2 dort einmal durch den Kontakt mit passender RNA aktiviert wurde. Damit arbeitet die neuentdeckte Genschere CRSIPR/Cas12a2 anders als die bisher bekannten Varianten. “Ein CRISPR-basierter Abwehrmechanismus, der nur eine einzige Nuklease nutzt, um einen Eindringling zu erkennen und die DNA und RNA der befallenen Zelle zu degradieren, wurde noch nie zuvor beobachtet”, sagt Dmytrenko. Während die wahllose Zerstörung von Erbgut zunächst wie ein gefährlicher Amoklauf erscheint, ist sie dennoch nützlich – für die Bakterien, aber auch für die Medizin. Denn indem sie gezielt nur die Zellen zerstört, die die zur Guide-RNA passende Ziel-RNA enthalten, kann diese Genschere selektiv von Viren befallene, durch Mutationen entartete oder anderweitig von Gendefekten betroffene Zellen ausmerzen.
“Wenn Cas12a2 genutzt werden könnte, um Zellen auf genetischer Ebene gezielt zu identifizieren, anzugreifen und zu zerstören, dann hätte das signifikante therapeutische Bedeutung”, sagt Jackson. Die Genschere könnte beispielsweise in der Krebstherapie zur Zerstörung von Tumorzellen eingesetzt werden, in der Gentherapie oder der Virusbekämpfung. Ein weiterer, weniger destruktiver Einsatzzweck ist der Nachweis einer Virusinfektion: In einem ersten Test statteten Dmytrenko und sein Team DNA in einer Lösung mit einem Fluoreszenzmarker aus, der aufleuchtet, sobald der DNA-Strang durch das Cas12a2-Enzym zerschnitten wird. Wird dies mit einer Guide-RNA kombiniert, die beispielsweise nur auf die Präsenz viraler RNA in der Zelle anspricht, könnte sich die Genschere so als hochsensibler Virentest nutzen lassen.
Quelle: Oleg Dmytrenko (Helmholtzzentrum für Infektionsforschung, Würzburg) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-022-05559-3; Jack Bravo (University of Texas, Austin) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-022-05560-w