Mindestens 16 verschiedene Typen an Nervenzellen kommen in unserer Haut vor. Zusammen bilden sie den menschlichen Tast-, Temperatur- und Schmerzsinn. Doch entgegen der bisherigen Annahme ist nicht ein spezialisierter Zelltyp für Schmerz und ein anderer für Berührungen, Kälte oder Hitze verantwortlich – vielmehr reagieren die einzelnen Nervenzellen auf mehrere verschiedene Umweltreize. Unser Hautsinnessystem funktioniert damit viel komplizierter und weniger arbeitsteilig als gedacht, wie Forschende in „Nature Neuroscience“ berichten. Sie fanden auch feine Unterschiede zwischen unserem Schmerzsinn und dem von Mäusen und Makaken.
Was wir heute über das menschliche Nervensystem wissen, haben Wissenschaftler größtenteils in Tierversuchen herausgefunden, deren Ergebnisse anschließend in humanen Zellmodellen oder klinischen Studien bestätigt wurden. Doch einige Funde aus den Tierversuchen konnten nie auf den menschlichen Körper übertragen werden. Das könnte daran liegen, dass das tierische und das menschliche Nervensystem nur zum Teil vergleichbar sind. Doch wie ähnlich sind sich Mensch und Tier auf neurologischer Ebene tatsächlich? Und was geht in den einzelnen Nervenzellen vor?
Detaillierte Analyse der Nervenzellen der Haut
Um das herauszufinden, hat ein Team um Huasheng Yu von der University of Pennsylvania nun das Nervensystem von Menschen, Mäusen und Makaken verglichen. Dabei fokussierten sich die Neurobiologen auf den Tast-, Temperatur- und Schmerzsinn und analysierten anhand von Hautproben, welche Nervenzellen daran jeweils beteiligt sind. Dafür verglichen sie erstmals die in den einzelnen Nervenzellen vorkommende RNA – ein Indiz für die darin aktiven Gene und die vorhandenen Proteine und Rezeptoren. Basierend darauf gruppierten Yu und seine Kollegen die untersuchten rund 1000 Nervenzellen in verschiedene Typen, wobei Zellen mit ähnlichem Genexpressionsprofil jeweils in derselben Gruppe landeten.
Dabei zeigte sich, dass die Nervenzellen in der menschlichen Haut, die an unserem Sinnessystem beteiligt sind, zu nicht weniger als 16 verschiedenen Zelltypen gehören. Demnach gibt es mehr Subtypen dieser Sensoren als gedacht. Doch heißt das auch, dass diese 16 Nervenzelltypen jeweils eine andere Funktion für die Sinneswahrnehmung unserer Haut erfüllen? Spüren einige dieser Zelltypen beispielsweise Hitze, während andere Schmerz oder Berührungen wahrnehmen? Um diese gängige Vermutung zu überprüfen, analysierten die Neurobiologen anschließend auch die Funktion der einzelnen Nervenzellen, indem sie diese verschiedenen Reizen wie Hitze, Druck oder Chemikalien aussetzten. Mithilfe einer speziellen Methode, der sogenannten Mikroneurographie, betrachteten sie dabei ob einzelne Nervenzellen in der Haut von menschlichen und tierischen Versuchsteilnehmern auf die Reize reagieren und Signale an das Gehirn senden.
Ein Zelltyp, mehrere Funktionen
Die Tests ergaben überraschend, dass die Nervenzellen innerhalb eines Zelltyps nicht nur auf einzelne Umweltreize, sondern auf mehrere Trigger reagieren. Ein Zelltyp beispielsweise, der auf sanfte, angenehme Berührungen reagiert, reagierte auch auf Hitze, Kälte und Capsaicin – jene Chemikalie, die für den Schmerz von scharfem Essen wie Chilis verantwortlich ist. Auf diesen Stoff reagieren sonst vor allem Nervenzellen, die auf Schmerz „spezialisiert“ sind, so die bisherige Annahme. Die Versuche enthüllten nun jedoch, dass diese Nervenzellen ebenfalls keine Spezialisten, sondern eher Multifunktionstools sind: Sie reagieren nicht nur auf den Schmerz des Capsaicins, sondern auch auf nicht-schmerzhafte Chemikalien wie Menthol sowie Kälte.
„Es gibt eine weit verbreitete Vorstellung, dass Nervenzellen sehr spezifisch sind – dass eine Art von Nervenzelle Kälte erkennt, eine andere eine bestimmte Schwingungsfrequenz wahrnimmt und eine dritte auf Druck reagiert und so weiter. Aber wir sehen nun, dass es viel komplizierter ist“, sagt Co-Autor Saad Nagi von der Universität Linköping. Wie genau die Nervenzellen die verschiedenen Reize wahrnehmen und verarbeiten, ist dabei bisher nicht vollständig geklärt. Jener Zelltyp, der auf sanfte Berührungen reagiert, nimmt beispielweise auch Kälte wahr, obwohl in ihm laut seiner RNA keine Gene aktiv sind, die für die Produktion kältesensitiver Proteine sorgen würden. Die Forschenden schließen daraus, dass es in den Zellen noch einen anderen, bisher unbekannten Mechanismus der Kältesensorik geben muss. Ebenso könnte es noch weitere, bisher unverstandene Mechanismen für andere Hautreize geben.
Menschliche Nerven spüren Schmerz schneller als Mäuse
Der Vergleich mit Mäusen und Makaken ergab zudem, dass deren Hautsinnessystem zwar ähnlich aufgebaut ist wie beim Menschen, sich aber auch unterscheidet: Diese Tiere weisen demnach in ihrer Haut ähnlich viele verschiedene Nervenzelltypen auf wie wir, deren Genexpressionsprofil ist aber nicht immer identisch mit den 16 in menschlicher Haut identifizierten Zelltypen. Die tierischen Nervenzellen könnten daher auch teils andere Funktionen oder Funktions-Kombinationen aufweisen, so das Team.
Menschen haben zudem deutlich mehr Zellen von dem Typ, der besonders schnell Schmerz erkennt und dieses Signal an das Gehirn weiterleitet. „Dass Schmerzen beim Menschen im Vergleich zu Mäusen mit einer viel höheren Geschwindigkeit signalisiert werden, ist wahrscheinlich nur ein Spiegelbild der Körpergröße. Beim Menschen sind die Entfernungen größer als bei Mäusen, die Signale müssen schneller an das Gehirn gesendet werden. Sonst wäre man verletzt, bevor man überhaupt reagieren kann“, vermutet Co-Autor Håkan Olausson von der Universität Linköping.
In Folgestudien wollen die Neurobiologen nun nach weiteren Gemeinsamkeiten, Unterschieden sowie Funktionen der einzelnen Nervenzellen des Tastsinns suchen. Dabei wollen sie auch testen, ob sich die Verteilung der Zelltypen je nach Körperregion, Alter und Geschlecht unterscheidet.
Quelle: Huasheng Yu (University of Pennsylvania) et al.; Nature Neuroscience, doi: 10.1038/s41593-024-01794-1