Vielversprechende Kandidaten für effektive und doch sanfte Medikamente: Forscher haben das Potenzial von drei pflanzlichen Substanzen im Kampf gegen das Coronavirus aufgezeigt. Ihr Effekt zeigte sich bei einem Röntgenscreening vieler Naturstoffe am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY. Die Wirkstoffe, die in Olivenöl, dem Kupferblatt und der Studentenblume vorkommen, blockieren demnach ein wichtiges Enzym der Coronaviren. Sie könnten somit die Grundlage für die Entwicklung neuer Medikamente bilden, sagen die Wissenschaftler.
Die Coronaviren und ihre verschiedenen Formen haben sich als hartnäckige Gegner erwiesen und deshalb läuft die Suche nach neuen Bekämpfungsstrategien nach wie vor auf Hochtouren. Neben der Entwicklung von Impfstoffen und Antikörpern loten Wissenschaftler dabei auch Möglichkeiten aus, in die Entwicklungsprozesse der Viren einzugreifen. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist dabei, die Vermehrung des Erregers in befallenen Zellen zu unterbinden. Ein vielversprechendes Ziel ist dabei ein spezielles Enzym: die sogenannte Papain-like Protease (Plpro). Es wurde bereits gezeigt, dass sie dem Virus als eine Art Schere für das „Basteln“ seiner Nachkommen dient.
Wenn das Coronavirus eine Zelle kapert, zwingt es sie zunächst, Bausteine für den Zusammenbau neuer Viruspartikel zu produzieren. Diese Proteine werden allerdings in der Form einer langen Kette gebildet. Deshalb löst der Erreger auch die Bildung seiner Schere aus: PLpro zerschneidet die Sequenz in die einzelnen Protein-Bausteine, aus denen sich die Virenpartikel dann zusammensetzen. Das bedeutet wiederum: Ist die Schere unbrauchbar, kann sich der Erreger nicht vermehren. „PLpro hat außerdem noch eine andere wichtige Funktion für das Virus. Es blockiert ein Protein des Immunsystems namens ISG15 und das schwächt die Selbstverteidigung der Zelle erheblich. Können wir PLpro blockieren, können wir also zusätzlich auch die Immunantwort der Zelle verstärken“, sagt Vasundara Srinivasan von der Universität Hamburg.
Wirkstoffsuche unter Naturstoffen
Vor diesem Hintergrund haben sich Srinivasan und ihre Kollegen nun der Suche nach Substanzen gewidmet, die mit PLpro interagieren. Dabei standen gezielt bekannte Naturstoffe in ihrem Visier, denn schon häufig avancierten sie zur Grundlage für die Entwicklung von Medikamenten gegen zahlreiche Erkrankungen. „Für unsere Studie haben wir 500 Substanzen aus der Karachi Library of Natural Compounds daraufhin getestet, ob sie an die Papain-like Protease des neuartigen Coronavirus binden. Denn ein Wirkstoff, der sich an der richtigen Stelle an das Enzym setzt, kann dessen Funktion blockieren“, erklärt Srinivasan.
Für das Screening wurde PLpro mit jeder der 500 natürlichen Testsubstanzen gemischt, sodass es zu möglichen Reaktionen kommen konnte. Ob es zu einer Bindung an das Enzym kommt, lässt sich mit herkömmlichen Untersuchungsverfahren allerdings nicht feststellen. Doch durch ein sogenanntes Röntgenscreening am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY, ist dies möglich. Dazu züchteten Srinivasan und ihre Kollegen aus den 500 Test-Mischungen winzige Kristalle. Diese Krümel wurden dann dem speziellen Röntgenlicht der Anlage „PETRA III“ ausgesetzt. Wie das Team erklärt, erzeugen die Kristalle darin ein charakteristisches Beugungsmuster, das Rückschlüsse auf die Struktur des Enzyms bis auf die Ebene einzelner Atome ermöglicht. „Aus diesen Informationen können wir dreidimensionale Modelle des Enzyms mit atomarer Auflösung erstellen und sehen, ob und wo eine Substanz an das Enzym bindet“, sagt Co-Autor Alke Meents von DESY.
Drei Kandidaten aus Studentenblume und Co
Wie die Forscher berichten, kristallisierte sich bei dem Screening heraus, dass drei der untersuchten Substanzen tatsächlich an PLpro binden. Es handelt sich dabei um Substanzen aus der Gruppe der Phenole: Hydroxyethylphenol (YRL), ist eine Verbindung, die in vielen Lebensmitteln wie Rotwein und Olivenöl vorkommt und bereits als Mittel gegen Herzrhythmusstörungen eingesetzt wird. Der zweite Wirkstoff ist Hydroxybenzaldehyd (HBA), den die Pflanze Acalypha torta (Kupferblatt) bildet und der schon als Antitumormittel und zur Wundheilung eingesetzt wird. Bei Nummer Drei handelt es sich um Methyldihydroxybenzoat (HE9), das aus der Studentenblume Tagetes patula isoliert wurde. Es ist als Antioxidans mit entzündungshemmender Wirkung bekannt und kommt auch in grünem Tee vor.
Durch anschließende Untersuchungen konnten die Forscher das Potenzial der drei Substanzen auch schon weiter untermauern: Bei Labortests bremsten die drei Phenole die Aktivität von PLpro in lebenden Zellen um 50 bis 70 Prozent. Das Team betont allerdings, dass sich die natürlichen Träger der Substanzen nicht etwa als Hausmittel gegen Corona eignen – dafür sind die Wirkstoffgehalte zu gering. „Grünen Tee zu trinken, wird eine Corona-Infektion nicht heilen! Genauso wenig wie es Wunden oder Krebs heilen würde“, sagt Co-Autor Christian Betzel von der Universität Hamburg. Dennoch ist die Natürlichkeit und bereits etablierte Anwendung ein wichtiger Aspekt: „Der Vorteil dieser Substanzen ist ihre erwiesene Sicherheit. Ob und wie ein Coronamittel auf Grundlage dieser Phenole entwickelt werden kann, wird jetzt weiter untersucht“, sagt Betzel.
Quelle: Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, Fachartikel: Communications Biology, doi: 10.1038/s42003-022-03737-7