Bier, Wein, oder Härteres: In der modernen Gesellschaft wird teils kräftig gebechert. Einige Menschen haben ihren Alkoholkonsum dabei gut unter Kontrolle – andere rutschen hingegen in eine Abhängigkeit. Was unterscheidet diese beiden Gruppen? Nun haben Forscher einen Schaltkreis im Gehirn von Mäusen entdeckt, der mit einer Neigung zu zwanghaften Trinkstörungen verknüpft ist. Wenn sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, könnte die Entdeckung zu neuen Therapien bei Alkoholkonsumstörungen führen, sagen die Forscher.
Alkohol ist eine Volksdroge mit langer Tradition: Seit jeher werden alkoholische Getränke in unserer Gesellschaft in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen und aus verschiedenen Motiven getrunken – als abendlicher Absacker, Stimmungsmacher in Gesellschaft oder gezielt als Rauschmittel. Wer übertreibt, muss bekanntlich mit üblen Folgen rechnen: Übermäßiger Alkoholkonsum ist mit mehr als 200 Krankheiten verbunden und eine der Hauptursachen für vermeidbare Todesfälle. Unter denjenigen, die regelmäßig Alkohol trinken, entwickeln jedoch nur wenige eine zwanghafte Trinkstörung oder Sucht. Warum sie trotz der erheblichen negativen gesundheitlichen und persönlichen Konsequenzen die Fähigkeit verlieren, ihren Alkoholkonsum zu kontrollieren, ist noch immer unklar.
Frühere Untersuchungen konzentrierten sich in diesem Zusammenhang meist auf Prozesse im Gehirn nach dem Auftreten einer Alkoholabhängigkeit. Die Forscher um Kay Tye vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge haben nun früher angesetzt: Sie wollten herausfinden, ob es bestimmte Merkmale der Gehirnfunktionen gibt, die mit einer Neigung zu Alkoholabhängigkeit verknüpft sind. Mit anderen Worten: Gibt es eine nachweisbare Veranlagung für zwanghaftes Trinken?
Nur manche Mäuse werden zu Alkoholikern
Um dieser Frage nachzugehen, führten sie Untersuchungen an Mäusen durch. Interessanterweise schätzen auch die Nager die Wirkung von alkoholischen Getränken. Ähnlich wie beim Menschen entwickeln aber nur einige Tiere ein solches Verlangen nach der Substanz, dass sie sogar unangenehme Begleiterscheinungen des Konsums in Kauf nehmen. Im Rahmen ihrer Studie boten die Wissenschaftler ihren Versuchstieren über einen längeren Zeitraum hinweg alkoholische Flüssigkeiten an und beobachteten, wie sich das Trinkverhalten der Tiere entwickelte.
Wie sie berichten, zeichneten sich schließlich drei Gruppen ab: moderate Trinker, Vieltrinker und zwanghafte Trinker. Die süchtigen Mäuse unterschieden sich von den anderen dadurch, dass sie sogar noch die alkoholische Flüssigkeit zu sich nahmen, wenn sie mit einer bitteren Substanz vergällt war. Die anderen Mäuse schreckte dies dagegen vom Konsum ab. Nun stand die Frage im Raum: Lassen sich vor Beginn der Gewöhnung an Alkohol neuronale Zeichen erkennen, die damit verknüpft sind, dass die Tiere später ein solches zwanghaftes Trinkverhalten entwickeln?
Um dem nachzugehen, verwendeten die Forscher eine Technik, die als mikroendoskopische Calciumbildgebung bezeichnet wird. Sie ermöglichte es, das Verhalten von Nervengeweben in bestimmten Hirnregionen im Rahmen des Alkoholkonsums detailliert zu untersuchen. Der Fokus richtete sich dabei auf die Neuronenaktivität in zwei Regionen, die bekanntermaßen an der Kontrolle des Verhaltens beteiligt sind und die auch auf unangenehme Ereignisse reagieren: der mediale präfrontale Kortex und die periaquäduktale graue Substanz.
Ein verräterisches Muster der Nervenaktivität
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Entwicklung des zwanghaften Alkoholkonsums mit bestimmten neuronalen Kommunikationsmustern zwischen diesen beiden Gehirnregionen zusammenhängt. Wie sie erklären, konnte dieses Muster als ein Biomarker für die Vorhersage des zukünftigen zwanghaften Alkoholkonsums der Versuchstiere dienen. “Wir können in das Gehirn schauen und Aktivitätsmuster feststellen, die vorhersagen, ob eine Maus in Zukunft zu einem zwanghaften Trinker wird oder nicht”, resümiert Tye.
Weiter bestätigen konnten die Forscher die Bedeutung dieses Schaltkreises durch Einsatz von Optogenetik. Dabei wurden bei Versuchstieren bestimmte Gruppen von Neuronen so gentechnisch verändert, dass sie selektiv durch Licht stimuliert werden können. Wie die Wissenschaftler berichten, konnten sie durch Ein- oder Ausschalten des zuvor beobachteten neuronalen Kreislaufs den Alkoholkonsum der Versuchstiere entweder steigern oder verringern.
Bisher bleibt natürlich fraglich, inwieweit sich die Ergebnisse bei den Mäusen übertragen lassen, denn das Suchtverhalten des Menschen scheint vergleichsweise komplex. Doch in ähnlichen Fällen hat sich bereits gezeigt, dass neuronale Prinzipien über Artgrenzen hinweg ähnlich sind. Wenn sich die Ergebnisse in weiteren Untersuchungen als übertragbar erweisen, zeichnet sich allerdings erhebliches Potenzial ab, sind die Wissenschaftler überzeugt: Es könnten sich Strategien zur Prävention von Alkoholsucht oder auch Therapieformen aus den Erkenntnissen entwickeln. “Ich hoffe, dass dies eine wegweisende Studie sein wird”, sagt Tye abschließend.
Quelle: Salk Institute, Fachartikel: Science, doi: http: 10.1126/science.aay1186