Wir sind zwar nicht besonders schnell, aber dafür ausgesprochen ausdauernd. Die menschliche Begabung zum Langstreckenläufer könnte auf eine Genmutation vor zwei bis drei Millionen Jahren zurückzuführen sein, lassen Studienergebnisse nun vermuten: Mäuse mit der gleichen genetischen Besonderheit entwickeln sich ebenfalls zu leistungsstarken Langstreckenläufern, berichten Forscher.
Was unterscheidet uns von unseren nächsten Verwandten im Tierreich und warum? Diese Frage steht oft im Zentrum anthropologischer Forschung. Die Wissenschaftler um Ajit Varki von der University of California in San Diego heben in diesem Zusammenhang nun einen Unterschied hervor, der auf den ersten Blick gering erscheint: Im Gegensatz zu anderen Säugetieren und auch zu den Menschenaffen besitzen Menschen eine Mutation im Gen mit der Bezeichnung CMAH, die diese Erbanlage stillgelegt. Interessanterweise gibt es genetische Hinweise darauf, dass sich diese Mutation bei unseren Vorfahren vor zwei bis drei Millionen Jahren im Erbgut verankert hat. Somit steht die Frage im Raum: warum?
Wozu der kleine Unterschied?
Klar scheint: Die CMAH-Mutation setzte sich in einer besonderen Ära in der frühen Entwicklungsgeschichte des Menschen durch. Man geht davon aus, dass sich unsere Vorfahren damals von Waldbewohnern zu Jägern und Sammlern der Savannen Afrikas entwickelten. Die Körper und Fähigkeiten dieser frühen Hominiden veränderten sich dabei deutlich: Unter anderem perfektionierten elastische Beinstrukturen, große Füße und kräftige Gesäßmuskeln den aufrechten Gang. Darüber hinaus entwickelte sich auch ein ausgedehntes System von Schweißdrüsen, die für eine Kühlung in der Hitze der offenen Savanne sorgen konnten.
Es liegt nahe, dass diese Veränderungen die Fähigkeiten der Hominiden stärkten, Langstreckenläufe in der Hitze des Tages zu bewältigen. Ihre Ausdauer könnte sie befähigt haben, Beutetiere buchstäblich zur Strecke bringen, während sich andere Fleischfresser in der Hitze des Tages ausruhen mussten. Varki und seine Kollegen haben sich nun die Frage gestellt, ob der Verlust der Genfunktion von CMAH etwas mit den Dauerlauf-Fähigkeiten des Menschen zu tun gehabt haben könnte. Um ihr nachzugehen, haben sie Mäuse einer genetisch veränderten Zuchtlinie untersucht, die ebenfalls ein funktionsuntüchtiges CMAH aufweisen – so wie der Mensch.
Zu Ausdauerläufern mutierte Mäuse
Tests im Laufrad zeigten: Die Nager ohne CMAH besitzen eine ungewöhnlich hohe Ausdauer im Vergleich zu normalen Mäusen, die das aktive Gen besitzen. Detaillierte Untersuchungen offenbarten anschließend die physiologischen Grundlagen dieses Merkmals. Demnach besitzen die Tiere mit deaktiviertem CMAH besonders kräftige Muskeln an den Hinterbeinen sowie vergleichsweise viele feine Blutgefäße zu deren Versorgung. Außerdem setzen ihre Mitochondrien – die Kraftwerke der Zellen – besonders viel Energie frei, berichten die Forscher.
Ihnen zufolge zeichnet sich somit ab: Der CMAH-Verlust trägt zu einer verbesserten Skelettmuskelkapazität und Sauerstoffverwertung bei. “Wenn sich die Ergebnisse auf Menschen übertragen lassen, könnte die Mutation somit den frühen Hominiden einen selektiven Vorteil bei ihrer Entwicklung von Baumbewohnern zu Jägern- und Sammlern der Savanne verpasst haben”, resümiert Varki.
In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage: Wenn ein Verlust der Funktion von CMAH sich so günstig auswirkt, warum besitzen andere Tiere dann eine funktionstüchtige Version dieses Gens? Auch dazu bieten die Forscher eine Erklärung: Der Verlust geht offenbar mit Nachteilen einher. “Es handelt sich um ein zweischneidiges Schwert”, so Varki. Die Mäuse mit der Mutation neigen demnach zu Muskeldystrophie – einer Erkrankung, bei der die Muskeln Schaden nehmen. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass eine fehlende CMAH-Funktion mit weiteren Nachteilen für den Organismus verknüpft ist.
Der Verlust der Genfunktion war demnach wohl eine Frage des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Offenbar glich der Vorteil der Mutation die Nachteile bei der Lebensweise unserer Vorfahren aus und hat sich deshalb durchgesetzt. „Es scheint, als ob der Verlust nur einer einzelnen Genfunktion die Biologie und die Fähigkeiten am Beginn der menschlichen Entwicklung entscheidend verändert hat“, sagt Varki abschließend.