Krebsforschung mit „herzlichem“ Ergebnis: Forscher haben das Potenzial eines berüchtigten Krebsgens für die Regeneration von geschädigten Herzen aufgezeigt. Wenn man dieses Gen gezielt im Herz aktiviert, kann es Zellteilungen im Gewebe auslösen und so neue Herzzellen nachwachsen lassen, legen Versuche an Mäusen nahe. Das Ergebnis bietet somit Ansatzpunkte für die Entwicklung regenerativer Behandlungsformen nach Herzinfarkten, sagen die Wissenschaftler.
Sind Herzmuskelzellen einmal abgestorben, wachsen sie nicht mehr nach – diese fehlende Regenerationsfähigkeit unseres Pumporgans wird vor allem nach Infarkten zum Problem: Die Blockade in einem Blutgefäß führt zur Unterversorgung des Gewebes und damit zum Tod vieler Herzzellen. Im Gegensatz zu anderen Organen im Körper kann das erwachsene Herz die verlorenen Kardiomyozyten nicht ersetzen – es bilden sich stattdessen Vernarbungen. Dadurch leiden viele Patienten unter einer verringerten Kraft des Herzens, die im schlimmsten Fall zum Versagen des Pumporgans führen kann. Von dieser sogenannten Herzinsuffizienz sind weltweit Millionen von Menschen betroffen – und es gibt bisher keine Heilungsmöglichkeiten.
Ideal wäre es demnach, wenn man die Herzmuskelzellen dazu anregen könnte, sich zu teilen – doch bisher ist das nicht möglich. Denn inwieweit Zellen Kopien von sich herstellen dürfen, wird im Körper streng kontrolliert und ist abhängig von der Gewebeart. Störungen dieses Systems sind auch lebensgefährlich: Wenn Zellen sich unkontrolliert teilen, zu wuchern beginnen und sich im Körper ausbreiten, spricht man von Krebs. Die Ursache sind Störungen in der Aktivität bestimmter Erbanlagen. Eine berüchtigte Stellung nimmt dabei das Myc-Gen ein. Es ist an der Regulation der Teilungsaktivität beteiligt. Es ist bekannt, dass es in den Zellen der meisten Krebsarten überaktiv ist. Deshalb steht das Myc-Gen momentan im Fokus der Krebsforschung. Man hofft, Kontrolle über seine Aktivität gewinnen zu können, um das Wachstum von Tumorgeweben einzudämmen.
Warum kein Herz-Krebs entsteht
Der Erforschung des Myc-Gens widmen sich auch die Wissenschaftler um Catherine Wilson von der University of Cambridge. Um seine Funktion zu untersuchen, haben sie eine genetisch veränderte Zuchtlinie von Mäusen entwickelt, bei denen das Myc-Gen verstärkte Aktivität im Körper aufweist. Wie zu erwarten war, kam es bei diesen Tieren zu einer verstärkten Bildung von Zellwucherungen in verschiedenen Organen. Doch das Herz war nicht davon betroffen. Warum das der Fall ist, haben die Forscher durch Verfahren der sogenannten ChIP-Seq Technologie untersucht, die Protein-DNA-Interaktionen aufzeigen kann.
Wie Wilson und ihre Kollegen erklären, ist das Myc-Gen für die Bildung eines sogenannten Transkriptionsfaktors verantwortlich. Dieses Protein bindet in Zellen an bestimmte Abschnitte der DNA und aktiviert dort das Ablesen von Genen, die an den Wachstumsprozessen der Zellen beteiligt sind. Die Forscher konnten zeigen, dass das Protein auch in den Herzzellen ihrer Versuchstiere an die DNA bindet. Dennoch aktivierte dies dort nicht die für das Zellwachstum nötige Genexpression. Durch weitere Untersuchungen konnten die Wissenschaftler dann zeigen, dass dafür das Fehlen eines weiteren Faktors verantwortlich ist: In Herzzellen ist das Gen für das Protein Cyclin T1 nicht aktiv. “Wir haben festgestellt, dass selbst wenn Myc im Herz eingeschaltet wird, etwas fehlt, um die seine Funktion zu gewährleisten. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass Herzkrebs so extrem selten ist“, sagt Wilson.
Herzzellen zur Teilung gebracht
Im nächsten Schritt erhöhten die Forscher künstlich die Konzentration von Cyclin T1. Sie erreichten dies durch eine genetische Veränderung, die in den Herzzellen der Mäuse zu einer Bildung von Cyclin T1 führte. Somit wurde dieses Protein gemeinsam mit Myc verstärkt in den Herzen der Versuchstiere gebildet. Wie die Forscher berichten, hatte dies einen durchschlagenden Effekt: Die Herzen gingen in einen regenerativen Zustand über – die Zellen teilten sich. “Als diese beiden Gene zusammen in den Herzmuskelzellen von erwachsenen Mäusen überexprimiert wurden, sahen wir eine ausgedehnte Zellreplikation, was zu einer starken Zunahme der Anzahl der Herzmuskelzellen führte”, resümiert Wilson.
Die Erkenntnisse sind zwar noch weit von einer Umsetzung in eine Therapieform entfernt, doch die Forscher sehen in ihrem Ergebnis nun wichtiges grundlegendes Potenzial: “Keine der gegenwärtigen Behandlungsmöglichkeiten kann die Degeneration des Herzgewebes rückgängig machen. Jetzt zeichnet sich ab, was fehlt, damit Herzen sich selbst regenerieren können”, sagte Wilson. Sie und ihre Kollegen hoffen, dass ihre Studie nun dazu betragen kann, Therapien für die Behandlung von Herzkrankheiten zu entwickeln.
Ihnen zufolge sind dazu auch genetische Verfahren denkbar: Man könnte kurzfristige, umschaltbare Technologien einsetzen, um Myc und Cyclin T1 im Herzen gezielt zu aktivieren. „Auf diese Weise könnte man möglicherweise Kollateralschäden vermeiden, die zu einer Krebsentstehung im Körper führen könnten“, so die Wissenschaftlerin. Man darf also gespannt sein, was sich aus diesem interessanten Ansatz entwickeln wird.
University of Cambridge, Fachartikel: Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-020-15552-x