Schon länger gibt es die Vermutung, dass Alzheimer in seltenen Fällen übertragbar sein könnte – beispielsweise, wenn fehlgefaltete Amyloid-Proteine direkt in das Gehirn oder Blut von Empfängern gelangen. Jetzt liefert eine Studie neue Belege für diese Form der Übertragung. Forschende haben in Großbritannien fünf Fälle von ungewöhnlich früh einsetzender Alzheimer-Demenz bei Patienten identifiziert, die alle als Kind eine spezielle, heute verbotene medizinische Therapie erhalten hatten: Allen waren menschliche, aus Toten gewonnene Wachstumshormone verabreicht worden, die wahrscheinlich mit krankhaft fehlgefalteten Amyloid-Beta-Proteinen verunreinigt waren. Während die potenzielle Übertragbarkeit durch solche Präparate schon zuvor bei Mäusen nachgewiesen worden war, bestätigen die fünf Patienten nun, dass dies tatsächlich eine Alzheimer-Demenz bei Menschen auslösen kann.
Der Verdacht ist nicht neu: Schon länger vermuten Wissenschaftler, dass Alzheimer in bestimmten Aspekten einer Prionenerkrankung wie beispielsweise der Rinderseuche BSE oder der Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD) ähneln könnte. Bei diesen sind fehlgefaltete Proteine die Auslöser, die ihre Fehlfaltung auf andere, noch korrekt geformte Proteine übertragen können. Dadurch agieren diese Prionen genannten Proteine wie ein infektiöser Erreger und können die jeweilige Erkrankung auch auf andere Individuen übertragen. “Die potenzielle Bedeutung solcher Prionenmechanismen hat sich erheblich erhöht, als man erkannte, dass auch häufigere neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson mit der Ansammlung und Verbreitung fehlgefalteter Proteine zusammenhängen”, erklären Gargi Banerjee vom University College London und seine Kollegen. “Auch ihre Ausbreitung wird oft als Prionen-ähnlich beschrieben.”
Tatsächlich haben Wissenschaftler in den letzten Jahren mehrere Indizien dafür gefunden, dass die fehlgefalteten Amyloid-Proteine von Alzheimer-Erkrankten ihre Fehlfaltung ähnlich wie Prionen auf gesunde Proteine übertragen können. So erkrankten Mäuse an Alzheimer, nachdem sie eine Amyloid-Beta-Plaques verunreinigte Injektionen direkt ins Gehirn erhalten hatten. Eine weitere Studie fand Hinweise darauf, dass einige Menschen Alzheimer bekamen, nachdem sie im Rahmen von Gehirnoperationen mit fehlgefalteten Proteinen kontaminierte Hirnhäute eingepflanzt bekommen hatten. Allerdings trat in all diesen Fällen eine Übertragung nur dann auf, wenn die missgebildeten Amyloid-Proteine direkt in das Gehirn der Empfänger gelangt waren – was im medizinischen Alltag extrem selten ist.
Alzheimer durch heute verbotene Wachstumshormone
Bereits 2015 kam jedoch der Verdacht auf, dass eine Prionen-ähnliche Übertragung bei Alzheimer auch über das Blut erfolgen könnte. Anhaltspunkt dafür waren Beobachtungen bei Patienten, die als Kinder wegen Kleinwüchsigkeit menschliche, aus dem Gewebe von Toten gewonnene Wachstumshormone erhalten hatten. Diese Präparate wurden bis 1985 eingesetzt, dann jedoch wegen eines zu hohen Risikos verboten: Einige Chargen waren mit Prionen der Creutzfeld-Jakob-Krankheit kontaminiert und verursachten allein in Großbritannien 80 Fälle dieser unheilbaren, tödlichen neurodegenerativen Erkrankung. Als Forschende die Gehirne einiger dieser im Alter zwischen 36 und 51 Jahren an CJD gestorbenen Patienten genauer untersuchten, entdeckten sie Auffallendes: Trotz ihres relativ jungen Alters zeigten sich im Gehirn der Patienten bereits die für Alzheimer typischen Amyloid-Plaques. Schon damals weckte dies den Verdacht, dass sich diese Patienten über das Wachstumshormon nicht nur mit CJD, sondern auch mit Alzheimer angesteckt haben könnten.
Unklar blieb jedoch bisher, ob eine solche Übertragung von fehlgefalteten Amyloid-Proteinen und die darauffolgende Bildung von Plaques auch tatsächlich eine Alzheimer-Demenz auslösen kann. Indizien dafür liefert nun die Studie von Banerjee und seinem Team. Sie hatten acht Patienten untersucht, die als Kinder potenziell verunreinigte Wachstumshormone erhalten hatten, sich aber nicht mit der Creutzfeld-Jakob-Krankheit angesteckt hatten. Dafür entwickelten fünf dieser Patienten in ungewöhnlich jungem Alter Symptome einer Alzheimer-Demenz: Obwohl sie erst zwischen 38 und 55 Jahre alt waren und keine genetische Disposition für Alzheimer besaßen, traten bei ihnen die für diese Demenz typischen kognitiven Ausfälle und fortschreitenden Defizite auf, wie die Forschenden berichten. Ein weiterer Patient zeigte verfrüht leichtere Demenzsymptome, wurde aber nicht eindeutig mit Alzheimer diagnostiziert.
Im Alltag keine Gefahr der Übertragung
Nach Ansicht von Banerjee und seinen Kollegen spricht einiges dafür, dass diese Patienten nicht zufällig an Alzheimer erkrankten, sondern dass dies als Folge der kontaminierten Wachstumshormone geschah: “Ihr relativ junges Alter macht eine sporadische Alzheimer-Erkrankung unwahrscheinlich und genetische Ursachen haben wir ausgeschlossen”, erklären sie. “Deshalb gehen wir davon aus, dass ihre Symptome und Biomarker-Befunde eine Folge der Amyloid-Beta-Übertragung durch die kontaminierten menschlichen Wachstumshormone sind, die diese Menschen in ihrer Kindheit erhalten haben.” Dies sei ein weiterer Beleg dafür, dass Alzheimer über die fehlgefalteten Amyloid-Beta-Proteine übertragen werden könne. “Damit deuten unsere Resultate darauf hin, dass Alzheimer und andere neurologische Erkrankungen auf ähnlichen Prozessen beruhen wie die Creutzfeld-Jakob-Krankheit”, sagt Seniorautor John Collinge vom University College London. “Dies könnte auch für das Verständnis und die Behandlung der Alzheimer-Krankheit bedeutsam sein.”
Wichtig zu wissen ist jedoch, dass die hier untersuchte Form der Übertragung heute so nicht mehr vorkommen kann: Wachstumshormone werden heute synthetisch hergestellt, die Gewinnung aus der Hypophyse von Toten ist schon seit 1985 weltweit verboten. Auch bei normalen medizinischen Behandlungen oder dem Umgang mit Alzheimer-Patienten bestehe kein Risiko für eine Übertragung: “Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Alzheimer im Rahmen von Aktivität des täglichen Lebens oder bei der normalen medizinischen Pflege übertragen werden kann”, betont Collinge. “Die Patienten, die wir hier beschrieben haben, erhielten eine spezifische und seit langem nicht mehr angewendete Therapie, bei der – wie wir heute wissen – mit krankheitsauslösenden Proteinen kontaminiertes Material injiziert wurde.” Wichtig sei das Wissen um diese Fälle daher vor allem für die Alzheimer-Forschung und auch für Hygiene-Richtlinien beispielsweise bei Hirnoperationen.
Quelle: Gargi Banerjee (University College London) et al., Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-023-02729-2