Wie viele noch aus ihrer Schulzeit in Erinnerung haben, stehen am Anfang der Erbforschung, die seit 1906 Genetik heißt, die Experimente, die der Mönch Gregor Mendel mit Erbsen gemacht hat. Nach den Pflanzen kamen die Fliegen, die bis heute untersucht werden, aber zunächst nicht das eigentliche Geheimnis preisgaben, das die Genforscher interessierte. Sie wollten wissen, was die Natur der Erbanlagen ausmacht, die seit 1909 Gene heißen. Woraus bestehen Gene? Wie sind sie aufgebaut? Wie verrichten sie ihre Arbeit?
Den Antworten auf diese Fragen ist man erst näher gekommen, als die Biologen lernten, sich dem Leben von Mikroorganismen zuzuwenden und es gelang, Bakterien in Schalen zu züchten. Vor 100 Jahren bemerkten dann Frederick Twort und Felix d’Herelle – heute eher in Vergessenheit geratene Mikrobiologen –, dass man erstens aus Bakterien auf einem festen Nährmedium einen Rasen bilden kann, in dem sich dann zweitens Löcher stanzen lassen, wenn man etwas hinzugibt, das noch kleiner als die Bakterien ist. Gemeint sind Gebilde, die einen Filter passierten, an denen Bakterien hängenblieben. Man nannte sie Viren, was soviel wie “giftiger Saft” bedeutete.
Die Atome der Vererbung
Twort und d’Herelle meinten, so etwas wie die Atome der Vererbung entdeckt zu haben, ohne allerdings damit viel anfangen zu können. Es dauerte bis in die 1930er-Jahre, bevor jemand zeigen konnte, dass Viren kein Saft, sondern winzige Partikel sind, die einzeln in Bakterien eindringen und sie vernichten konnten. Es dauerte sogar bis in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, bevor sich verstehen ließ, dass Bakterien und Viren über Gene verfügen und beide Moleküle in ihrem mörderischen Wechselspiel auch vermengen und austauschen können. Eine prominente Rolle hat dabei der aus Berlin stammende Max Delbrück gespielt, der 1969 den Nobelpreis bekam, auf den das erwähnte Trio nun wartet.
Zwar konzentrierten sich die Forscher zu Delbrücks Zeiten zunächst mit aller Macht auf die alte Frage, woraus die Gene im molekularen Detail bestehen und wie sie aufgebaut sind. Doch als die Frage 1953 mit der Vorstellung der berühmten Doppelhelix aus DNA ihre elektrisierende Lösung erhielt, richteten einige Genetiker ihr Augenmerk auf das Wechselspiel zwischen den Bakterien und den Viren.
Wehrhafte Bakterien
Es war längst aufgefallen, dass einige Bakterien in der Lage waren, sich den Angriffen von Viren zu widersetzen und die Eindringlinge zu vernichten, statt von ihnen gefressen zu werden. Genauere Untersuchungen zeigten, dass die Bakterien über Scheren verfügten, mit denen sie das Erbgut ihrer Feinde zerlegten und sie auf diese Weise unschädlich machten. Bei weiteren Analysen stellte sich heraus, dass der Schnitt durch die DNA so vollzogen wurde, dass sich die Teilstücke neu zusammensetzen ließen. Mit dieser Erkenntnis dauerte es nicht mehr lange, bis erste Teams in den 1970er-Jahren die Neukombination von Genen vollziehen konnten, die bald als Gentechnik bekannt wurde und bis heute Furore macht.
Wer nun glaubte, die Qualität und Genauigkeit der molekularen Scheren ließe sich nicht übertreffen, muss sich seit ein paar Jahren eines Besseren belehren lassen. Wie nämlich ein intensives und höchst genaues Betrachten der Gene von Bakterien zeigte – das ohne die Gentechnik undenkbar und undurchführbar geblieben wäre – können Bakterien einige der Gene ihrer viralen Angreifer in das eigene (bakterielle) Erbgut eingliedern. Wenn sich nun erneut ein alter Fressfeind in Form eines bekannten Virus nähert, kann das Bakterium sich wehren und mit Hilfe der in der eigenen DNA gespeicherten Information die Gene des Gegners erst erkennen und dann besetzen, um sie anschließend auszuschneiden. Damit rettet es sich selbst.
Das Immunsystem der Bakterien
Experten sprechen bei diesem trickreichen Vorgehen von einer Art Immunsystem der Bakterien – und seit sie es kennen, kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Abwehrapparat der Bakterien kann nicht nur mit genetischen Informationen von Viren, sondern ganz allgemein mit jeder beliebigen genetischen Information bestückt und an ein Ziel im Erbgut eines Organismus befördert werden. Dort trennt er ein Gen heraus und setzt ein anderes ein, so wie man in einem Text ein Wort streicht und durch ein anderes ersetzt. Bei einem Manuskript ist dies die Aufgabe des Editors. Deshalb spricht man jetzt auch davon, Organismen zu editieren, auch den menschlichen. Human Gene Editing – das ist eine große Aufgabe, und es bleibt erstaunlich, aus welch kleinen Anfängen es gekommen ist. Am Anfang betrachtete man das kleine Leben in einer Schale. Jetzt steht das große Leben selbst auf der Waagschale. Wie wird sie sich neigen?