Wenn unsere DNA beschädigt ist, sorgen zahlreiche Reparaturenzyme dafür, dass die Schäden schnell behoben werden. Eine Studie zeigt nun, welche Prozesse ablaufen, wenn beide Stränge der DNA gebrochen sind. Damit die losen Enden nicht auseinandertreiben, entfaltet ein Enzym namens PARP1 eine ähnliche Wirkung wie Sekundenkleber: Sobald der Schaden entdeckt ist, verbinden sich die Enzyme miteinander und mit den DNA-Enden und schaffen so die Grundlage für die Reparatur. Die Erkenntnisse verbessern das Verständnis der DNA-Reparatur und können auch für die Krebsforschung relevant sein.
Zahlreiche innere und äußere Einflüsse sorgen dafür, dass die DNA in unseren Zellen immer wieder Schäden erleidet. Durch UV-Strahlung, Chemikalien aber auch im Rahmen normaler Stoffwechselvorgänge kann es passieren, dass einzelne Teile des Erbguts falsch kopiert werden oder einer oder beide DNA-Stränge brechen. Um solche Schäden schnell zu beseitigen, patrouillieren zahlreiche Reparaturenzyme an der DNA entlang, leisten bei Bedarf erste Hilfe und schlagen Alarm, um weitere Reparaturenzyme zu aktivieren. Die genauen Prozesse dabei waren bislang allerdings nur in Ansätzen verstanden. Ein Rätsel bestand unter anderem darin, wie es die Zelle schafft, dass sich bei Doppelstrangbrüchen die losen DNA-Enden nicht zu weit voneinander entfernen, was eine Reparatur erschweren würde.
Klebstoff und Alarmgeber zugleich
Dieser Frage ist ein Team um Nagaraja Chappidi von der Technischen Universität Dresden nun auf den Grund gegangen. „Wie Zellen die Trennung gebrochener DNA-Enden verhindern, war bisher ein Rätsel. Wir haben nun herausgefunden, dass dies durch ein Protein namens PARP1 vermittelt wird, das schon lange als Sensor für DNA-Schäden bekannt ist“, sagt Chappidis Kollege Simon Alberti. Bekannt war bereits, dass das PARP1-Protein im Fall von DNA-Schäden andere Reparaturenzyme aktivieren kann, die einen gebrochenen DNA-Strang wieder zusammenflicken.
Wie die neuen Ergebnisse nun zeigen, wirkt PARP1 bei Doppelstrangbrüchen wie ein Kleber, der die beiden losen Enden miteinander verbindet. „Wir nennen diesen Kleber ein Kondensat, das heißt eine Ansammlung dicht miteinander verbundener Protein- und DNA-Moleküle, die vom Rest der Zelle isoliert sind und ein spezielle Reparaturkammer bilden. Dieser Kleber hält nicht nur die DNA-Enden zusammen, sondern ermöglicht es auch DNA-Reparaturenzymen, ihre Arbeit zu verrichten“, erklärt Alberti.
Kollektives Zusammenwirken
Um die Vorgänge im Detail nachzuvollziehen, rekonstruierten die Forschenden das DNA-Schaden-Szenario außerhalb der Zellen im Reagenzglas. Dabei nutzten sie aufgereinigte Proteine und DNA, in der sie Doppelstrangbrüche erzeugten. „So konnten wir die genauen molekularen Ereignisse, die der Bildung von Reparaturorten für DNA-Schäden zugrunde liegen, bestimmen“, sagt Chappidi. „Die PARP1-Kondensation ist aber erst der Anfang. Nachdem es sich mit der DNA verklumpt, wird PARP1 als Enzym aktiv und rekrutiert eine Reihe nachgeschalteter DNA-Reparaturproteine.“ Dazu zählt unter anderem ein Protein namens FUS. Dieses wirkt wie ein Schmiermittel, das das Kondensat weich macht, damit weitere Reparaturenzyme ihre Arbeit verrichten können.
„Das ist ein Beispiel für kollektives Proteinverhalten, das zu einer höheren Funktionalität führt. Jedes Protein macht seinen eigenen Job, aber alle Proteine müssen zusammenarbeiten, um das Ziel der Erkennung und Behebung des DNA-Schadens zu erreichen“, sagt Chappidi Kollege Titus Franzmann. Die Studie deckt somit die molekularen Mechanismen auf, wie gebrochene DNA-Enden räumlich verbunden bleiben und gleichzeitig den Zugang für Reparaturfaktoren ermöglichen. Die Methode, die DNA-Reparatur außerhalb von Zellen im Reagenzglas nachzubilden, könnte aus Sicht von Chappidi und seinen Kollegen auch für weitere Forschungsteams relevant sein. „Wir glauben, dass es ein großer Gewinn für die wissenschaftliche Gemeinschaft sein wird, die DNA-Schäden untersucht“, sagt Chappidi.
Angriffsziel für Krebstherapien
Zudem könnten die neuen Erkenntnisse auch für die Krebsforschung relevant sein. „Aufgrund seiner Rolle bei der DNA-Reparatur ist PARP1 bereits Ziel vieler zugelassener Krebstherapien“, erklärt Alberti. Dabei wird PARP1 gezielt gehemmt, während gleichzeitig andere Chemotherapeutika die DNA der Krebszellen schädigen. Ohne das PARP1-Protein können diese Schäden nicht mehr ausreichend behoben werden, sodass die Krebszellen im Idealfall absterben. „Unsere Arbeit enthüllt die molekulare und physikalische Grundlage dafür, warum diese Krebstherapien so erfolgreich sind“, sagt Alberti.
Quelle: Nagaraja Chappidi (TU Dresden) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2024.01.015