Bei Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson sammeln sich schädliche Proteine in den Nervenzellen an und sorgen dafür, dass diese absterben. Eine Studie hat nun einen bisher unbekannten Schutzmechanismus aufgedeckt: Demnach bilden Immunzellen des Gehirns, die Mikroglia, winzige Röhrchen zu den Nervenzellen, durch die sie schädliche Proteine abtransportieren und nützliche Stoffe liefern. Die Erkenntnisse liefern neue Ansatzpunkte für die Vorbeugung und Behandlung neurodegenerativer Krankheiten.
Viele neurodegenerative Krankheiten entstehen, wenn sich bestimmte Proteine in den Nervenzellen krankhaft verändern und anhäufen. Bei Alzheimer ist das zum Beispiel das Tau-Protein, das normalerweise für die Stabilität und Nährstoffversorgung der Zelle sorgt, bei Parkinson das Protein Alpha-Synuclein, das unter anderem die Dopamin-Ausschüttung reguliert. Sammeln sich innerhalb einer Nervenzelle zu viele fehlerhafte Proteine, stirbt die Zelle ab – der Beginn der neuronalen Degeneration.
Direkte Hilfe durch Tunnel
Ein Team um Hannah Scheiblich vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln hat nun einen Schutzmechanismus entdeckt, mit dem bestimmte Immunzellen des Gehirns, die Mikroglia, die Nervenzellen vor diesem Schicksal bewahren. „Mikroglia spielen eine entscheidende Rolle als Kontroll- und Aufräumtrupp des Gehirns“, erklären die Forschenden. „Sie entfernen aktiv abnormale Proteinaggregate. Allerdings ging man bisher davon aus, dass Mikroglia in der Regel erst nach dem Tod von Neuronen auf diese pathologischen Proteine stoßen.“
Scheiblich und ihr Team haben nun einen Weg entdeckt, über den Mikroglia eingreifen, bevor es zu spät ist: „Wir haben nachgewiesen, dass Mikroglia sowohl im gesunden Gehirn als auch bei krankhaften Veränderungen winzige Tunnel-Nanoröhrchen bilden, mit denen sie Verbindungen zu den Neuronen herstellen, um schnell Organellen, Vesikel und Proteine auszutauschen“, berichtet das Team. „Die Mikroglia nutzen diese Röhrchen, um Neuronen von toxischen Proteinaggregaten zu befreien und die neuronale Gesundheit wiederherzustellen.“ Sowohl in Zellkulturen als auch bei lebenden Mäusen wiesen die Forschenden nach, dass sich solche Röhrchen bilden.
Abfallkanäle und Versorgungstunnel zugleich
Durch Beschränkungen bei der Bildgebung konnten Scheiblich und ihre Kollegen den Transport von Proteinen durch diese Röhrchen zwar nicht direkt beobachten. Sie zeigten aber, dass in Systemen mit funktionierenden Röhrchen schädliche Alpha-Synuclein-Aggregate aus lebenden Nervenzellen zu den Mitochondrien gelangten. „Zusätzlich stellten wir fest, dass die Mikroglia ihre gesunden Mitochondrien – also die Kraftwerke der Zellen – mit den belasteten Neuronen teilen, wodurch der oxidative Stress verringert und die Genexpression normalisiert wird“, erläutern die Forschenden. Die Nanoröhrchen sind demnach nicht nur ein Weg zur Abfallentsorgung, sondern funktionieren zugleich in die andere Richtung als Versorgungstunnel, um die belasteten Nervenzellen zu stärken.
„Unsere Ergebnisse eröffnen das Potenzial, direkt in die Gesundheit der Neuronen einzugreifen, indem wir die natürlichen Funktionen der Mikroglia verbessern“, sagt Scheiblichs Kollege Frederik Eikens. Wie das Forschungsteam feststellte, können bestimmte Mutationen in den Mikroglia dafür sorgen, dass die Bildung der Röhrchen beeinträchtigt ist – verbunden mit einem erhöhten Risiko für neurodegenerative Krankheiten. „Unsere nächsten Schritte werden sich darauf konzentrieren, zu verstehen, wie diese Röhrchen gebildet werden und Wege zu finden, diesen Prozess bei Krankheiten anzukurbeln“, sagt Scheiblichs Kollegin Lena Wischhof.
Quelle: Hannah Scheiblich (Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln) et al., Neuron, doi: 10.1016/j.neuron.2024.06.029