Die Luft ist dünn und der Alltag hart: Im Hochgebirge des Himalayas heimische Völker leben unter extremen Bedingungen. Diese Belastung hat körperliche Folgen – und wirkt sich unter anderem auf das Knochenwachstum aus, wie eine Studie zeigt. Demnach haben die Höhenbewohner im Vergleich zu Bewohnern des Flachlands deutlich kürzere Unterarme. Offenbar investiert ihr Organismus seine Ressourcen vor allem in die besonders wichtigen Teile des Arms, weil er in der Höhe nur begrenzt Energie zur Verfügung hat.
Im Vergleich zu Bewohnern des Flachlands haben es in großen Höhenlagen heimische Menschen nicht leicht: Sie müssen mit dünner Luft, widrigem Terrain und oftmals spärlichen Ernteerträgen zurechtkommen. Denn die im Hochgebirge herrschenden Bedingungen stellen auch für viele Nahrungspflanzen eine Herausforderung dar. Ein Leben unter so extremen Umständen, wie es beispielsweise die Bewohner des Himalayas führen, geht am Körper nicht spurlos vorüber. So kann der Organismus aufgrund des Sauerstoffmangels die Nahrung unter anderem nicht so effizient in Energie umwandeln – und das bedeutet, dass für Prozesse wie etwa das Wachstum nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund haben dauerhaft im Hochgebirge lebende Populationen oftmals einen anderen Körperbau als ihre Verwandten im Flachland.
Armvergleich in Nepal
Doch wie wirken sich die Höhe und das damit zusammenhängende Energiedefizit konkret auf das Knochenwachstum aus? Dieser Frage sind Stephanie Payne von der University of Cambridge und ihre Kollegen nun am Beispiel von Sherpas aus Nepal nachgegangen. Dafür vermaßen die Wissenschaftler die Arme von 183 Angehörigen dieser Ethnie, die in der Khumbo-Region in Dörfern auf Höhen von mehr als 3500 Metern über dem Meeresspiegel leben. Diese Werte verglichen sie anschließend mit den Körpermaßen von 71 genetisch eng verwandten Tibetern aus dem Flachland. Würden sich zwischen diesen beiden Populationen trotz der gemeinsamen Abstammung Unterschiede in Sachen Armlänge feststellen lassen?
Es zeigte sich: Die Höhendifferenz von über 2000 Metern war an den Gliedmaßen der Bewohner deutlich zu erkennen. So hatten die in dünner Luft heimischen Sherpas im Verhältnis zur Körpergröße signifikant kürzere Arme als ihre tibetischen Verwandten. Wie die Forscher berichten, kam dies vor allem durch einen deutlich verkürzten Unterarmknochen zustande. Oberarm- und Handknochen waren dagegen interessanterweise bei beiden Bevölkerungsgruppen ähnlich lang – und zwar sowohl bei den Frauen als auch den Männern aus der Stichprobe. “Dies ist ein sehr interessantes Ergebnis und zeigt, dass der menschliche Körper bei begrenzter Energieverfügbarkeit Prioritäten setzt”, sagt Payne. Demnach investiert der Organismus seine Ressourcen dann gezielt in bestimmte Segmente – auf Kosten von anderen Körperteilen.
Weltweites Muster?
Doch warum wird bei den Himalaya-Bewohnern das Wachstum von Hand und Oberarm priorisiert und nicht das des Unterarms? Eine naheliegende Erklärung: Im Vergleich zum Unterarm sind die anderen beiden Körperteile funktionell schlicht wichtiger. Denn die Handknochen sind bedeutend für die Fingerfertigkeit und dem Oberarm kommt eine besondere Rolle für Kraft und Stärke zu, wie Payne berichtet. Tatsächlich sind die Sherpas mit dieser höhenbedingten Anpassungserscheinung nicht alleine. Auch von einigen Anden-Bewohnern ist bekannt, dass ihr Unterarm-, nicht aber ihre Oberarm- oder Handknochen kürzer sind als bei Flachland-Populationen. Dies zeigt nach Ansicht der Wissenschaftler, dass der Körper auf durch extreme Höhe verursachten Stress überall auf der Welt ähnlich reagiert.
Welcher biologische Mechanismus aber steckt hinter diesem Phänomen? Darüber rätseln die Forscher noch: Könnten Temperaturunterschiede verantwortlich sein oder doch ein veränderter Blutfluss in den Gliedmaßen oder eine ungleichmäßige Verteilung von Nährstoffen? Welche Faktoren während der Wachstumsphase den Ausschlag für die frappierenden Unterschiede geben und wie diese zustande kommen, sollen in Zukunft weitere Untersuchungen zeigen.
Quelle: Stephanie Payne (University of Cambridge) et al., Royal Society Open Science), doi: 10.1098/rsos.172174