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Hirnstudien: Nur aussagekräftig mit vielen Teilnehmern

Gesundheit|Medizin

Hirnstudien: Nur aussagekräftig mit vielen Teilnehmern
Gehirn
Der Zusammenhang von Hirnanatomie und Psychologie ist schwer zu erfassen. © Alex Berdis

Hirnscans versprechen, Einblicke ins Gehirn zu geben und so auch den neuronalen Ursachen psychischer Krankheiten auf die Spur zu kommen. Viele kleinere Studien mit einigen Dutzend Teilnehmern haben teils deutliche Assoziationen zwischen bestimmten anatomischen Merkmalen im Gehirn und auffälligen Verhaltensweisen ergeben. Die meisten dieser Ergebnisse sind allerdings nicht reproduzierbar und beruhen eher auf zufälligen Variationen, zeigt nun eine Analyse der Daten von fast 50.000 Menschen. Tatsächliche, aber schwächere Zusammenhänge dagegen werden in den kleinen Studien oft übersehen.

Als es möglich wurde, mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) das lebende Gehirn zu beobachten, erhofften sich Forscher, bald die Ursache aller neurologischen, psychiatrischen und psychischen Krankheiten zu finden und behandeln zu können. Auch Zusammenhänge zu unserer Persönlichkeit und unserem Verhalten glaubten sie finden zu können. Doch obwohl die MRT-Aufnahmen durch technische Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten immer detaillierter und aussagekräftiger geworden sind, haben sich diese Hoffnungen bisher nicht erfüllt. Viele Studien haben zwar signifikante Assoziationen zwischen Hirnstrukturen und Verhaltensweisen ergeben, doch ihre Ergebnisse ließen sich nicht reproduzieren.

Große Stichproben erforderlich

Ein Team um Scott Marek von der Washington University School of Medicine hat nun analysiert, worin das Problem dieser sogenannten gehirnweiten Assoziationsstudien liegt. Anlass dafür war eine eigene Assoziationsstudie von Marek, mit der er eigentlich herausfinden wollte, wie kognitive Fähigkeiten im Gehirn repräsentiert werden. „Wir führten unsere Analyse an einer Stichprobe von 1.000 Kindern durch und fanden eine signifikante Korrelation und dachten: ‚Toll!‘ Aber dann dachten wir: ‚Können wir das bei weiteren tausend Kindern reproduzieren?‘“, erzählt Marek. Es stellte sich heraus, dass die Ergebnisse nicht reproduzierbar waren. „Das hat mich einfach umgehauen, denn eine Stichprobe von tausend Kindern hätte eigentlich ausreichen müssen. Wir haben uns den Kopf zerbrochen und uns gefragt, was hier eigentlich los ist.“

Um herauszufinden, wie groß eine Stichprobe sein muss, damit eine gehirnweite Assoziationsstudie zuverlässige Ergebnisse liefert, analysierten Marek und sein Team daher die drei größten öffentlich verfügbaren Datensätze mit MRT-Daten, die insgesamt fast 50.000 Teilnehmer umfassen: Die UK Biobank (35.375 Teilnehmer), die Adolescent Brain Cognitive Development Study (11.874 Teilnehmer) und das Human Connectome Project (1.200 Teilnehmer). Daraus zogen sie unterschiedlich große Stichproben und untersuchten diese auf Korrelationen zwischen Gehirnmerkmalen und einer Reihe von demografischen, kognitiven, psychischen und verhaltensbezogenen Merkmalen. Mit Hilfe neuer Stichproben versuchten sie dann, die jeweils gefundenen Ergebnisse zu wiederholen.

Kleine Studien: Starke aber falsche Ergebnisse

„Die durchschnittliche Stichprobengröße von klassischen gehirnweiten Assoziationsstudien liegt bei nur 25 Teilnehmern“, berichten die Forscher. Führten sie ihre Analysen mit dieser Stichprobengröße durch, fanden sie zwar – ebenso wie die bereits veröffentlichten Arbeiten zu diesem Thema – oft deutliche Assoziationen, konnten die Ergebnisse jedoch mit neuen Stichproben nicht replizieren. Erst bei Stichproben von mehreren tausend Teilnehmern verbesserte sich die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse, wobei gleichzeitig die beobachteten Effekte weniger stark waren als die zufällig zustande gekommenen Korrelationen in den kleineren Studien.

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Wie ausgeprägt eine Korrelation ist, wird als Effektstärke auf eine Skala von 0 bis 1 angegeben, wobei 0 für keine Korrelation und 1 für eine perfekte Korrelation steht. Je nach Untersuchungsgegenstand gelten unterschiedlich große Effektstärken als stark. In der Neurowissenschaft wird schon eine Effektstärke von 0,2 als stark angesehen. Viele veröffentlichte Arbeiten geben jedoch weit größere Effektstärken an – laut Marek eigentlich ein Signal dafür, dass etwas nicht stimmen kann. „Man kann in der Literatur Effektgrößen von 0,8 finden, aber nichts in der Natur hat eine Effektgröße von 0,8“, sagt Marek. „Die Korrelation zwischen Körpergröße und Gewicht beträgt 0,4. Die Korrelation zwischen Höhenlage und Tagestemperatur liegt bei 0,3. Das sind starke, offensichtliche, leicht zu messende Korrelationen, und sie sind nicht annähernd 0,8. Wie kommen wir also auf die Idee, dass die Korrelation zwischen zwei sehr komplexen Dingen wie Gehirnfunktion und Depression 0,8 beträgt?“

Zukunft in der Zusammenarbeit

Anhand ihrer großen Datensätze stellten Marek und seine Kollegen fest, dass die tatsächlich reproduzierbaren Assoziationen zwischen Hirnstruktur und Verhalten lediglich eine durchschnittliche Effektstärke von 0,01 hatten. Mit kleinen Stichproben lassen sich so schwache Effekte nicht feststellen. „Unsere Ergebnisse spiegeln ein systemisches, strukturelles Problem bei Studien wider, die darauf abzielen, Korrelationen zwischen zwei komplexen Dingen wie dem Gehirn und dem Verhalten zu finden“, sagt Mareks Kollege Nico Dosenbach. Da MRT-Studien teuer sind – eine Stunde im MRT kann 1.000 Dollar kosten – haben die meisten Studien viel zu kleine Stichproben und sind dadurch anfällig dafür, zufällig starke, aber falsche Assoziationen aufzudecken, während sie echte, aber schwächere Assoziationen übersehen. Die Flut unzuverlässiger Studien würde Fortschritte beim Verständnis des Gehirns verlangsamen, so die Forscher.

Da keine einzelne Forschungsgruppe die Zeit oder das Geld hat, Tausende von Teilnehmern für jede Studie zu scannen, sehen Mark und seine Kollegen die Lösung darin, große, öffentlich zugängliche Datensätze zu schaffen, ähnlich wie es auch mit genomischen Daten der Fall ist. „Für genomische Daten finanzierten die U.S. National Institutes of Health (NIH) große Datenerhebungen und legten fest, dass die Daten öffentlich zugänglich gemacht werden müssen“, sagt Dosenbach. Ein ähnliches Vorgehen schlägt er auch für die Bildgebung des Gehirns vor. Durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen könnten Wissenschaftler zuverlässigere Studien erstellen, die tatsächlich dabei helfen können, psychische Krankheiten besser zu verstehen und womöglich Behandlungsansätze zu finden. „Diese Arbeit stellt einen wichtigen Wendepunkt für die Verknüpfung von Gehirnaktivität und Verhalten dar, da sie nicht nur die bisherigen Hindernisse, sondern auch die vielversprechenden neuen Wege nach vorn klar definiert“, so Dosenbach.

Quelle: Scott Marek (Washington University School of Medicine, St. Louis, USA) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-022-04492-9

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