Unangenehm bis unerträglich und irgendwie peinlich: Millionen von Menschen machen Hämorrhoidalleiden das Leben schwer – dennoch ist die Volkskrankheit bisher kaum erforscht. Doch nun hat eine genetische Studie erstmals grundlegende Einblicke in die Mechanismen und Ursachen der Erkrankung geliefert. Die Ergebnisse besitzen dabei Potenzial für die Entwicklung von Therapien und Präventionsmaßnahmen für Patienten und Risikogruppen, sagen die Wissenschaftler.
Umgangssprachlich wird das Leiden oft nur als „Hämorrhoiden“ bezeichnet, doch die hat eigentlich jeder. Nur die krankhaft veränderten Versionen dieser Gewebestrukturen sind das Problem. Die Hämorrhoiden dienen dazu, den After zu verschließen und den Stuhlgang zu kontrollieren. Bei den Hämorrhoidalleiden beginnen sich diese blutgefüllten Polster zu vergrößern und auszustülpen. Dies führt zu Juckreiz und Brennen und kann in fortgeschritteneren Stadien zu starken Schmerzen und Blutungen führen. In diesen Fällen ist dann oft eine chirurgische Behandlung nötig. Klar ist, dass große Teile der Bevölkerung von Hämorrhoidalleiden betroffen sind, doch genaue Angaben fehlen. Denn es handelt sich um eine Erkrankung, über die Betroffene nicht gerne sprechen.
Erstaunlich unerforschtes Volksleiden
Möglicherweise ist diese Tabuisierung auch eine der Ursachen dafür, dass die Grundlagen der molekularen Mechanismen und Neigungen zu Hämorrhoidalleiden bisher wenig erforscht sind. Zu den bekannten Risikofaktoren zählen Übergewicht, ballaststoffarme Ernährung und häufiges Sitzen. Außerdem sind übermäßig lange Toilettengänge oder zu starkes Pressen sowie das Heben von schweren Gegenständen als Risikofaktoren bekannt. Allerdings gibt es über die Hintergründe dieser Faktoren bisher keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wie es mittlerweile bei vielen anderen Erkrankungen durchgeführt wurde, hat deshalb nun ein internationales Forschungsteam die genetischen Veranlagungen ausgelotet, die mit dem Risiko für die Entwicklung von Hämorrhoidalleiden in Verbindung stehen.
Die Wissenschaftler haben dazu das Erbgut von 218.920 Patienten mit den genetischen Informationen von 725.213 Vergleichspersonen verglichen. Durch die Analysen konnten sie 102 Regionen im menschlichen Genom identifizieren, die Gene umfassen, die bei der Entwicklung von Hämorrhoidalleiden eine Rolle spielen. Sie haben somit erstmals sogenannte Risikogene eingekreist. Das bedeutet: Wenn Menschen bestimmte Versionen dieser Erbanlagen aufweisen, besitzen sie eine erhöhte Neigung für die Entwicklung der Erkrankung. Zusätzlich haben die Forscher Zellen aus Hämorrhoiden-Gewebeproben analysiert, die bei Operationen entnommen worden waren. Dabei haben sie die Produkte, für deren Herstellung die neuentdeckten Risikogene verantwortlich sind, direkt am Ort des Geschehens nachgewiesen.
Genetische Einblicke in Grundlagen
Die Wissenschaftler gewannen dadurch nun erstmals grundlegende Hinweise darauf, welche Funktionen bei der Erkrankung möglicherweise gestört sind und zu den Symptomen führen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Hämorrhoidalleiden zumindest teilweise aus einer Fehlfunktion der glatten Muskulatur, der Blutgefäße und des Bindegewebes in diesem Bereich resultiert. Damit haben wir erste Hinweise auf mögliche Krankheitsmechanismen der Volkskrankheit gewonnen. Langfristig könnte ein besseres Verständnis bei der Entwicklung zusätzlicher nicht-invasiver Therapieoptionen helfen sowie zu Möglichkeiten führen, direkt an den Ursachen der Erkrankung anzusetzen”, sagt Co-Autor Andre Franke von der Universität Kiel.
Im Rahmen ihrer Studie haben die Wissenschaftler zudem bereits sogenannte polygene Risiko-Scores (PRS) auf der Grundlage der identifizierten Risikogene entwickelt. Diese Werte geben für Kombinationen mehrerer Risikogene den jeweiligen Grad der Neigung zu Hämorrhoidalleiden an. Um zu überprüfen, ob diese Risikowerte tatsächlich brauchbare Hinweise liefern, haben die Forscher sie auf genetische Daten von Menschen angewendet, von denen ihnen zunächst keine Diagnosen bekannt waren. Beim anschließenden Vergleich der errechneten Risiko-Scores mit den Patientendaten bestätigte sich die Korrelation: Bei den analysierten 180.435 Personen wiesen diejenigen, die besonders jung erkrankten oder häufiger operiert werden mussten, besonders hohe Risikowerte auf. „Zukünftig könnten diese Analysen somit dabei helfen, Menschen mit erhöhtem Risiko für schwere Ausprägungen frühzeitig zu identifizieren und besser zu begleiten. Sie könnten zudem möglicherweise besonders von einer präventiven Lebensweise profitieren“, sagt Co-Autor Volker Kahlke.
Der „Preis“ für den aufrechten Gang?
Im Rahmen der Studie beschäftigten sich zwei der beteiligten Forscher auch noch grundlegender mit dem Thema. Denn neben den Hintergründen der Erkrankung ist bisher auch wenig über die Hämorrhoiden selbst bekannt. Thilo Wedel und Francois Cossais vom Anatomischen Institutes der Universität zu Kiel haben deshalb nun Untersuchungen durchgeführt, die klären sollten, inwieweit die analen Blutgefäßschwellkörper typisch für den Menschen sind. Ihre Untersuchungen von Gewebeproben eines Gorillas und eines Pavians sowie an Mäusen zeigten: „Während der Mensch über sehr gut entwickelte Hämorrhoidalpolster verfügt, sind diese beim Gorilla und noch mehr beim Pavian geringer ausgeprägt und bei der Maus gar nicht mehr zu finden. Wahrscheinlich ist die spezielle Ausbildung der Hämorrhoiden beim Menschen somit dem aufrechten Gang geschuldet, bei dem ein sicherer Analkanalverschluss besonders wichtig ist,“ erklären Wedel und Cossais.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Fachartikel: Gut, doi: 10.1136/gutjnl-2020-323868