Wenn Ärzte gründlich genug untersuchen, finden sie bei fast jedem Menschen eine Anomalie. Die Folge: So mancher Gesunde wird zum Kranken erklärt. Diese These belegt H. Gilbert Welch mit vielen Studien. So spüren moderne Diagnosegeräte noch die kleinsten Krebsknoten auf. Die Statistik zeigt: Die meisten dieser Geschwulste würden lebenslang keine Beschwerden machen. Dennoch folgt meist aus Vorsicht eine belastende Therapie, die Ängste schürt und das Wohlbefinden beeinträchtigt. Das gilt für Brustkrebs ebenso wie für Schilddrüsen- und Prostatakrebs.
Viele Vorsorgeuntersuchungen produzieren auf diese Weise „ falsche Patienten”. Zudem stoßen Ärzte bei Beschwerden oft zufällig auf harmlose Anomalien, denen sie therapeutisch zu Leibe rücken. Manchmal ist der Unterschied zwischen gesund und krank sogar nur ein willkürlicher Zahlenwert. Ob Blutdruck, Cholesterin oder Blutzucker – die Grenzwerte wurden in den letzten Jahren vorsichtshalber nach unten korrigiert, was Millionen Menschen quasi über Nacht zu Kranken machte.
Der US-amerikanische Internist und Medizin-Professor H. Gilbert Welch praktiziert seit Jahrzenten an Krankenhäusern. Er verurteilt nicht pauschal jede Vorsorgeuntersuchung, rät aber, sich vorher gründlich zu informieren. Dass er aus amerikanischer Sicht schreibt, stört nicht, denn das meiste gilt auch hierzulande. Welchs Fazit: Weniger Diagnosen, stattdessen mehr echte „Vorsorge” – womit er eine gesunde Lebensweise meint. Klaus Jacob
H. Gilbert Welch DIE DIAGNOSEFALLE Riva, München 2013 336 S., € 19,99 ISBN 978–3–86883–331–7 E-Book für € 15,99 ISBN 978–3–8 6413–409–8