Wenn akute Belastungen zu anhaltenden Stressreaktionen führen, kann das krank machen. Wodurch solche verzögerten Reaktionen in unserem Gehirn entstehen, haben nun Wissenschaftler aufgedeckt. Demnach existiert neben Stresshormonen und direkten Nervensignalen noch ein dritter Weg, über den die “Stresszentrale” des Gehirns aktiviert wird: durch einen Botenstoff im Hirnwasser. Dieser könnte eine entscheidende Rolle bei Langzeitfolgen von Stress wie dem Posttraumatischen Stresssyndrom oder dem Burnout spielen, wie die Forscher berichten.
Die Stressreaktion unseres Körpers ist überlebenswichtig: Sie wappnet uns gegen akute Gefahr und mobilisiert Geist und Körper, damit wir der Bedrohung durch Flucht entkommen oder uns ihr im Kampf entgegenstellen können. Im Gehirn sind die maßgeblichen Kontrollzentren der Stressreaktion der für die Steuerung unserer vegetativen Funktionen verantwortliche Hypothalamus und der präfrontale Cortex – das Areal, das für Handlungsplanung, Entscheidungen und die Impulskontrolle zuständig ist. Bekommt dieses Areal Stresssignale, sorgt das dafür, dass wir besonders wach und aufmerksam sind und so auf potenzielle Gefahren besser reagieren.
Hirnwasser als “Botenjunge”
Bisher kannten Wissenschaftler zwei Mechanismen, über die der präfrontale Cortex in Alarmbereitschaft versetzt wird, beide gehen von einer Nervenzellgruppe im Hypothalamus aus. “Der eine Prozess ist ein hormoneller Weg, bei dem letztendlich über den Blutstrom aus der Nebenniere heraus innerhalb von Sekunden nach der Stresseinwirkung Hormone freigesetzt werden”, erklärt Seniorautor Tibor Harkany von der Medizinischen Universität Wien. “Der andere Prozess, der Weg über die Nerven, ist noch schneller. In seinem Verlauf kommt es in Sekundenbruchteilen zu einer direkten Nervenverbindung in Richtung des präfrontalen Cortex.” Diese Mechanismen aber können nur in Teilen erklären, warum eine Stressreaktion auch lange nach Ende des akuten Auslösers anhalten kann – beispielsweise bei einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Eine weitere Erklärung dafür könnten nun Harkany, Alan Alpar von der Semmelweis-Universität in Budapest und ihr Team gefunden haben. Wie sie herausfanden, schlagen die Zellen im Hypothalamus bei Stress auch noch auf einem dritten Wege Alarm: über das Hirnwasser. Diese Flüssigkeit wird in den Wandzellen der Hirnventrikel gebildet und umspült das Gehirn und Rückenmark. Wie die Forscher feststellten, gibt es eine Nervenverbindung zwischen den Stresszellen im Hypothalamus und Wandzellen des im Zwischenhirn liegenden dritten Hirnventrikels. Werden diese Wandzellen aktiviert, geben sie ein Botenmolekül, den sogenannten ziliaren neurotrophen Faktor (CNTF) in das Hirnwasser ab. Mit diesem gelangt der Botenstoff auch an den präfrontalen Cortex und bindet dort an bestimmte Rezeptoren. Das wiederum aktiviert das Stresszentrum dieses Hirnareals.
Verzögert, aber langlebig
Neben den Stresshormonen und den direkten Nervensignalen trägt dieser dritte Weg über das Hirnwasser zur Stressreaktion bei, wie Alpar und seine Kollegen erklären. Das Interessante daran: Die Wirkung dieses dritten Mechanismus tritt erst mit einer Verzögerung von etwa zehn Minuten auf, hält dafür aber umso länger an. Der Grund dafür ist die nur langsame Ausbreitung des Botenstoffs CNTF über die Hirnflüssigkeit. Weil sich dieses chemische Alarmsignal zudem im gesamten Liquor ausbreitet und verdünnt, dauert es relativ lange, bis es wieder abgebaut wird. Als Folge können die im Hirnwasser befindlichen Moleküle das Stresszentrum im präfrontalen Cortex noch lange nach Ende des akuten Stresses wachhalten.
Nach Ansicht des Forscherteams könnte die Entdeckung dieses neuen Prozesses auch neue Perspektiven für das Verständnis des Posttraumatischen Stresssyndroms und auch des Burnouts eröffnen. “Das Verständnis des dahin führenden nervlichen Prozesses kann neue Optionen zur Behandlung dieser neuropsychiatrischen Erkrankungen eröffnen”, betont Tibor Harkany. Denn er und seine Kollegen haben im Rahmen ihrer Studie auch mehrere Ansatzpunkte für Substanzen entdeckt, die diese dritte, verzögerte Stressreaktion hemmen oder beenden könnten.
Quelle: Alan Alpar (Semmelweis-Universität,Budapest) et al., EMBO Journal, doi: 10.15252/embj.2018100087