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Farbstoff macht lebendes Gewebe transparent

Gesundheit|Medizin

Farbstoff macht lebendes Gewebe transparent
Mausschädel wird transparent
Diese Aufnahmen zeigen, wie der Schädel einer Maus allmählich transparent wird und die Adern des Gehirns sichtbar werden.© Stanford University/Gail Rupert/ USNSF

Um einen Blick ins Innere des Körpers zu werfen, brauchte es bisher aufwendige bildgebende Verfahren – oder ein Skalpell. Nun haben Forschende eine einfache und umkehrbare Methode gefunden, um die Haut lebender Organismen durchsichtig zu machen: Der handelsübliche Lebensmittelfarbstoff Tartrazin verändert den Brechungsindex des Gewebes so, dass es durchlässig für sichtbares Licht wird. Rieben die Forschenden Mäuse mit dem in Wasser gelösten Farbstoff ein, wurden ihre Blutgefäße und inneren Organe sichtbar. Die Methode könnte neue Möglichkeiten für die biologische Forschung sowie für die Medizin eröffnen.

Ob ein Material für sichtbares Licht durchlässig ist, uns also transparent erscheint, hängt unter anderem von seinem Brechungsindex ab. An der Grenzfläche von Substanzen mit unterschiedlichem Brechungsindex wird das Licht gestreut. Je geringer die Streuung, desto transparenter das jeweilige Material. Beobachten lässt sich dieser Effekt beispielsweise, wenn man einen Anisschnaps wie Ouzo oder Raki mit Wasser mischt. Einzeln sind beide Flüssigkeiten transparent, zusammen werden sie jedoch milchig, da das Licht an der Grenzfläche zwischen dem Wasser und den winzigen im Alkohol gelösten Anisöl-Tröpfchen gestreut wird. Ähnlich ist es mit unserer Haut: Wasser- und Fettmoleküle sind hier gemischt und sorgen für eine starke Streuung des einfallenden Lichts.

Tartrazin
Der orange-gelbe Farbstoff Tartrazin wird auch als Lebensmittelfarbe genutzt. © Matthew Christiansen/ U.S. National Science Foundation

Lichtbrechung angepasst

Ein Team um Zihao Ou von der Stanford University in Kalifornien hat nun eine Möglichkeit gefunden, den Brechungsindex der wässrigen Anteile der Haut so weit an den der Fettbestandteile anzugleichen, dass die Haut transparent wird. Dazu nutzte das Team den handelsüblichen Lebensmittelfarbstoff Tartrazin (E102). Der Azofarbstoff wird in der Lebensmittelindustrie zum Beispiel eingesetzt, um Limonade, Pudding oder Schmelzkäse eine gelb-orange Farbe zu verleihen.

Die Farbstoffmoleküle sind stark lichtabsorbierend, vor allem im Bereich des blau-violetten Spektrums. „Wir haben die kontraintuitive Beobachtung gemacht, dass stark absorbierende Moleküle in lebenden Geweben optische Transparenz erreichen können“, berichten die Forschenden. „Der physikalische Hintergrund dieser Beobachtung ist, dass die lichtabsorbierenden Moleküle, wenn sie sich in Wasser auflösen, den Brechungsindex des wässrigen Mediums so verändern, dass er dem von Gewebekomponenten mit hohem Brechungsindex wie Lipiden entspricht.“

Einblicke ins Körperinnere

Um die Auswirkungen des Farbstoffs auf die Lichtdurchlässigkeit von Geweben zu testen, nutzten die Forschenden zunächst eine dünne Scheibe Hähnchenbrust, die sie in eine wässrige Lösung des Farbstoffs einlegten. Und tatsächlich: Mit zunehmender Tartrazinkonzentration stieg der Brechungsindex der wässrigen Bestandteile so weit an, dass die Scheibe transparent wurde. Im nächsten Schritt testete das Team das Verfahren an lebenden Mäusen. Vorsichtig rieben sie Kopf, Bauch oder Hinterbeine der Tiere mit einer wässrigen Tartrazinlösung ein.

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Wie erhofft wurden tatsächlich die unter der Haut liegenden Strukturen sichtbar. Am Kopf ließen sich die einzelnen Blutgefäße erkennen, am Hinterbein die Muskeln und am Bauch die inneren Organe, darunter die Darmbewegungen und das schlagende Herz. Auch in Kombination mit weiteren bildgebenden Techniken erwies sich die Methode als sehr erfolgreich. Zudem war sie vollständig reversibel: Wuschen die Forschenden den Farbstoff ab, sah die Haut bald wieder aus wie zuvor.

Perspektiven für die zukünftige Nutzung

„Dieser Ansatz bietet eine neue Möglichkeit, die Struktur und Aktivität von tiefen Geweben und Organen in vivo auf sichere, temporäre und nicht-invasive Weise zu visualisieren“, schreiben Christopher Rowlands und Jon Gorecki vom Imperial College London, die nicht an der Studie beteiligt waren, in einem begleitenden Kommentar, der ebenfalls in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde. „Einer der Vorzüge, Gewebe optisch transparent machen zu können, liegt in der Synergie mit anderen Techniken, die eine tiefere Bildgebung ermöglichen, als es jede für sich könnte.“

„Mit Blick auf die Zukunft könnte diese Technologie Venen für die Blutentnahme sichtbarer machen, die Entfernung von Tätowierungen mit Hilfe von Lasern vereinfachen oder bei der Früherkennung und Behandlung von Krebserkrankungen helfen“, sagt Ous Kollege Guosong Hong. „Bei bestimmten Therapien werden beispielsweise Laser eingesetzt, um Krebs- und Krebsvorläuferzellen zu beseitigen, doch sind diese auf Bereiche nahe der Hautoberfläche beschränkt. Mit dieser Technik kann das Eindringen des Lichts möglicherweise verbessert werden.″

Ob die Methode auch für den Einsatz bei Menschen geeignet ist, hat die aktuelle Studie nicht untersucht. Für die Unbedenklichkeit von Tartrazin spricht jedoch, dass der Azofarbstoff bereits für Lebensmittel zugelassen ist. Auch die Mäuse vertrugen den Farbstoff gut. Wurde er systemisch verabreicht, schieden die Tiere überschüssige Mengen innerhalb von 48 Stunden mit dem Kot aus. Die Studie liefert zudem die Grundlage für die Entdeckung weiterer potenziell geeigneter Färbemittel. „Unsere Berechnungen legen nahe, dass sich die Suche nach leistungsstarken optischen Klärungsmitteln auf stark absorbierende Moleküle konzentrieren sollte“, so die Forschenden.

Quelle: Zihao Ou (Standford University, CA, USA) et al., Science, doi: 10.1126/science.adm6869

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