Chromosom für Chromosom haben Forschende das Genom der Bäckerhefe künstlich nachgebaut und einen Hefestamm erzeugt, dessen Genom zu mehr als der Hälfte synthetisch ist. Der halbsynthetische Stamm überlebt und wächst ähnlich gut wie natürliche Hefe. Die Forschungen helfen zum einen dabei, die Grundlagen des Genoms besser zu verstehen. Zum anderen können sie dazu beitragen, optimierte Stämme für die industrielle Nutzung zu erzeugen. Das Ziel ist ein vollständig synthetischer Organismus, dessen Eigenschaften sich je nach Bedarf anpassen lassen.
Schon seit Jahrtausenden setzen Menschen den Hefepilz Saccharomyces cerevisiae ein, um Brot zu backen, Bier zu brauen oder Saft zu Wein zu vergären. In der modernen Biotechnologie dient die Hefe heute zudem dazu, Kraftstoffe, Arzneimittel oder Duftstoffe herzustellen, und in der medizinischen Forschung ist sie ein verbreiteter Modellorganismus. Ihr Genom ist daher gut bekannt und wurde zumindest in Teilen schon vielfach modifiziert.
Variationen des natürlichen Vorbilds
Ein Team um Yu Zhao von der New York University hat nun erstmals einen Hefestamm erzeugt, dessen Genom zu mehr als der Hälfte synthetisch ist. Die Forschungen sind Teil des internationalen Großforschungsprojekts Synthetic Yeast Genome Project, das daran arbeitet, eine vollständig synthetische Hefe zu entwickeln. Während die Genome einiger Viren und Bakterien bereits vollständig synthetisiert wurden, wäre die Hefe der erste Eukaryot mit Designer-Genom.
Um tatsächlich etwas Neues zu schaffen, bauten die Forschenden die natürlichen Chromosomen nicht einfach nach, sondern variierten sie. Zahlreiche nicht-codierende Bereiche ließen sie weg und fügten stattdessen neue DNA-Abschnitte hinzu. Sämtliche Bereiche, die für sogenannte transfer-RNAs codierten, die zum Zusammenbau neuer Proteine benötigt werden, entfernten die Forschenden von den ursprünglichen Chromosomen und lagerten sie auf ein vollständig neues Chromosom aus, dem sie den Namen tRNA-Neochromosom gaben. „Das tRNA-Neochromosom ist das weltweit erste vollständig synthetisch hergestellte Chromosom“, sagt Co-Autor Yizhi Cai von der University of Manchester. „So etwas gibt es in der Natur nicht.“
Synthetische Chromosomen eingekreuzt
Auf dem Weg zu einer vollständig synthetischen Hefe synthetisierte das Team künstliche Varianten von allen sechzehn Chromosomen der Hefe im Labor und fügte sie jeweils einzeln in einen Hefestamm ein, bei dem die übrigen 15 Chromosomen natürlichen Ursprungs waren. Durch Versuch und Irrtum fanden sie heraus, welche Varianten jeweils einen lebensfähigen Organismus ermöglichten. „Unsere Motivation ist, die grundlegenden Prinzipien des Genoms zu verstehen, indem wie synthetische Genome bauen“, erklärt Cai.
Die funktionierenden Stämme mit jeweils einem synthetischen Chromosom kreuzten die Forschenden miteinander und selektierten die Nachkommen mit mehreren synthetischen Chromosomen. Diese kreuzten sie weiter miteinander, bis sie sechs vollständige synthetische Chromosomen und einen Chromosomenarm in einem einzigen Stamm kombiniert hatten. Das größte aller synthetischen Chromosomen fügten sie anschließend mit einer neu entwickelten Methode namens Chromosomen-Substitution ein. Das Erbgut des auf diese Weise geschaffenen Stamms ist zu mehr als 50 Prozent synthetisch.
Aus Fehlern lernen
Im Vergleich zur Wildtyp-Hefe wies dieser Stamm allerdings Wachstumsdefizite auf. Als Ursache stellten die Forschenden mehrere kleine genetische Fehler in den synthetischen DNA-Abschnitten fest, die nicht aufgefallen waren, solange nur ein einzelnes Chromosom ausgetauscht wurde. „Wir wussten im Prinzip, dass so etwas passieren könnte – dass wir eine riesige Anzahl von jeweils winzig kleinen Auswirkungen haben können, die sich, wenn man sie alle zusammenfügt, aufsummieren und verstärken können”, sagt Zhaos Kollege Jef Boeke. Mit Hilfe gentechnischer Methoden konnten die Forschenden einige dieser Fehler finden und korrigieren und so das Überleben und die Vermehrung der halbsynthetischen Hefe steigern. „Wir haben jetzt gezeigt, dass wir im Wesentlichen die Hälfte des Genoms mit guter Fitness konsolidieren können“, sagt Boeke. „Und durch die Fehlersuche lernen wir Neues über die Regeln des Lebens.“
Im nächsten Schritt planen die Wissenschaftler, auch die verbleibenden synthetischen Chromosomen zu integrieren. „Dies ist ein aufregender Meilenstein in der Ingenieurbiologie“, sagt Cai. „Wir sind zwar schon seit einiger Zeit in der Lage, Gene zu verändern, aber wir waren noch nie in der Lage, ein Eukaryotengenom von Grund auf neu zu schreiben. Diese Arbeit ist von grundlegender Bedeutung für unser Verständnis der Bausteine des Lebens und hat das Potenzial, die synthetische Biologie zu revolutionieren.“
Quellen: Yu Zhao (New York University) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2023.09.025; Daniel Schindler (University of Manchester) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2023.10.015