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„Entspanntes“ Immunsystem dank Kuh und Co

Gesundheit|Medizin

„Entspanntes“ Immunsystem dank Kuh und Co
Kontakt zu Nutztieren tut offenbar dem menschlichen Immunsystem gut. (Foto: davidf/iStock)

Ist es nur die frische Luft und die dörfliche Idylle? Forscher haben neue Einblicke darin gewonnen, warum eine Kindheit auf dem Lande die Entwicklung der körperlichen und geistigen Gesundheit fördert: Im Zusammenhang mit dem Nutztierkontakt entwickelt sich offenbar ein Immunsystem, das bei psychosozialem Stress weniger überreagiert als bei Großstädtern. Das Ergebnis untermauert erneut die These, dass der Kontakt mit bestimmten Bakterien der Entwicklung eines überempfindlichen oder sogar autoaggressiven Immunsystems entgegenwirken kann.

Wir sind eigentlich an „Dreck“ gut angepasst: In der Entwicklungsgeschichte des Menschen ging es wenig sauber zu – unserer Vorfahren hatten engen Kontakt zur Natur, Tieren und vor allem zu Mikroben in ihrer Umwelt. Diese Herausforderungen haben die Evolution des menschlichen Immunsystems geprägt und es stark gemacht. Doch die Zeiten haben sich geändert: Vor allem in Großstädten ist das Lebensumfeld vieler Menschen sehr sauber, steril und künstlich geworden. Dadurch werden zwar potenzielle Krankheitserreger klein gehalten – aber die Sterilität scheint Schattenseiten zu haben, belegen immer mehr Studien.

Schon länger ist bekannt, dass die Anfälligkeit für Asthma und Allergien bei Menschen, die in solchen unnatürlichen Umfeldern leben, deutlich erhöht ist. Es handelt sich um ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem bei diesen Bedingungen dazu neigt, „verrückt zu spielen“. Darüber hinaus können problematische Immunreaktionen auch an der Entstehung von psychischen Erkrankungen beteiligt sein. Dies könnte ein Faktor hinter der ebenfalls stärkeren Verbreitung dieser Problematiken bei Stadtmenschen sein.

Lässt zu viel Sterilität das Immunsystem verrückt spielen?

Als Grundursache hinter den kritischen Reaktionen des Immunsystems wird bereits seit einiger Zeit die „missing microbes“-Hypothese diskutiert. Für die Entwicklung eines gesunden Immunsystems ist demnach der Kontakt zu bestimmten Bakterien wichtig – insbesondere zu den „alten Freunden“ unter den Mikroben. „Damit gemeint sind Umweltbakterien, mit denen der Mensch seit Jahrtausenden recht friedlich zusammenlebt, und die es in der Großstadt heute schwer haben“, erklärt Stefan Reber von der Universität Ulm. Er und seine Kollegen haben nun neue Hinweise darauf gewonnen, was der Kontakt mit diesen Mikroben beim Immunsystem auslöst, beziehungsweise nicht auslöst, wenn er fehlt.

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Im Rahmen ihrer Studie haben die Forscher Tests mit 40 männlichen Probanden durchgeführt. 20 von ihnen sind die ersten 15 Jahre ihres Lebens auf einem Bauernhof mit Nutztierhaltung aufgewachsen. Die restlichen 20 haben hingegen ihre ersten 15 Lebensjahre in einer Großstadt mit über 100.000 Einwohnern und ohne Haustiere verbracht. Alle Probanden wurden einem experimentellen Stresstest unterzogen. Gestresst wurden sie durch den sogenannten „Trier-Social-Stress-Test“ (TSST). Dabei werden die Versuchsteilnehmer mit einer fiktiven Bewerbungssituation konfrontiert, bei der sie zwischendurch Kopfrechenaufgaben lösen müssen. Vor und nach dem Test haben die Wissenschaftler den Probanden Blut- und Speichelproben entnommen, um bestimmte Immunzellen wie mononukleäre Zellen des peripheren Blutes (PBMC) zu gewinnen oder Stressparameter wie Cortisol zu erfassen.

Gestresst bei „entspanntem“ Immunsystem

Man könnte vermuten, dass Landmenschen vielleicht generell etwas entspannter sind und sich dies auch auf ihr Immunsystem auswirkt. Doch in den Ergebnissen spiegelte sich dies nicht wider. Interessanterweise ließen sich die Landbewohner durch die Tests sogar mehr stressen als die Großstädter: Es wurden bei ihnen mehr Stresshormone ausgeschüttet und sie äußerten auch bei Befragungen ein vergleichsweise hohes Stressempfinden. Doch bei den Untersuchungen der Immunreaktionen ergab sich ein anderes Bild: Das Immunsystem der Landbewohner ließ sich im Rahmen der Stresssituation nicht so stark zu einer Antwort provozieren wie das der Großstädter. Bei letzteren spiegelte sich in den Werten eine Neigung zu Überreaktionen des Systems deutlich wider.

Die Forscher konnten diesen Befund auch durch weitere Untersuchungen untermauern: Im Labor gezüchtete Immunzellen der Stadt-Probanden zeigten ebenfalls Reaktionen, die auf einen Hang zu überschießenden Immunantworten schließen lassen, die zu chronischen Entzündungsreaktionen führen können. „Solche Prozesse spielen beispielsweise bei der Entstehung von Asthma und allergischen Erkrankungen eine Rolle, vergrößern aber auch das Risiko für psychische Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen“, erklärt Reber.

Den Forschern zufolge gewinnt die Thematik vor dem Hintergrund der zunehmenden Verstädterung in der Welt zunehmend an Bedeutung. Um gegenzulenken wären vielleicht sogar gezielte Impfungen möglich. In einem früheren Experiment mit Mäusen konnte das Team um Reber bereits zeigen, dass sich die Stressresistenz der Tiere durch eine Impfung mit harmlosen Umweltbakterien verbessern lässt. Weitere Studien müssen nun zeigen, ob sich dieser Effekt auch auf den Menschen übertragen lässt. Außerdem wollen die Forscher in einer Folgestudie untersuchen, inwieweit Haustiere in der Stadt den Effekt von Nutztieren auf dem Land vermitteln können.

Quellen: Universität Ulm, PNAS doi: 10.1073/pnas.1719866115

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