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Embryonale menschliche Nieren in Schweinen gezüchtet

Gesundheit|Medizin

Embryonale menschliche Nieren in Schweinen gezüchtet
Schweineembryos
Normaler Schweineembryo (oben) und der Chimären-Embryo mit der menschlichen Niere. Die rote Fluoreszenz markiert menschliche Zellen. © Wang, Xie, Li,Li, and Zhang et al./Cell Stem Cell, CC-by-sa 4.0

Nieren sind die am häufigsten transplantierten Organe in der Humanmedizin. Nun ist es Forschenden erstmals gelungen, embryonale menschliche Nieren in Schweinen zu züchten. Dazu pflanzten sie genetisch veränderten Schweine-Embryos menschliche Stammzellen ein, die sich zu Nieren entwickelten. Nachdem die chimären Embryos 28 Tage lang in Schweine-Leihmüttern gewachsen waren, wiesen die humanisierten Nieren eine für dieses Entwicklungsstadium typische Struktur auf. In anderen Teilen des Embryos fanden sich dagegen wie erhofft kaum menschliche Zellen. Die Technik könnte dabei helfen, die menschliche Organentwicklung besser zu verstehen und womöglich eines Tages transplantierbare menschliche Organe in Schweinen zu züchten.

Die Nieren entfernen Abfallstoffe aus dem Blut und sorgen dafür, dass diese mit dem Urin ausgeschieden werden. Zudem sind sie daran beteiligt, den Blutdruck und den Wasserhaushalt des Körpers zu regulieren. Funktionieren die Nieren nicht mehr, müssen Betroffene ihr Blut mehrfach wöchentlich per Dialyse reinigen lassen oder benötigen eine Nierentransplantation. Die Warteliste für Spenderorgane ist allerdings lang, sodass es oft Jahre dauert, bis ein Organ zur Verfügung steht. Forschende versuchen deshalb, auf andere Weise Abhilfe zu schaffen. Ihr Ziel ist es, menschliche Organe in anderen Spezies züchten.

Lösung für das Problem des Organmangels?

Einen wichtigen Schritt in diese Richtung hat nun ein Team um Jiaowei Wang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Guangzhou gemacht. Sie haben erfolgreich chimäre Schweine-Embryonen mit menschlichen Nieren erzeugt und 28 Tage lang in Schweine-Leihmüttern gezüchtet. „Die Erzeugung menschlicher Organe in anderen großen Säugetieren wäre eine bahnbrechende Lösung für das Problem des Organmangels“, schreiben die Forschenden. „Allerdings steht sie vor vielen Herausforderungen.“

Eines der wichtigsten Probleme früherer Studien war, dass menschliche Zellen, die in Embryos fremder Spezies eingesetzt wurden, vom Empfängergewebe verdrängt wurden und sich nicht weiterentwickelten. Zudem benötigen menschliche Zellen andere Umgebungsbedingungen als beispielsweise Schweinezellen, und die Entwicklungsgeschwindigkeit von Menschen- und Schweineorganen unterscheidet sich, was die Synchronisation im Embryo kompliziert macht.

Chimären in Schweine-Leihmüttern

“Um die extrem niedrige Effizienz von Interspezies-Chimären zu überwinden, haben wir bei mehreren verschiedenen Mechanismen angesetzt“, erklärt Wangs Kollege Guangjin Pan. „Wir haben eine Reihe kritischer Faktoren identifiziert, die die Bildung von Interspezies-Chimären fördern, indem sie den Zellwettbewerb erleichtern.“ Zum einen veränderte das Team die menschlichen Stammzellen so, dass zwei überlebensfördernde Gene besonders stark abgelesen wurden. Zusätzlich schufen sie in den Schweine-Embryonen eine Nische, indem sie die Schweine-Gene, die für die tierische Nierenentwicklung unverzichtbar sind, ausschalteten. „Wir haben herausgefunden, dass, wenn man eine Nische im Schweineembryo schafft, die menschlichen Zellen ganz natürlich in diese Räume gehen“, berichtet Wangs Kollege Zhen Dai.

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Vor der Implantation in Schweine-Leihmütter züchteten die Forschenden die chimären Embryos zudem unter Bedingungen, die sowohl die menschlichen als auch die Schweine-Zellen optimal mit Nährstoffen und Umgebungssignalen versorgten, sodass beide Anteile wachsen konnten. Insgesamt 1820 Embryos erzeugten die Forschenden auf diese Weise und setzten sie 13 Säuen als Leihmütter ein. Bei sechs Säuen funktionierte die Einnistung, sodass sie mit den chimären Embryos trächtig wurden. Aus ethischen Gründen beendeten die Forschenden die Schwangerschaft der Säue nach 25 bis 28 Tagen.

Menschliche Zellen vor allen in den Nieren

Eine wichtige Frage war, ob sich auch im Gehirn, im Nervensystem oder in der Keimbahn der chimären Schweine-Embryos menschliche Zellen fanden. In diesem Fall wäre es ethisch äußert problematisch, die weitere Entwicklung der Chimären zuzulassen. Doch das Team gibt Entwarnung: „Wir sahen nur sehr wenige menschliche Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark und keine menschlichen Zellen im Genitalbereich, was darauf hindeutet, dass sich die menschlichen pluripotenten Stammzellen nicht in Keimzellen differenziert haben“, berichtet Zhen Dai. Durch das Ausschalten weiterer Gene in den pluripotenten menschlichen Stammzellen könnte das Risiko, dass sie sich in etwas anderes als Nierengewebe differenzieren, zusätzlich gesenkt werden.

In den Nieren hatten die menschlichen Zellen dagegen wie erhofft einen großen Anteil von 50 bis 60 Prozent. Zum Zeitpunkt der Entnahme befanden sie sich im sogenannten Mesonephros-Stadium, dem zweiten Stadium der Nierenentwicklung, wie die Forschenden feststellten. Erkennbar waren bereits die typischen Nierenkanälchen sowie Zellknospen, aus denen bei weiterer Entwicklung die Harnleiter entstehen würden. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass es prinzipiell möglich ist, ein humanisiertes Organ in Schweinen zu erzeugen, was einen spannenden Weg für die regenerative Medizin und ein künstliches Fenster zur Untersuchung der menschlichen Nierenentwicklung eröffnet“, schreibt das Team.

Weiter Weg bis zu transplantierbaren Organen

In zukünftigen Studien wollen die Forschenden die Bedingungen für die Züchtung menschlicher Nieren in Schweinen weiter optimieren und die Nieren über einen längeren Zeitraum wachsen lassen. Zudem arbeiten sie daran, auch andere menschliche Organe wie das Herz und die Bauchspeicheldrüse in Schweinen zu erzeugen.

Ob solche Organe allerdings tatsächlich Menschen transplantiert werden können, ist noch unsicher und erfordert viele Jahre weiterer Forschung und Entwicklung. „Da Organe nicht nur aus einer einzigen Zelllinie bestehen, müssten wir die Schweine wahrscheinlich auf sehr viel komplexere Weise manipulieren, um ein Organ zu erhalten, bei dem alles vom Menschen stammt. Das brächte zusätzliche Herausforderungen mit sich“, sagt der Wangs Kollege Miguel Esteban. Bereits zuvor könnte die neue Technik jedoch der Wissenschaft weiterhelfen. „Bevor wir so weit sind, dass wir Organe für die klinische Praxis herstellen können, bietet diese Methode die Möglichkeit, die menschliche Entwicklung zu studieren“, sagt Esteban. „Man kann die menschlichen Zellen, die man injiziert, verfolgen und manipulieren, um Krankheiten und die Bildung von Zelllinien zu untersuchen.“

Quelle: Jiaowei Wang (Guangzhou Institutes of Biomedicine and Health, Chinese Academy of Sciences, China) et al., Cell Stem Cell, doi: 10.1016/j.stem.2023.08.003

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