Chronische Einsamkeit ist Gift für unsere mentale Gesundheit: Die soziale Isolation bedeutet Stress und kann psychische Störungen hervorrufen. Doch welche neuronalen Mechanismen liegen diesem Effekt zugrunde? Eine Studie mit Mäusen liefert nun eine mögliche Erklärung. Demnach wird bei Einsamkeit verstärkt ein bestimmtes Neuropeptid ausgeschüttet, welches das emotionale und soziale Verhalten beeinflusst. Bestätigen sich die Ergebnisse am Menschen, könnten sich daraus künftig neue Therapieansätze ergeben.
Wer einsam ist, dem geht es selten gut. Denn eine anhaltende soziale Isolation kann nicht nur auf die Stimmung drücken. Sie führt auch dazu, dass Menschen unter Stress stehen, schlecht schlafen und anfälliger für psychische Leiden wie Depressionen werden. Doch warum verursacht Einsamkeit solche Effekte? “Die neuronalen Grundlagen dieses Phänomens sind bisher kaum verstanden”, schreiben Moriel Zelikowsky vom California Institute of Technology in Pasadena und ihre Kollegen. Um mehr darüber zu erfahren, was durch soziale Isolation im Gehirn passiert, haben die Wissenschaftler nun Experimente mit Mäusen durchgeführt. Für die Nager ist Einsamkeit ein ähnlich großer Stressfaktor wie für uns: Haben sie über einen längeren Zeitraum keinen Kontakt zu Artgenossen, werden sie aggressiv und zugleich ängstlich. So reagieren sie zum Beispiel überempfindlich auf bedrohliche Reize und verharren selbst dann noch wie erstarrt, wenn die Gefahr längst vorüber ist.
Für die Studie setzte das Team Mäuse zwei Wochen lang sozialer Isolation aus. Würden sich Veränderungen im Denkorgan der Tiere zeigen? Tatsächlich offenbarte sich ein deutlicher Effekt: Gleich in mehreren Regionen des Gehirns war ein Gen namens Tac2 überaktiv. Dies führte dazu, dass ein von diesem Gen kodierter Botenstoff in ungewöhnlich großen Mengen ausgeschüttet wurde: das Neuropeptid Neurokinin B aus der Gruppe der Tachykinine. Die Substanz wird vor allem in Hirnbereichen wie der Amygdala und dem Hypothalamus produziert – Regionen, die für das emotionale und soziale Verhalten wichtig sind. Wie die Forscher berichten, löst eine Überproduktion von Neurokinin B in den einzelnen Bereichen offenbar unterschiedliche Effekte aus. So scheint sie in der Amygdala das Angstverhalten zu fördern, im Hypothalamus dagegen Aggression. Damit es zu den vielfältigen bekannten Folgen sozialer Isolation kommt, muss die Genexpression von Tac2 demnach in mehreren Hirnregionen hochreguliert sein.
Ansatzpunkt für Therapien?
Weitere Experimente zeigten, dass eine künstliche Hochregulierung von Tac2 bei nicht gestressten und im Gruppenverbund gehaltenen Mäusen deren Verhalten drastisch ändert. “Wir konnten damit viele der durch soziale Isolation ausgelösten Effekte nachahmen”, berichtet Zelikowskys Kollege David Anderson. Umgekehrt gelang es den Wissenschaftlern auch, die Verhaltensstörungen bei einsamen Mäusen künstlich zu verhindern: Mithilfe eines Wirkstoffs namens Osanetant blockierten sie die Neurokinin B-Rezeptoren im Gehirn der Nager. Osanetant wurde ursprünglich als potenzielles Medikament gegen Schizophrenie und die bipolare Störung entwickelt. Doch in klinischen Studien erwies sich die Substanz zwar als sicher, wirkte aber nicht gegen diese beiden psychischen Leiden. Womöglich könnte sich Osanetant künftig nun für andere Anwendungen bewähren, so die Hoffnung des Teams.
“Unsere Studie zeigt die Möglichkeit auf, dass dieses Mittel zweckentfremdet werden könnte: um psychiatrische Störungen zu behandeln, die im Zusammenhang mit Effekten sozialer Isolation stehen”, sagt Anderson. Er sieht unter anderem Anwendungsmöglichkeiten bei Menschen in Isolierhaft, aber auch bei Personen, die Probleme haben, einen Trauerfall zu verarbeiten. Dafür muss sich allerdings erst bestätigen, dass sich die neuen Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen. In dieser Hinsicht sind die Forscher jedoch optimistisch. Denn: Bei Untersuchungen mit Drosophila-Fliegen haben sie herausgefunden, dass bei den Insekten ebenfalls Tac2 für negative Folgen sozialer Isolation verantwortlich zu sein scheint.
“Dass sich diese Funktion des Gens sowohl bei Fliegen als auch bei Mäusen zeigt, legt zumindest die Vermutung nahe, dass es beim Menschen eine ähnliche Rolle spielen könnte”, sagt Anderson. Tatsächlich verfügt der Mensch über ein analoges Signalsystem im Gehirn – das Tac2 der Mäuse entspricht unserem Tac3-Gen, das ebenfalls für den Botenstoff Neurokinin B kodiert.
Quelle: Moriel Zelikowsky (California Institute of Technology, Pasadena) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2018.03.037