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Doch kein Mikrobiom vor der Geburt

Gesundheit|Medizin

Doch kein Mikrobiom vor der Geburt
Fötus
Im Mutterleib ist der Fötus vor Bakterien weitgehend geschützt. © janulla/ iStock

Unser Mikrobiom spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit. Doch wann beginnt unsere Besiedlung mit Bakterien? Während die Wissenschaft lange davon ausging, dass der erste Kontakt mit Bakterien bei der Geburt stattfindet, hatten jüngere Studien darauf hingedeutet, dass sich auch in der Gebärmutter und im Fruchtwasser schon Mikroorganismen befinden könnten. Eine neue Analyse widerspricht dieser These nun. Demnach gehen die scheinbaren Hinweise auf ein fetales Mikrobiom auf Verunreinigungen der Proben zurück. Gebärmutter und Fruchtwasser sind wie ursprünglich angenommen unter normalen Umständen steril.

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert untersuchte der französische Kinderarzt Henry Tissier, wann in unserem Leben wir erstmals mit Bakterien in Kontakt kommen. Sein Ergebnis: Die erste Besiedlung erfolgt während der Geburt, die Umgebung innerhalb des Mutterleibes ist steril. Dieses Dogma galt mehr als ein Jahrhundert lang. Ab 2010 wurden jedoch mehrere Studien veröffentlicht, die dem zu widersprechen schienen und damit eine wissenschaftliche Kontroverse auslösten. Die Untersuchungen deuteten darauf hin, dass bei einer gesunden Schwangerschaft auch innerhalb der Gebärmutter Bakterien vorkommen könnten.

Analyse aus verschiedenen Blickwinkeln

Ein internationales Forschungsteam um Katherine Kennedy von der McMaster University in Kanada widerspricht nun der Annahme, dass die Gebärmutter nicht steril sein könnte. „Unsere Analyse deutet darauf hin, dass die nachgewiesenen mikrobiellen Signale wahrscheinlich auf eine Kontamination während der klinischen Verfahren zur Gewinnung fötaler Proben oder während der DNA-Extraktion und DNA-Sequenzierung zurückzuführen sind“, so das Autorenteam.

Für die Analyse hatten 46 Fachleute aus verschiedenen Spezialgebieten, darunter Reproduktionsbiologie, Mikrobiomforschung, Immunologie und Bioinformatik die bisher veröffentlichten Studien unter die Lupe genommen. Zudem haben sie aus der Perspektive ihres jeweiligen Fachgebiets mechanistische Überlegungen angestellt, wie der Fötus mit Mikroorganismen in Kontakt kommen könnte und welchen Einfluss die verschiedenen Möglichkeiten auf das feststellbare Mikrobiom hätten. „Unter Berücksichtigung mehrerer erklärender Blickwinkel kommen wir zu dem Schluss, dass die verfügbare Evidenz stark für die Hypothese der ‚sterilen Gebärmutter‘ spricht“, fassen die Autoren zusammen.

Kontaminationen als Fehlerquelle

Der Bioinformatiker Thomas Rattei von der Universität Wien, einer der Mitautoren der Analyse, erklärt: „Die spezielle Problematik bei diesen Mikrobiomen besteht in den sehr kleinen Konzentrationen der anwesenden Bakterien. Daher müssen auch in Spuren vorhandene Spezies sicher erkannt und von Kontaminationen unterschieden werden.“ Dies sei in Untersuchungen, die auf eine bakterielle Besiedlung innerhalb der Gebärmutter hingedeutet haben, nicht zuverlässig der Fall gewesen. Für zukünftige Forschungen sei es daher wichtig, besonders darauf zu achten, Kontaminationen zu vermeiden oder als solche zu erkennen.

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Überdies kommt das Team zu dem Schluss, dass die Existenz lebender und sich replizierender mikrobieller Populationen in gesundem fötalem Gewebe nicht mit den grundlegenden Konzepten der Immunologie und der klinischen Mikrobiologie vereinbar wäre. „Wir sind uns bewusst, dass unsere Position im Widerspruch zu Dutzenden von Veröffentlichungen steht, die Hinweise auf mikrobielle Populationen in der Gebärmutter anführen, aber wir sind von der Richtigkeit unseres mehrschichtigen Ansatzes überzeugt“, so das Autorenteam.

Forschungsanstrengungen konzentrieren

Kennedy und ihre Kollegen hoffen, dass ihr Beitrag dabei helfen kann, zukünftige Forschungsanstrengungen zum frühen Mikrobiom auf aussichtsreiche Aspekte zu konzentrieren und nach international einheitlichen, verlässlichen Standards durchzuführen. „Das Wissen, dass sich der Fötus in einer sterilen Umgebung befindet, bestätigt, dass die Besiedlung mit Bakterien während der Geburt und in der frühen postnatalen Phase stattfindet, worauf sich die therapeutische Forschung zur Modulation des Mikrobioms konzentrieren sollte“, sagt Co-Autor Jens Walter vom University College Cork in Irland.

Eine interessante Forschungsfrage sei beispielsweise, welche durch die Gebärmutter übertragenen Stoffwechselprodukte das kindliche Immunsystem auf das spätere Leben in einer Welt voller Mikroben vorbereiten. Für die klinische Praxis sei es zudem relevant, die Bedeutung der Erstbesiedlung während der Geburt besser zu verstehen – insbesondere mit Hinblick darauf, welche Methoden bei Kaiserschnittgeburten dabei helfen können, dass die Neugeborenen auch ohne Passage des Geburtskanals vom mütterlichen Mikrobiom profitieren können.

Quelle: Katherine Kennedy (McMaster University, Hamilton, Ontario, Kanada) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-022-05546-8

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