Der geübte Krimi-Fan weiß sofort Bescheid: Wenn der Fernseh-Fahnder Gil Grissom vom CSI Las Vegas oder die TV-Rechtsmedizinerin Jordan Cavanaugh Haut oder Sperma vom Täter finden, dann ist der Bösewicht so gut wie verurteilt. Denn der „ genetische Fingerabdruck”, wie die DNA-Analyse umgangssprachlich genannt wird, liefert den Beweis für die Täterschaft – mit mathematischer Präzision.
Im Prinzip haben die Fernsehkrimis mit dieser Darstellung Recht. DNA-Tests haben sich seit ihrer Einführung Ende der achtziger Jahre zu einem unersetzlichen Werkzeug der Polizei entwickelt. Auch alte, ungelöste Fälle werden mithilfe der Methode aufgeklärt, sofern irgendwo in den Asservatenkammern noch biologisches Spurenmaterial schlummert. Die Rechtsmediziner können selbst wenigen Hautzellen von einer Türklinke, einem ausgefallenen Haar, altem Blut oder Knochenresten mit stark abgebauter Erbsubstanz noch das Geheimnis der Herkunft entlocken. Kein Wunder, dass das Bundeskriminalamt in Wiesbaden pro Jahr zirka 100 000 neue DNA-Datensätze von Kriminellen in die zentrale Datei aufnimmt.
Aber die Allzweckwaffe DNA-Analyse ist nur dann so präzise, wenn sie von den damit arbeitenden Menschen sauber und korrekt durchgeführt wird und alle Daten sorgfältig in gut konstruierten Datenbanken archiviert werden. Und genau daran scheint es in einigen Institutionen zu hapern. Beim diesjährigen Workshop zur Spurenanalyse in Köln deckten Rechtsmediziner aus Universitäten und Vertreter der kriminaltechnischen Institute der Polizei vielerlei Pfusch in den eigenen Reihen auf.
Das Problem begann 1998, als sich 15 rechtsmedizinische Institute entschlossen, einen neuen Typ von DNA-Datenbank anzulegen. Die Institute sollten ihre Daten an die Arbeitsgruppe von Prof. Holger Wittig an der Universität Magdeburg übermitteln. Dessen Team sollte sie in ein Computersystem eingeben, das die Fahnder einfach über das Internet benutzen könnten.
Das Neue daran: Die Datenbank sollte nur Daten über die Erbsubstanz von Mitochondrien enthalten. Die kleinen Zellorganellen sind für die Energiegewinnung zuständig und mit eigener DNA – der mtDNA – ausgestattet. Normalerweise werden genetische Fingerabdrücke mit der Erbsubstanz des Zellkerns gemacht. Aber wenn nur wenig Spurenmaterial am Tatort zu finden ist, reicht die Menge oft nicht für diese Standardanalyse. Hier hilft die mtDNA weiter, denn ein Mensch hat pro Zelle nur einen Kern mit DNA, aber Tausende Zellkraftwerke mit mtDNA. Darum klappt der Test auf Mitochondrien-DNA oft auch dann noch, wenn der auf Zellkern-DNA mangels Masse versagt. Allerdings sind die DNA-Muster von Mitochondrien nicht so vielfältig wie die der Zellkerne. So braucht man gute Datenbanken, um die Beweiskraft von Unterschieden oder Gemeinsamkeiten in der Erbinformation beurteilen zu können.
Ausgefallene Haare haben überhaupt keine intakte Zellkern-DNA mehr, wohl aber Mitochondrien. Auch bei altem Blut, Knochen oder Zähnen ist oft nur noch die DNA der Energielieferanten aussagekräftig – wie im Steinzeitkrimi um Ötzi, den 5300 Jahre alten Gletschermann.
Das Mitochondrien-DNA-Muster eignet sich auch, um festzustellen, aus welcher Region ein Mensch stammt. „Man kann damit ohne weiteres erkennen, ob jemand aus Ostasien oder vom indischen Subkontinent kommt”, sagt Prof. Hans-Jürgen Bandelt, Mathematiker und DNA-Datenbankexperte an der Universität Hamburg. Er löste zusammen mit seinem Kollegen Prof. Walther Parson vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Innsbruck den Krach unter den Kriminalanalytikern aus.
Die beiden Forscher hatten die Daten in der Magdeburger Datenbank – der D-Loop-Base, wie sie in Fachkreisen heißt – kritisch analysiert. „Wir waren skeptisch geworden, als Prof. Parson seine eigenen Daten, die er an die Datenbank geschickt hatte, nicht wiederfand”, sagt Bandelt. Die beiden mtDNA-Experten fällten ein vernichtendes Urteil über die Magdeburger Einrichtung: 10 bis 20 Prozent der Erbinformations-Sequenzen seien falsch, schätzen Bandelt und Parson nach ihrer biomathematischen „Obduktion” der D-Loop-Base-Daten. In einigen Bereichen liege die Fehlerquote noch sehr viel höher.
Die Fehler sind zum Teil durch die archaische Form der Datenübertragung entstanden: Die Magdeburger bekamen die DNA-Sequenzen auf Papier zugeschickt und tippten sie in den Computer – mit hoher Fehlerquote. Aber nicht nur die Datenbank-Organisatoren haben geschlampt – auch einige der Labors, in denen die mtDNA-Daten erhoben wurden. „ Verunreinigungen und Vertauschungen von Proben, aber auch Dokumentationsfehler und Fehler bei der Sequenzanalyse sind nicht bemerkt worden”, sagt Bandelt. In der Datenbank seien „ Phantom-Mutationen” aufgetaucht, die in der Natur wahrscheinlich gar nicht vorkommen, andere Sequenzen seien verrutscht oder verloren gegangen. „Außerdem gibt es diverse Programmierfehler in der Software. Sie tragen ein Übriges zu den teilweise grotesken Daten bei”, sagte Bandelt in Köln.
Welchen Schaden die Magdeburger Datenbank angerichtet hat, ist auch für Experten unklar. „Wie oft die Datenbank benutzt wurde und ob sie bei forensischen Gutachtern zu Fehlschlüssen geführt hat, lässt sich nicht mehr feststellen”, sagt Prof. Bernd Brinkmann, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Münster. Entdecken lassen sich Fehler in einer solchen Datenbank nur, wenn man, wie Bandelt und Parson, die „ Sprache” der mtDNA versteht. Es ist wie beim Kreuzworträtsel: Ein männlicher deutscher Vorname kann vielleicht Peter sein, aber ganz sicher nicht Pater, Mater oder Kater.
Der Krach um die Datenbank hatte Konsequenzen. Schon kurz vor dem Treffen in Köln nahmen die Magdeburger Forscher D-Loop-Base aus dem Internet. Sie wollen die Vorwürfe prüfen. Parson baut gerade eine internationale Datenbank für mtDNA mit deutlich höherem Standard auf. Hier soll es unter anderem keine manuelle Dateneingabe geben, und die Qualität der von Labors eingesandten mtDNA-Daten soll von vornherein schärfer überwacht werden.
Was ihn und Bandelt ganz besonders wurmt: Schon vor zwei Jahren hatten sie auf Fehler in mtDNA-Datenbanken hingewiesen – ohne Reaktion aus Magdeburg. „Es fehlt an kritischer Selbstdistanz”, meint Bandelt. In der Tat: Eine institutionalisierte Qualitätskontrolle sucht man auf diesem strafrechtlich relevanten Gebiet vergeblich.
Und nicht nur in Deutschland. Auch beim Aufbau ostasiatischer Datenbanken für mtDNA gibt es jede Mengen Pannen, fanden Bandelt und der chinesische Molekularbiologe Yong-Gang Yao, Mitglied der chinesischen Akademie der Wissenschaften. „In der entsprechenden FBI-Datenbank haben wir Fehler entdeckt, die man mit bloßem Auge sehen kann”, sagt Bandelt. Der Chefredakteur des US-Fachblatts Science, Donald Kennedy, wetterte Ende letzten Jahres im Editorial seiner Zeitschrift, das amerikanische Justizsystem weigere sich hartnäckig, knifflige Verfahren in der Rechtsmedizin einer kritischen Fachöffentlichkeit zur Diskussion zu stellen.
Fehlerhafte Datenbanken sind nicht das einzige Problem. Auch beim klassischen genetischen Fingerabdruck, der Analyse von DNA aus dem Zellkern, werden Fehler gemacht, obwohl es dafür – anders als für mtDNA – standardisierte, kommerzielle Tests gibt. Der Pfusch wurde durch so genannte Ringversuche entdeckt. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Münster verschickt jedes Jahr einheitliche Proben an 80 deutsche Labors und 74 Labors in anderen europäischen Ländern. Wie im kriminalistischen Alltag handelt es sich um Spuren auf Zigaretten, Kaugummis oder Textilien. 13 Labors, darunter auch deutsche, fielen beim letzten Ringversuch durch gravierende Fehler in ihren Analysen auf: Vertauschungen von Proben, Dokumentationsfehler und Verunreinigungen sind die häufigsten, sagt Brinkmann.
Wie viele Kriminelle den Fahndern durch solche Schlampereien entwischt sind und wie viele Unschuldige vermeintlich überführt hinter Gittern sitzen, wissen die Kriminalisten nicht. Eine Panne, die ans Licht kam: 1994 saß ein Berliner Bauarbeiter sechs Monate unschuldig in Haft – wegen vertauschter DNA-Proben.
Zwar erhalten die Labors nach den Ringversuchen Zertifikate, die Auskunft über die Güte ihrer Arbeit geben. Doch Gerichte interessieren sich nur selten für die Qualität ihrer Gutachter. „ Viele Juristen sind erstaunlich unkritisch gegenüber DNA-Analysen” , meint Brinkmann. Bandelt graust es bei der hohen Fehlerquote: „ Die Labors wussten ja, dass sie getestet werden. Wie mögen die wohl arbeiten, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.” ■
Nicola Siegmund-Schultze ist Biologin und Medizinjournalistin in Frankfurt am Main.
Nicola Siegmund-Schultze
COMMUNITY Fernsehen
In Kooperation mit bdw hat das TV-Wissensmagazin „nano” einen spannenden Fernsehfilm über die Chancen, aber auch über die Haken und Ösen der DNA-Spurenanalyse produziert. Die Erstausstrahlung in 3Sat ist am Mittwoch, 29. September, um 18.30 Uhr. Mehr Informationen unter: www.3sat.de/nano
Auch die Kollegen vom Hörfunk haben sich für das Thema DNA-Tests begeistert. Das DeutschlandRadio Berlin strahlt am 22. September ab 11.10 Uhr eine Sendung über die Verlässlichkeit dieser Methodik aus. Unter www.dradio.de/dlr erfahren Sie die für Ihr Sendegebiet beste Frequenz.
Lesen
Titelthema Gerichtsmedizin mit einem Beitrag zu neuen DNA-Analyse-Methoden: bild der wissenschaft 6/2003
www.wissenschaft.de/bdw
Eine leicht verständliche Einführung in biologische Ermittlungsmethoden:
Mark Benecke
KrimiNAlbiologie
BLT 1999, € 6,45
Juristenschelte von Donald Kennedy:
Science Band 302 (2003), S. 1625
www.sciencemag.org
Internet
Hintergründe und Fallbeschreibungen:
www.benecke.com/dna.html
Ohne Titel
bild der wissenschaft: Die Rolle des rechtsmedizinischen Gutachters im Strafprozess ist mit Einführung der DNA-Analyse vor 15 Jahren noch wichtiger geworden als zuvor. Warum hinterfragen Juristen dennoch vergleichsweise selten die Methoden, auf denen solche DNA-Gutachten basieren?
Brinkmann: Viele Juristen, ob Richter oder Rechtsanwälte, erliegen der Faszination der großen Zahl. In einem Gutachten steht zum Beispiel typischerweise: Die Wahrscheinlichkeit beträgt eins zu zehn Milliarden, dass außer dem Verdächtigen eine zweite Person die DNA-Merkmale in einer Spur vom Tatort hat. Diese Zahl klingt für viele, als sei sie über jeden Zweifel erhaben.
bdw: An Fehler denkt dabei keiner?
Brinkmann: Es gibt in Deutschland nur wenige Juristen, die sich gut in die naturwissenschaftlichen Grundlagen der DNA-Analyse eingearbeitet haben. Die meisten denken: „Den Weg zu diesem Erkenntnisgewinn werde ich sowieso nicht verstehen.” Dabei lässt sich dieser Weg gut dokumentieren und erklären.
bdw: Warum sind die Fehler in der mtDNA-Datenbank D-Loop erst nach mehreren Jahren aufgedeckt worden?
Brinkmann: Es gibt keine feste Institution, die damit beauftragt wäre, die Qualität solcher Datenbanken zu prüfen. Schon in der Entstehungsphase der Datenbank sind Zweifel aufgetaucht, weil das Konzept unzureichende Kontrollen vorsah. Das ist einfach unglücklich gelaufen.