Die Geburt der ersten gentechnisch veränderten Babys in China hat jüngst für einige Furore und Kritik in der Öffentlichkeit gesorgt. Die ins Erbgut der Zwillingsmädchen eingeführte Mutation soll vor späteren HIV-Infektionen schützen. Doch der Eingriff gilt als ethisch und medizinisch fragwürdig. Nun bestätigt eine Analyse, was viele Experten bereits befürchtet hatten: Die fragliche Genvariante bedeutet für Betroffene nicht nur Vorteile – im Gegenteil. Offenbar haben Menschen mit zwei Kopien dieser Mutation in ihrem Erbgut eine deutlich geringere Lebenserwartung.
Seit der Entdeckung der Genschere Crispr/Cas9 testen Forscher weltweit die Möglichkeiten, die dieses neue gentechnische Werkzeug eröffnet. Erste Erfolge in Tierversuchen und mit menschlichen Zellen wecken die Hoffnung, dass sich mit der besonders einfach und zielgenau anwendbaren Methode eines Tages zum Beispiel Erbkrankheiten wie die Duchenne-Muskeldystrophie oder die Sichelzell-Anämie heilen lassen. Werden solche Gentherapien bei Kindern oder Erwachsenen durchgeführt, korrigieren sie nur die Defekte der jeweiligen Patienten. Sogenannte Keimbahneingriffe, die die Genmanipulationen vererbbar machen, gelten dagegen als ethisch fragwürdig und unter den meisten Wissenschaftlern als Tabu. Doch genau dieses Tabu haben He Jiankui von der South University in Shenzen und seine Kollegen im vergangenen Jahr offenbar gebrochen.
Das chinesische Forscherteam verkündete im November 2018 die Geburt der ersten genetisch veränderten Babys: zwei Zwillingsmädchen mit einer Mutation im CCR5-Gen, die sie vor späteren HIV-Infektionen schützen soll. Diese Genvariante sei während der künstlichen Befruchtung mithilfe der Genschere in die befruchteten Eizellen eingeschleust worden und ähnele einer mitunter auch natürlich auftretenden Mutation namens Delta 32, berichteten die Wissenschaftler damals. “Zwar gibt es bis heute keine wissenschaftliche Publikation zu den Ergebnissen. Laut online verfügbaren Angaben wurde bei einem der beiden Kinder aber nur eine Kopie des CCR5-Gens erfolgreich ersetzt. Das zweite Baby trägt dagegen Veränderungen in beiden Allelen”, erklären Xinzhu Wei und Rasmus Nielsen von der University of California in Berkeley.
Höhere Sterblichkeit
Doch mit welchen Folgen? Die Mutation des CCR5-Gens kann verhindern, dass das HI-Virus in Körperzellen eindringt und so vor der Immunschwächeerkrankung schützen. Gleichzeitig macht diese Genvariante jedoch anfälliger gegenüber anderen Krankheitserregern wie Influenza oder dem West-Nil-Virus, wie Mediziner nach der Bekanntgabe der Zwillingsgeburt warnten. Wei und Nielsen wollten es aus diesem Grund nun genauer wissen: Inwiefern beeinflusst die CCR5-Delta-32-Variante die Gesundheit und damit die Lebenserwartung Betroffener? Um dies herauszufinden, analysierten die Forscher Daten von 409.693 Briten, die in der UK Biobank gespeichert sind. Die Ergebnisse offenbarten: Personen mit zwei veränderten Kopien des CCR5-Gens in ihrem Erbgut hatten eine deutlich geringere Lebenserwartung als solche mit nur einem oder keinem mutierten Allel.
Bei Betroffenen im Alter zwischen 41 und 78 Jahren war die Todesrate signifikant höher als bei den Kontrollpersonen, wie Wei und Nielsen herausfanden. Ihre Chance, den 76. Geburtstag zu erreichen, war im Vergleich demnach um rund 20 Prozent geringer. Dies könnte einerseits an der höheren Anfälligkeit für Grippeerkrankungen und damit verbundene Komplikationen liegen. Den Wissenschaftlern zufolge sind aber auch eine Reihe anderer Ursachen denkbar. Schließlich spiele das Protein, dessen Bauanleitung das CCR5-Gen enthält, eine Rolle für zahlreiche unterschiedliche Körperfunktionen. Und noch etwas ergaben die Auswertungen: Insgesamt trugen deutlich weniger Menschen zwei mutierte Varianten des CCR5-Gens als die Forscher erwartet hatten.
“Viel zu gefährlich”
“Sowohl die Zahl der Betroffenen in der Stichprobe als auch die Überlebensrate erzählen die gleiche Geschichte: Menschen mit zwei Kopien dieser Mutation haben eine höhere Sterblichkeit”, konstatiert Nielsen. “Abgesehen von den vielen ethischen Fragen zeigt dies, dass der bei den Crispr-Babys vorgenommene Eingriff ins Erbgut medizinisch problematisch ist: Es handelt sich um eine Mutation, die im Schnitt vermutlich mehr Nachteile als Vorteile bringt.” Weitere Studien müssten zwar erst bestätigen, dass der nun beobachtete Zusammenhang auch für andere Bevölkerungsgruppen gilt. Klar ist den Wissenschaftlern zufolge aber: Sowohl die Risiken der Genschere als auch die Folgen der von ihr eingeführten Mutationen sind noch längst nicht gut genug erforscht. “Aktuell ist die Crispr-Technologie viel zu gefährlich, um sie für Eingriffe in die Keimbahn zu verwenden”, warnt Wei.
Quelle: Xinzhu Wei und Rasmus Nielsen (University of California, Berkeley), Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-019-0459-6