Einer brisanten Fähigkeit auf der Spur: Forscher haben erstmals das Verfahren direkt beobachtet, durch das sich Bakterien schnell neue genetische Merkmale verschaffen können – beispielweise Antibiotikaresistenzen. Die Mikroben fangen demnach mit einem langen Fortsatz freie DNA in ihrem Umfeld wie mit einer Harpune. Anschließend ziehen sie sich das genetische Material heran und verleiben es sich ein, um es anschließend in ihr eigenes Erbgut zu integrieren. Die neuen Einblicke in dieses Verfahren könnten nun dem Kampf gegen die Ausbreitung von Resistenzen unter Bakterien dienen, sagen die Forscher.
Was bei höheren Lebewesen meist enorm lange dauert, geht bei Bakterien manchmal sehr fix: Sie können Widerstandskraft gegen Medikamente entwickeln oder zu immer schlimmeren Krankheitserregern mutieren. Neben ihrer rasanten Generationsfolge liegt dies auch an der Fähigkeit zum horizontalen Gentransfer. Die Mikroben können sich Erbgut von außen aneignen und über bestimmte genetische Prozesse in ihr Erbgut einbauen, um neue Eigenschaften hervorzubringen. Einige Bakterien tauschen dazu untereinander DNA aus, es gibt aber auch Arten, die Erbgutstücke aus der Umwelt aufnehmen können. Diese DNA kann durch Tod oder Abbauprozesse natürlicherweise freigesetzt worden sein. Diese in der Fachsprache natürliche Kompetenz genannte Aufnahmefähigkeit besitzen auch einige berüchtigte Infektionserreger.
Winziges sichtbar gemacht
“Der horizontale Gentransfer ist bekanntermaßen ein wichtiger Weg, über den sich Antibiotikaresistenzen unter Bakterien verbreiten – der genaue Prozess wurde aber noch nie zuvor direkt beobachtet, da die beteiligten Strukturen so unglaublich winzig sind”, sagt Co-Autor Ankur Dalia von der Indiana University in Bloomington. Bekannt war bereits, dass bestimmte bakterielle Feinstrukturen eine Rolle bei der DNA-Aufnahme spielen: die sogenannten Pili. Es handelt sich dabei um lange dünne Anhängsel, die Bakterien an ihrer Zelloberfläche ausbilden können. Sie sind mehr als 10.000 Mal dünner als ein menschliches Haar. Wie sie funktionieren, war bisher unklar, da es keine Verfahren gab, sie bei lebenden Zellen sichtbar zu machen.
Um die Pili bei der DNA-Aufnahme nun endlich in Aktion beobachten zu können, haben die Wissenschaftler eine innovative Markierungsmethode entwickelt. Dabei binden spezielle leuchtende Farbstoffmoleküle sowohl an die Pili lebender Bakterien als auch an die DNA-Fragmente, die sich die haarartigen Strukturen aus dem Umfeld greifen. So wurden diese bisher nicht sichtbaren Feinstrukturen und ihre Bewegungen erstmals deutlich. Bei dem Bakterium im Fokus handelte es sich um den berüchtigten Erreger der Cholera: Vibrio cholerae.
Fremde DNA raffiniert einverleibt
Wie die Forscher berichten, dokumentieren ihre Beobachtungen, dass die Pili wie mikroskopische “Harpunen” funktionieren. Sie werden durch Poren in der Zellwand „abgefeuert“, um ein freies Stück DNA in der Umgebung aufzugreifen und zur Oberfläche des Bakteriums zu ziehen. Anschließend wird das Stück durch die Pore ins Innere der Zelle geschleust. Die Öffnung ist dabei so klein, dass die DNA wohl gefaltet werden muss, um hindurch zu passen, sagen die Forscher. “Es ist wie beim Einfädelns eines Fadens in ein Nadelöhr”, sagt Co-Autor Courtney Ellison. “Wenn es die Funktion des Pilus nicht gäbe, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass die DNA zum Eindringen in die Zelle die Pore gerade im richtigen Winkel trifft praktisch Null”, so der Wissenschaftler.
Er und seine Kollegen wollen nun ihre Pili-Markierungsmethode nutzen, um weitere Details des Prozesses aufzudecken. Vor allem die Spitzen der Pili stehen dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit: Den bisherigen Ergebnissen zufolge funktioniert das Protein, das für die Verankerung der Pilus-Spitze an der DNA verantwortlich ist, auf eine ganz besondere Weise: Wie die „Harpune“ an genau der richtigen Stelle einhakt, wollen die Forscher nun durch weitere Untersuchungen klären.
Wie die Wissenschaftler betonen, könnten ihre Ergebnisse zur Lösung eines wichtigen Problems der modernen Medizin beitragen: Der Weltgesundheitsorganisation zufolge sind jedes Jahr etwa eine Million Menschen von bakteriellen Infektionen betroffen, die sich nur noch schwer durch gängige Antibiotika bekämpfen lassen, da die Erreger genetisch bedingte Resistenzen gegenüber diesen Medikamenten besitzen. “Je mehr wir darüber wissen, wie Bakterien DNA teilen und erwerben, desto besser sind unsere Chancen, die Übertragungen zu vereiteln”, resümiert Dalia.