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bdw+ Gesundheit|Medizin

Bedrohliche Pilze

Die Pilzkrankheiten sind zwar für Kerngesunde bisher keine ernste Gefahr, aber für die wachsende Zahl an immungeschwächten und chronisch kranken Personen schon. Betroffen sind auch jene, die auf der Intensivstation eines Krankenhauses landen: Sie haben beispielsweise ein Spenderorgan erhalten und nehmen immununterdrückende Medikamente. Oder sie werden gegen Krebs behandelt, und ihre Körperabwehr ist deshalb geschwächt. Andere bekommen Glucocorticoide aufgrund einer Autoimmunerkrankung wie Rheuma oder Asthma. „Der Preis für die Fortschritte der Medizin ist eine höhere Anfälligkeit von Menschen auch für Pilzerkrankungen“, sagt Kurzai.

Mechanismen des Befalls

Vor allem beschäftigt die Forschenden die Frage, wie Pilze im Körper dermaßen die Oberhand gewinnen können, dass sie ernsthaft krank machen. Der Mikrobiologe Gianni Panagiotou von der Universität Jena hat dazu einen wichtigen Hinweis geliefert. Ihm fiel auf, dass die Erreger genetisch ausgesprochen divers sind. Sie können je nach Lebensraum unterschiedliche Stoffwechselwege und Invasionsstrategien nutzen. So unterscheiden sich die Pilzstämme derselben Spezies in der Umwelt drastisch von jenen in Patienten. Bei Aspergillus fumigatus stimmen verschiedene Vertreter überhaupt nur in etwa 70 Prozent aller Gene überein. Andere Forschungsgruppen bestätigten diese hohe genetische Variabilität. Chronisch Infizierte haben Aspergillus-fumigatus-Kolonien, die noch dazu in sich sehr divers sind und deshalb verschiedene Überlebensstrategien beherrschen. Deshalb lassen sie sich schwer mit nur einem Medikament ausrotten. Zum Vergleich: Selbst mit dem Schwein haben wir 95 Prozent des Genoms gemeinsam und sind uns damit genetisch viel ähnlicher als zwei Aspergillus-fumigatus-Kolonien.

Panagiotou entdeckte auch, wie Aspergillus fumigatus sich dermaßen vervielfältigen kann. „Es ist nicht der Pilz allein. Er nutzt das Lungenmikrobiom und programmiert es zu seinen Gunsten um“, so der Experte. Aspergillus fumigatus veranlasst Mikroben der Lunge, beispielsweise Tryptophan für sich herzustellen. Diese Aminosäure braucht der Pilz für seinen Stoffwechsel. Wie Panagiotou in Experimenten gezeigt hat, reicht es aber nicht, die Tryptophan-Produktion zu blockieren, um den Pilz zu stoppen. Hat Aspergillus fumigatus bei den einen Mikroben keinen Erfolg, beauftragt er andere.

Ähnlich gewinnt Candida albicans erst mithilfe anderer Mikroben die Oberhand, wie der Forscher am Darmmikrobiom von 75 Personen zeigen konnte. Wenn milchsäureproduzierende Bakterien in der Überzahl auftreten, wie es unter der Gabe von Antibiotika passieren kann, verlegen sich die Hefen darauf, diese Milchsäure zu futtern. Wegen des Nahrungsüberangebots vermehren sie sich rapide und verdrängen andere Hefen. Auch nützliche Bakterien, die etwa kurzkettige Fettsäuren erzeugen, was das Immunsystem günstig austariert, geraten ins Hintertreffen. Das gesamte Darmmikrobiom gerät aus dem Gleichgewicht. „Dysbiose“ nennen Forschende dieses Kippen der Darmflora.

Pilze bekämpfen

Seine Entdeckungen veranlassen Panagiotou dazu, einen Paradigmenwechsel in der Therapie der Pilzinfektionen vorauszusagen: Bisher wird die Infektion zum einen oft erst spät erkannt, weil sie zunächst nur mit Fieber und anderen gewöhnlichen Krankheitssymptomen einhergeht. Sobald sich der Pilz in Lunge, Blut oder gar im Gehirn zeigt, ist es viel zu spät. Dennoch versuchen Ärzte dann, den Pilz mit einem Antimykotikum aus einer von drei unterschiedlichen Wirkstoffklassen zu bekämpfen. Oft ohne großen Erfolg, denn die Pilzkolonien haben mitunter einen zu vielfältigen Stoffwechsel, als dass man ihnen mit nur einer Waffe beikommen könnte, erklärt Panagiotou. Der einseitige Angriff kann den Krankheitserreger sogar noch widerständiger machen. Pilze können sich abkapseln und im Zellinneren vor Antikörpern und T-Zellen verstecken, beobachtete der Pilzforscher Axel Brakhage, ebenfalls an der Universität Jena.

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„Wenn wir die Pilze bekämpfen wollen, müssen wir am Pathobiom – der Gemeinschaft krankmachender Mikroben – ansetzen“, fordert Panagiotou. Denkbar wäre es etwa, Bakterien zuzufügen, die den Pilzen Nährstoffe entziehen. Einen möglichen Gegenspieler für Candida albicans hat Panagiotou schon identifiziert. Die bisher wenig bekannte Darmbakterie Alistipes putredinis kann die Hefe den Analysen zufolge in Schach halten. Ein schon vor der Operation oder Transplantation verabreichter Mikrobencocktail könnte eine lebensgefährliche Pilzinfektion danach verhindern, so die Idee des Forschers.

Sie knüpft an die Erfolge der Stuhltransplantation an. Dabei wird der Stuhl eines gesunden Spenders – nach Prüfung auf gefährliche Krankheitserreger wie Salmonellen und Coronaviren – in den Darm einer kranken Person gespült. Diese plagt in der Regel eine Infektion mit Clostridium difficile, einem Bakterium, das viel Unheil anrichtet und oft nach einer Antibiotikabehandlung erstarkt, wenn sich zunächst nur wenig andere Besiedler im Darm befinden. Die Betroffenen plagen andauernder Durchfall und Bauchschmerzen. Sie erbrechen sich. Mitunter sackt ihr Blutdruck bedrohlich ab. Gut zwei Drittel der Infizierten werden durch den Stuhl eines Gesunden geheilt, wie eine Auswertung von sechs klinischen Studien zeigt. Die intakte Darmflora des Spenders verdrängt nämlich die krankmachenden Keime. „Auch bedrohlichen Pilzen werden wir künftig mit guten Mikroben etwas entgegensetzen können – allerdings über definierte Stämme gezielter, als das bisher bei der Stuhltransplantation passiert“, glaubt Panagiotou.

Fahndung nach Ursachen

Bleibt die beunruhigende Frage, weshalb die Pilzerkrankungen häufiger werden. Kurzai betont, dass schlicht die Zahl anfälliger Menschen wachse: durch Personen, die eine Organspende bekommen, Krebs überstehen und immununterdrückende Medikamente erhalten. Doch auch die Erderwärmung und die Globalisierung befeuern die Entwicklung. Volker Rickerts vom Robert Koch-Institut in Berlin berichtet, dass sich Pilzerkrankungen insgesamt ausweiten.

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