Potenzial für den Kampf gegen gefährliche Embolien: Forscher haben bei Bären im Winterschlaf sowie anderen Tieren und beim Menschen einen Mechanismus aufgedeckt, der vor gefährlichen Blutgerinnseln bei langer Immobilisierung schützt. Demnach wird die Bildung eines speziellen Proteins herunterreguliert, das an der Blutgerinnung beteiligt ist. Die Ergebnisse könnten zur Entwicklung neuer antithrombotischer Medikamente führen, sagen die Wissenschaftler.
Die Blutgerinnung ist grundsätzlich ein lebenswichtiger Mechanismus: Bei Verletzungen sorgen Pfropfen für ein Auslaufen der Körperflüssigkeit. Doch das System hat eine Schattenseite. Wenn sich die Klumpen an falscher Stelle bilden und sich dann auf die Reise durchs Gefäßsystem machen, droht Lebensgefahr. Genau das ist bei den venösen Thromboembolien (VTE) der Fall, die weit oben auf der Liste der Todesursachen und Schäden beim Menschen stehen. Dabei bilden sich Blutgerinnsel in tiefen Venen – etwa im Bein. Es ist bereits bekannt, dass auch problematische Funktionen von Immunzellen bei diesem Effekt eine Rolle spielen. Vor allem in der Lunge können losgelöste Blutgerinnsel dann für eine lebensgefährliche Blockade sorgen – eine sogenannte Lungenembolie.
Hinweise bei Bär und Mensch
Bestimmte Menschen haben aufgrund von Veranlagungen oder Erkrankungen eine erhöhte Neigung zur Bildung von venösen Thromboembolien. Ein bekannter Risikofaktor ist zudem eine akute Immobilisierung: Menschen, die sich aufgrund von spontanen Erkrankungen, Operationen oder Verletzungen vorübergehend kaum bewegen, haben ein erhöhtes Risiko, die gefährlichen Thrombosen zu entwickeln. Paradoxerweise gilt das aber nur für eine gewisse Zeit: Chronisch gelähmte Personen – etwa mit Rückenmarksverletzungen – weisen kein erhöhtes VTE-Risiko mehr auf. Dies ließ vermuten, dass ein Anpassungseffekt vorliegen könnte. Ein anderer fragender Blick in der Thrombose-Forschung richtete sich auf Bären im Winterschlaf: Obwohl die Tiere sechs Monate lang ruhiggestellt sind, wird ihre Gesundheit offenbar nicht durch venöse Blutgerinnsel gefährdet.
Diesen Hinweisen auf einen möglichen Schutzmechanismus ist ein internationales Forscherteam nun nachgegangen. Die Wissenschaftler führten dazu vergleichende Blutuntersuchungen durch: Sie zapften schwedischen Braunbären im Winterschlaf Proben ab, und noch einmal im Sommer, wenn die Tiere in ihrer bewegungsaktiven Phase waren. Außerdem verglichen die Forscher Blutproben von Menschen, die chronisch immobilisiert waren, mit solchen, die sich normal bewegen können. Als weiteres Untersuchungssystem nutzten sie Schweine, die stark bewegungseingeschränkt oder aber freilaufend gehalten wurden. Alle Blutproben unterzog das Team modernen Untersuchungsverfahren der sogenannten Proteomik, um mögliche Besonderheiten im Blut unter den verschiedenen Bedingungen aufzudecken. Der Fokus lag dabei auf den Merkmalen der Blutplättchen, die für die Gerinnung eine entscheidende Rolle spielen.
Ein Blutplättchen-Protein wird herunterreguliert
Wie die Forscher berichten, stellte sich bei den vergleichenden Untersuchungen besonders ein Faktor als bedeutend heraus: „Das Blutplättchen-Protein mit dem größten Unterschied zwischen überwinternden und aktiven Bären war das Protein 47 (HSP47), das in den überwinternden Bären um das 55-fache herunterreguliert war“, berichtet Co-Autor Johannes Müller-Reif vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Ein ähnliches Muster stellten die Forscher auch bei den chronisch immobilisierten Menschen sowie bei den lange eingeschränkt lebenden Schweinen im Vergleich zu den Kontrollen fest. Die Herabregulation von HSP47 bei Langzeit-Immobilisation scheint demnach bei verschiedenen Säugetierarten ein natürlicher Anpassungsmechanismus zur Thromboseprävention zu sein, geht aus den Ergebnissen hervor.
Den Forschern zufolge lässt sich der Mechanismus auch erklären: Offenbar wird durch weniger HSP47 die Interaktion zwischen den Blutplättchen und Entzündungszellen des Immunsystems gebremst, wodurch das Bildungsrisiko für venösen Thrombose unterdrückt wird. Weitere Untersuchungsergebnisse lieferten außerdem Hinweise darauf, wie sich der Effekt entwickelt: Demnach führte eine Bettruhe bei ansonsten gesunden Personen nach etwa 27 Tagen zu einem deutlich reduzierten HSP47-Niveau mit Schutzfunktion.
In den Studienergebnissen zeichnet sich nun erhebliches Potenzial für die Medizin ab, betonen die Wissenschaftler: “Jetzt, da wir wissen, dass HSP47 so wichtig ist, können wir nach neuen oder bereits vorhandenen Medikamenten suchen, die die Funktion dieses Proteins bei der Blutgerinnung hemmen und Menschen, die zu Gerinnseln neigen, schützen könnten”, sagt Co-Autor Jon Gibbins von der University of Reading.
Quelle: University of Reading, Ludwig-Maximilians-Universität München, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.abo5044