Wie hoch ist die Gefahr, dass ein Covid-19-Patient andere Personen ansteckt? Abgesehen von räumlichen und sozialen Faktoren spielt dabei eine Rolle, wie viele Viruspartikel sich im Rachen des Patienten befinden und von dort beim Atmen, Sprechen oder Husten ausgestoßen werden. Ein Team um den Charité-Virologen Christian Drosten hat nun in der Fachzeitschrift “Science” Daten zur Viruslast von über 25.000 Patienten aus Deutschland veröffentlicht. Demnach wiesen von den Personen, die eine besonders hohe Viruslast und damit Ansteckungsfähigkeit hatten, ein Drittel keinerlei Symptome auf. Unterschiede zwischen den Altersgruppen zeigten sich kaum. Kleinkinder hatten zwar etwas niedrigere Viruslasten, ihre Infektiosität sei aber nicht unbedingt geringer, so die Wissenschaftler. Zudem bestätigte die Studie, dass die sogenannte britische Variante B.1.1.7 mit besonders hohen Viruslasten einhergeht.
Im Durchschnitt steckt eine mit Sars-CoV-2 infizierte Person drei bis fünf andere Menschen an. Auf Bevölkerungsebene ist dieser sogenannte R-Wert wichtig, da er sich durch Schutzmaßnahmen wie Abstandsgebote und Maskentragen beeinflussen lässt. Je weniger nahe Kontakte eine infizierte Person hat, desto geringer ist auch die Gefahr, dass sie das Virus auf andere überträgt. Doch auch unabhängig vom individuellen Verhalten kann sich die Infektiosität von Person zu Person unterscheiden. Denn wie viele Viruspartikel im Rachen eines Menschen sind und von dort weitergegeben werden können, variiert erheblich. Lässt sich vorhersagen, wer besonders ansteckend ist? Sind beispielsweise bestimmte Altersgruppen infektiöser als andere oder lässt sich von der Schwere der Symptome auf die Infektiosität schließen?
Daten von über 25.000 Infizierten in Deutschland
Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen hat ein Team um Terry Jones unter der Leitung von Christian Drosten von der Charité Universitätsmedizin Berlin seit Beginn der Pandemie erhoben, wie hoch die Viruslast bei positiv auf das Coronavirus Getesteten ist. Zwischen Februar 2020 und April 2021 werteten sie fast eine Million Tests von über 415.000 Personen aller Altersgruppen aus. 25.381 Personen hatten mindestens einen positiven PCR-Test. Um abzuschätzen, wie viele Viruspartikel sich in ihrem Rachen befanden, analysierten die Forscher den sogenannten CT-Wert (Cycle Threshold) der PCR-Tests. Dieser gibt an, wie viele Vervielfältigungsdurchläufe bei der PCR notwendig waren, bis das Virusmaterial in der Probe nachweisbar war. Je weniger Durchläufe benötigt werden, desto höher die Viruslast.
Ihre Ergebnisse haben die Forscher nun in der Fachzeitschrift “Science” veröffentlicht. Die Auswertungen zeigen: Rund neun Prozent der Infizierten wiesen eine besonders hohe Viruslast von einer Milliarde Viruskopien oder mehr auf. Mehr als ein Drittel dieser potenziell hochinfektiösen Personen hatte keine oder nur milde Symptome. „Diese Daten liefern eine virologische Grundlage für die Beobachtung, dass nur eine Minderheit der Infizierten den größten Teil aller Übertragungen verursacht“, erklärt Drosten. „Dass sich hierunter so viele Menschen ohne relevante Krankheitssymptome finden, macht klar, warum Maßnahmen wie Abstandsregeln und die Maskenpflicht für die Kontrolle der Pandemie so wichtig sind.“
Kinder kaum weniger infektiös als Erwachsene
Unterschiede zwischen den Altersgruppen fanden sich kaum. Infizierte zwischen 20 und 65 Jahren hatten im Durchschnitt rund 2,5 Millionen Viruskopien im Rachen. Die niedrigste Viruslast hatten Kinder zwischen null und fünf Jahren. Bei ihnen fanden die Forscher durchschnittlich nur etwa 800.000 Erbgutkopien von Sars-CoV-2. Bei älteren Kindern und Jugendlichen glichen sich die Werte mit steigendem Alter denen der Erwachsenen an.
Klinisch relevant seien diese Unterschiede allerdings nicht, betont Drosten. Ein Grund dafür sei die unterschiedliche Probenentnahme bei Kindern und Erwachsenen: „Bei Kindern werden deutlich kleinere Abstrichtupfer eingesetzt, die weniger als halb so viel Probenmaterial in die PCR-Testung einbringen. Außerdem werden bei ihnen statt der schmerzhaften tiefen Nasenrachen-Abstriche oft einfache Rachenabstriche gemacht, in denen sich noch mal weniger Virus findet. Deshalb erwarten wir bei Kindern mit gleicher Virusvermehrung von vornherein geringere Viruslast-Messwerte in der PCR.“ Eine Abschätzung der Infektiosität anhand von Laborproben von Kindern und Erwachsenen ergab für Kleinkinder etwa 80 Prozent des Wertes von Erwachsenen. „Und auch diese datenbasierten Schätzungen der Infektiosität muss man noch mal nach oben korrigieren wegen der unterschiedlichen Probennahme bei Kindern“ sagt Drosten. „Mein anfänglicher Eindruck einer ungefähr gleich großen Infektiosität aller Altersgruppen hat sich bestätigt, nicht nur hier, sondern auch in anderen Studien.“
Distanz und Masken als Schlüssel zur Verhinderung weiterer Ausbrüche
Während es der Auswertung zufolge in Hinblick auf die Infektiosität keinen Unterschied macht, wie alt eine Person ist und ob sie Symptome hat oder nicht, spielte die Virusvariante eine wichtige Rolle: Personen, die mit der sogenannten britischen Variante B.1.1.7 infiziert waren, hatten im Schnitt eine zehnfach höhere Viruslast. Ihre Infektiosität schätzten die Forscher im Labor auf das 2,6-Fache. Was genau das mutierte Virus so ansteckend macht, können die Forscher bislang noch nicht beantworten. Auf Basis der aktuellen Daten resümiert Drosten: „Auch wenn Laborversuche es bisher noch nicht abschließend erklären können: Das B.1.1.7-Virus ist infektiöser als andere Varianten.“
Soweit es die Daten zuließen, rekonstruierten die Forscher auch, wie sich die Infektiosität im Verlauf der Erkrankung entwickelt. Dazu nutzten sie die Daten von 4344 Patienten, von denen mehrere Tests vorlagen. Am höchsten ist die Infektiosität demnach ein bis drei Tage vor Auftreten der ersten Symptome – sofern der Patient überhaupt welche entwickelt. „Basierend auf unseren Schätzungen der Infektiosität von Personen ohne Symptome und der höheren Viruslast, die bei mit der B.1.1.7-Variante infizierten Personen gefunden wurde, können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass nicht-pharmazeutische Interventionen wie soziale Distanzierung und das Tragen von Masken der Schlüssel zur Verhinderung vieler weiterer Ausbrüche waren“, schreiben die Forscher. „Solche Maßnahmen sollten in allen sozialen Umfeldern und in allen Altersgruppen angewendet werden, wo immer das Virus vorhanden ist.“
Quelle: Terry Jones (Charité Universitätsmedizin Berlin) et al., Science, doi: 10.1126/science.abi5273